Interview | Köln · Das Attentat auf den früheren US-Präsidenten Donald Trump rückt auch den Secret Service in den Fokus. Hat der Sicherheitsdienst versagt? Stefan Bisanz aus Köln arbeitet seit 40 Jahren im Personenschutz. Die Rheinische Post hat mit ihm über Bodyguards, Verschwörungstheorien und den Schutz deutscher Politiker gesprochen.
Nach dem Attentat auf den früheren US-Präsidenten Donald Trump, bei dem er am Samstag bei einer Wahlkampfkundgebung am Ohr verletzt wurde, wird Kritik an der Arbeit des Secret Service laut, der für die Sicherheit Trumps eingesetzt war. Ein Besucher der Veranstaltung wurde getötet, zwei weitere wurden schwer verletzt.
Wie werden Politiker in Deutschland im Wahlkampf geschützt?
Der Kölner Stefan Bisanz arbeitet seit 40 Jahren in der Sicherheitsbranche. Er war unter anderem bei der Militärpolizei der Bundeswehr und im Verteidigungsministerium tätig. Früher war der 62-Jährige selbst Personenschützer, heute ist er für die Beratung von Schutzpersonen zuständig sowie öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Personenschutz. Für uns hat er sich die Videos und Bilder des Anschlags auf Trump ganz genau angesehen.
Herr Bisanz, hat der Secret Service bei Donald Trump versagt?
STEFAN BISANZ Ich kann nur von außen auf die Attentats-Situation blicken, aber ich glaube, dass dem Secret Service am Samstag eine echte menschliche Panne unterlaufen ist. Scharfschützen waren ja definitiv vor Ort. Einer von ihnen konnte den Attentäter von seinem Beobachtungsposten aus sehen, denn der Täter wurde ja relativ schnell erschossen. Für das Dach, auf dem der Täter war, muss ein Scharfschütze eingeteilt gewesen sein. Aber genau dieser Scharfschütze hat einen entscheidenden Moment lang gepennt. Er hat den Moment verpasst, den der Täter brauchte, um aufs Dach zu klettern, sich dort einzurichten und Trump ins Visier zu nehmen. Das waren vielleicht zwei Minuten Unaufmerksamkeit. Ein menschlicher Fehler, der nicht passieren darf. Präsidenten und Ex-Präsidenten sind die Menschen auf der Welt, die ammeisten gefährdet sind. Danach kommt der Papst.
Wie bewerten Sie die Reaktion der Personenschützer?
STEFAN BISANZ Sie waren nach den Schüssen sehr schnell an ihrer Schutzperson, das war gut. Was mir nicht gefallen hat: Man sieht auf vielen Bildern Trump. Erst, wie er die Faust in die Luft reckt, dann bei der Szene am Wagen, wo er sich auf den Tritt stellt und sich nochmal über alle erhebt. Sein ganzer Oberkörper ist dort zu sehen. Das ist total amateurhaft, das geht nicht. Wenn es einen zweiten Schützen gegeben hätte, hätte das tödlich für ihn enden können.
Man sieht in Videos, wie Trump sich regelrecht gegen die Personenschützer wehrt, die ihn mit aller Kraft unten halten wollen.
STEFAN BISANZ Richtig. Aufgabe der Personenschützer ist es aber, die Schutzperson so abzudecken, dass niemand sie sieht. Zur Not kriegt die Schutzperson einen Tritt in die Kniekehle oder einen Schlag. Daran stirbt die Person nicht, an einem Schuss aus einer Langwaffe aber schon. Eine Evakuierung ist eine Evakuierung. Da kann ich nicht darauf hören, was meine Schutzperson mir sagt – die hat in dem Moment nix zu sagen. Ich kann mir vorstellen, wie Trump mit seinen Personenschützern umgeht und dass sie alle ehrfürchtig sind, aber: Sorry, da ist Personenschutz angesagt, und dann interessiert mich das nicht. Ich entscheide als Personenschützer – hinterher kann mich meine Schutzperson ja rausschmeißen.
Hat sie Trumps unmittelbare Reaktion irritiert?
STEFAN BISANZ Dass Schutzpersonen sich wehren, kenne ich auch. Aber seine Präsenz in dieser Situation hat mich erschreckt. Es hat ja allenfalls fünf Sekunden gedauert, die er beeindruckt wirkte, dann hat er die Faust gereckt. Es ist schon unglaublich, was für einen Brennstab der Mann in sich trägt.
Müssten die Sicherheitsmaßnahmen für Trump noch einmal erhöht werden?
STEFAN BISANZ Nein. Der Mann ist genauso gefährdet wie vor dem Anschlag.
Was halten Sie von den wilden Verschwörungstheorien, die nun kursieren? Eine besagt, Trump habe das Attentat organisiert, um im Wahlkampf zu punkten.
STEFAN BISANZ Das halte ich für unwahrscheinlich. Man kann aus der Entfernung von 135 Metern einem Menschen ins Ohrläppchen schießen. Aber mit Sicherheit nicht ein 20-Jähriger. Der Täter war noch nicht alt genug, um einige Jahre trainiert zu haben. Das Schießen mit einer Langwaffe ist extrem schwierig. Eine solche Waffe wird bei Attentaten auch sehr selten eingesetzt, bei Kennedy 1963 etwa oder 1991 beim RAF-Attentat auf Rohwedder. Eine Langwaffe ist auch in den USA viel schwerer zu besorgen als eine Pistole.
Trump ist keine 48 Stunden nach dem Attentat zum Parteitag der Republikaner erschienen. Wie bewerten Sie das?
STEFAN BISANZ Ich bin kein Psychologe, aber aus meiner Sicht wäre es wichtig gewesen, erstmal drei Tage lang nicht wieder eine ähnliche Situation herbeizuführen, in der Trump während des Angriffs war. Den Schock muss man ja erstmal überwinden. Früher war es in meiner Branche total verpönt, Gespräche mit Psychologen zu führen, das ist heute zum Glück anders. Sowohl Trump als auch die Personenschützer sollten die Möglichkeit dazu haben – werden sie mit Sicherheit auch. Ich denke dabei auch zurück an den Anschlag auf den BVB-Bus. Wie wichtig wäre es gewesen, die Spieler nicht gleich wieder rauszuschicken. Aber sie mussten am nächsten Abend spielen. Es war eine rein geschäftliche Motivation der Club-Verantwortlichen, dabei hätten sie sich vor ihre Spieler stellen müssen und sie schützen. Viele Spieler und der Trainer haben den Verein ja danach auch verlassen.
Was macht einen guten Personenschützer aus?
STEFAN BISANZ Mit Sicherheit nicht die dicken Muskeln. In den USA hat man klassischerweise noch den Bodyguard: Schwarzer Anzug, Sonnenbrille, Muskeln. Bei den Stars ist das auch angesagt: Der Bodyguard schiebt sich mit seiner Körpermasse zwischen sich und seine Schutzperson. Personenschutz ist etwas anderes: Wachsamkeit, am besten mehr als 100 Prozent. Man muss das Wachsamkeitsgen haben, das lässt sich nicht alles antrainieren. Sicherheit ist ein Bereitschaftsberuf. Als Personenschützer hat man ein riesiges Know-how. Und alles, was man gelernt und trainiert hat, trägt man quasi als Rucksack immer mit sich. Die wesentliche, aber auch die schwerste Leistung eines Personenschützers ist, dieses Wissen in der Tausendstel Sekunde abzurufen, in der es gebraucht wird. Dazu kommt Diskretion, die ist auch essenziell für den Job.
Nicht auszuplaudern, was man mitbekommt von der Schutzperson?
STEFAN BISANZ Zum einen das. Aber man darf als Personenschützer auch nicht annehmen, was man erlebt. Ich meine damit: Der Unterschied zwischen dem Leben der Schutzperson und dem Leben des Personenschützers ist ja oft extrem. Es ist wichtig, dass man sich als Personenschützer seines Platzes bewusst ist. Meine Schutzperson mag reich sein und einflussreich. Ich habe damit aber nichts zu tun als Personenschützer, mein Privatleben ist ein völlig anderes mit einem normalen Gehalt.
Wie funktioniert der Personenschutz bei deutschen Politikern?
STEFAN BISANZ Das Bundeskriminalamt hat eine hervorragende Sicherungsgruppe.Wenn der Kanzler auf Reisen geht, fährt ein Vorauskommando alle Strecken ab, schaut sich jedes Gebäude, jede Toilette und jeden Notausgang an, ummögliche Sicherheitsrisiken zu finden. Es kann auch passieren, dass in einem Hotelzimmer extra Sicherheitsglas in einem Zimmer eingebaut werden muss. Personenschützer führen auch Objektschutzmaßnahmen durch. Sie ziehen schon vor dem Politiker ins Hotel ein, sichern das Zimmer und die Etage.
Müsste man den Personenschutz auf Kommunalpolitiker ausweiten?
STEFAN BISANZ Ich finde schon, dass diejenigen, die Politik ja oft sogar im Ehrenamt machen, auch vernünftig geschützt werden sollten. Unsere Politik wird ja nicht nur von den Bundestagsabgeordneten getragen. Ich kenne einen Fall, da wird die achtjährige Tochter eines Bürgermeisters regelmäßig auf ihrem Schulweg bedroht. Man kann verstehen, wenn ihr Vater sein Amt an den Nagel hängt und sagt: Das tue ich mir und meiner Familie nicht an. Das Totschlagargument ist natürlich immer: Wir haben nicht so viele Personenschützer. Dazu kämen die hohen Kosten.
Wie könnte man Lokalpolitiker trotzdem besser schützen?
STEFAN BISANZ Es könnte doch einen Personenschutzbeauftragten für mehrere Politiker geben, sagen wir, der betreut je nach Region 20 bis 30 Leute. Er wird dann vor allem beratend tätig. Dazu gibt es dann vielleicht einmal im Monat ein Awareness-Training, um die Leute achtsamer und aufmerksamer werden zu lassen. Das könnten auch Polizeibeamte im Ruhestand übernehmen, die sich noch fit genug fühlen und Lust haben, noch etwas zu tun. Aber auch die Parteien sind gefordert, ihre Leute zu schützen.
RP Interview von Claudia Hauser | © 2024 Rheinische Post
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