Kölner Sicherheitsexperte kritisiert den laxen Umgang im öffentlichen Raum.
Die jüngsten Ereignisse in Köln werfen drängende Fragen auf. Innerhalb einer Woche erschütterten zwei Explosionen das Stadtzentrum, gefolgt von Schießereien auf Gebäude. Zustände wie im Wilden Westen? Während Polizei und Staatsanwaltschaft von einem Konflikt in der organisierten Kriminalität und offenen Rechnungen im kriminellen Milieu sprechen, zeigt sich die Kölner Bevölkerung beunruhigt. Doch die Reaktion auf die Vorfälle wirkt merkwürdig gelassen. Gewöhnt sich Köln etwa auch daran? „Was ist los mit Köln, was ist los mit uns“ – mit dieser Frage schloss der letzte Newsletter meines Vorstandskollegen Peter Pauls.
Auch der Kölner Sicherheitsexperte Stefan Bisanz meldet sich im Kölner Presseclub besorgt zu Wort. Als öffentlich bestellter Sachverständiger für Personenschutz kritisiert er seit Jahren die Sicherheitslage in Köln. „Es gibt in Köln eine gefährliche Laissez-faire-Einstellung, die dazu führt, dass Sicherheitsprobleme nicht mit der nötigen Dringlichkeit behandelt werden“, so Bisanz. „Anschläge und Explosionen können jetzt überall bei uns passieren“, warnt er und sieht in der „laxen Haltung gegenüber öffentlicher Sicherheit ein ernstes Problem“. „Es bleibt oft zu still, selbst wenn es knallt.“ Bisanz fordert mehr Entschlossenheit und präventive Maßnahmen, um Gefahren im öffentlichen Raum zu verhindern.
Jetzt ist ein „Raumschutzkonzept“ mit verschärften Überwachungs- und Sicherungsmaßnahmen für Köln geplant. Wie soll das funktionieren? Denn nicht nur die Kölner Polizei schiebt zu viele Überstunden vor sich her. Auch im Ordnungsdienst der Stadt Köln sind fast 90 von 240 Stellen unbesetzt. Für Bisanz ist das ein untragbarer Zustand: „Keine Firma könnte mit einem Personalrückstand von fast 40 Prozent zuverlässig arbeiten.“ Zum Vergleich verweist er auf Düsseldorf. Dort gibt es mit weniger Einwohnern deutlich mehr Stellen im Außendienst. Das zeige, dass Köln seine Prioritäten in Sachen Sicherheit falsch setzt.
Sicherheit im öffentlichen Raum sollte für alle Bürgerinnen und Bürger gewährleistet sein, sagt Bisanz. Doch in Köln sieht er dieses Grundrecht zunehmend mit Füßen getreten. Als Beispiel nennt er die sogenannte Flaggenmaler-Szene rund um den Kölner Dom. Was auf den ersten Blick nach harmloser Straßenkunst aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Problem. Wer versehentlich auf die bemalten Flächen tritt, muss mit aggressivem Verhalten rechnen. Ohne Genehmigung wird aber hier der öffentliche Raum unerlaubt in Beschlag genommen, kritisiert er. Hinzu kommt, dass hinter der scheinbar unschuldigen Kreidekunst sich kriminelle Strukturen verbergen. Und was macht Köln gegen die illegale Nutzung des öffentlichen Raumes? Am Dom passiert nichts, klagt Bisanz. An der Stadtverwaltung liegt es nicht. Das Ordnungsamt möchte am liebsten sämtliche Straßenmalerei um den Dom herum untersagen, aber bislang ist noch keine Änderung der Stadtordnung vom Rat beschlossen worden. Es gibt offenbar noch Diskussionsbedarf der Fraktionen. Stefan Bisanz wird da deutlicher: „Wenn man Regeln aufstellt, muss man auch dafür sorgen, dass es Sanktionen für alle gibt, wenn diese nicht eingehalten werden.
Besonders kritisch sieht Bisanz die unveränderte Situation am Neumarkt, wo Drogenmissbrauch, Vandalismus und penetrante Bettelei das Bild prägen und oft ungeahndet bleiben. Nicht ohne Grund meiden viele den Platz – trotz Brunnen, Mini-Gastronomie und neuer Ausstellung will dort niemand lange verweilen. Angestellte kündigen, weil sie auf dem Weg zur Arbeit belästigt werden (Das Unternehmen ist mir bekannt, will hier aber nicht genannt werden.) Als Sicherheitsfachmann wird Bisanz‘ Expertise oft von verzweifelten Geschäftsleuten nachgefragt. „Das Problem ist zum Teil hausgemacht,“ sagt er und verweist auf die hohe Zahl osteuropäischer Obdachloser und Drogenabhängiger in der Stadt. „86 Prozent der Menschen, die in der Kölner Drogenszene auffallen, sind nicht aus Köln, sondern kommen aus Osteuropa.“ Ein Grund dafür sei seiner Auffassung nach das großzügige Hilfsangebot in Köln: „Die Stadt lockt mit Drogenabgabestellen und sozialer Unterstützung – das spricht sich herum.“ Für Bisanz ist klar: „Verdrängung ist das einzige Prinzip, das funktioniert. Immer mehr Drogenabgabestellen am Neumarkt zu eröffnen, verschärft das Problem nur.“
Die Stadt – und somit das Ordnungsamt und hier insbesondere der Außendienst – kann aber nur gegen Obdachlose und Junkies vorgehen, wenn diese sich ordnungswidrig verhalten. Das reine Dasein im öffentlichen Raum ist kein Argument um gegen diese Gruppen vorzugehen. Solange die gesetzlichen Regelungen also nicht verletzt werden, kann die Stadt nur bedingt restriktiv handeln.
Doch nicht nur für Stefan Bisanz ist Sicherheit ein Grundrecht. Auch nach meinem Eindruck – und ich bin oft nach Veranstaltungen abends unterwegs – wird das Sicherheitsgefühl in dieser Stadt nur wieder verbessert werden, wenn Polizei und Ordnungsdienst mit mehr Präsenz auf Streife gehen. Nicht nur auf den Ringen am Wochenende, sondern in der Innenstadt, auf den Plätzen und rund um den Dom.
Die Herausforderung wird sein, dass Köln als Stadt der Vielfalt und Toleranz einen Weg finden muss, diese Probleme gemeinsam zu bewältigen – und dabei weder Sicherheit noch Menschlichkeit auf der Strecke bleibt. Gefordert ist hier auch die Kommunalpolitik. Das Ordnungsamt kann nur so viel leisten, wie die politischen Vorgaben auch einen entsprechenden Spielraum einräumen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dem Willen der Bürger entspricht, ständige Bettelei in der Außengastronomie, verwahrloste Obdachlose in Geschäftseingängen mit ihren Hinterlassenschaften und schreiende Crack-Junkies in U-Bahnen hinzunehmen. Oder gewöhnt man sich einfach daran – so wie an vieles in Köln?