/
/
/
Der böse Zwilling – Der Kampf gegen die russische Doppelgänger-Kampagne

Der böse Zwilling – Der Kampf gegen die russische Doppelgänger-Kampagne

Der böse Zwilling – Der Kampf gegen die russische Doppelgänger-Kampagne

„Renten der Deutschen werden in der Ukraine verbrennen.“
Diese Headline erschien nicht auf der Webseite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sondern auf einem täuschend echten Klon. Vom Logo über das Layout bis hin zur Technik war die Fälschung vom Original kaum zu unterscheiden. Dieser Artikel ist nur ein Beispiel von vielen in einer Serie gezielter Desinformations- und Fake-News-Kampagnen, die in den sozialen Medien verbreitet und vom russischen Staat in Auftrag gegeben wurden – die sogenannte Doppelgänger-Kampagne. Ziel ist es, mit falschen Inhalten die westliche Gesellschaft zu verunsichern und zu spalten, wobei eine neue Taktik eingesetzt wird.

In der Vergangenheit wurden Fake News verstärkt auf Webseiten fiktiver, nichtexistenter Medienhäuser veröffentlicht – von Programmierern erstellt, die für den russischen Staat arbeiteten oder von ihm beauftragt worden waren. Diese „alternativen Nachrichten“ deckten vermeintliche Verschleierungen, Intrigen und Inkompetenz der etablierten demokratischen Parteien auf und versorgten die Leser mit falschen Behauptungen.

In Wirklichkeit verfolgte diese Desinformation zwei Hauptziele: Erstens, das Vertrauen in traditionelle Medienhäuser durch Lügen, Verschwörungstheorien und Halbwahrheiten zu untergraben, um die westliche Bevölkerung zu manipulieren. Zweitens, durch diese gefälschten Inhalte Wahlen zu beeinflussen und extreme, demokratiefeindliche Parteien zu stärken. Besonders bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 spielte diese Strategie eine bedeutende Rolle.

Die neue Vorgehensweise hingegen zielt darauf ab, die etablierten Mainstream-Medien von innen heraus zu destabilisieren. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung, dem WDR, NDR und dem estnischen Medium „Delfi“ steht eine kremlnahe Agentur namens „Social Design Agency“ (SDA) hinter den gefälschten Medienklonen. Die Doppelgänger-Kampagne, die zwischen Mai 2023 und Juli 2024 unter anderem vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) untersucht wurde, richtet ihren Fokus nun auf den Ukrainekrieg und Deutschlands Rolle bei den Waffenlieferungen an die Ukraine. Die gefälschten Artikel stellten westliche Politiker und die NATO negativ dar und propagierten pro-russische Positionen.

Vor allem die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung und der SPIEGEL wurden in Deutschland Opfer dieser gefälschten Zwillingsseiten. Die Headlines und Texte dieser Klon-Seiten präsentierten die Unterstützung der Ukraine als Verschwendung deutscher Steuergelder und stellten ein potenzielles Kriegsrisiko zwischen Russland und Deutschland in den Vordergrund. Gleichzeitig wurden die AfD und das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) durch diese falschen Berichterstattungen gezielt unterstützt. Eine geleakte SDA-Präsentation zeigt, dass ein Stimmenanteil der AfD von 20 % ein konkretes Ziel der Doppelgänger-Kampagne war.

Warum diese Taktik?
Es wird vermutet, dass die Bevölkerung mittlerweile eine wachsende Kompetenz im Umgang mit Online-Nachrichten entwickelt hat. Während 2016 Fake News noch relativ neu waren und auf Naivität der Leser trafen, sind die Nutzer heute aufmerksamer und kritischer. Unbekannten Medienplattformen wird weniger Vertrauen entgegengebracht als vor acht Jahren. Es ist daher ein naheliegender Schritt, den guten Ruf der etablierten Medien gezielt auszunutzen, um die Verbreitung von Desinformation noch effektiver zu gestalten.

Eine zweite Theorie besagt, dass wir uns in einer neuen Phase der Desinformation befinden.

Die Doppelgänger-Kampagne baut auf den früheren Desinformationskampagnen auf, die zum Ziel hatten, einen wesentlichen Teil der Bevölkerung – meist auf der rechten Seite des politischen Spektrums – gegen die Mainstream-Medien aufzubringen. Dies ist in den letzten Jahren auch gelungen, wie die sinkende Zahl der Menschen zeigt, die in Deutschland den traditionellen Medien vertrauen.

Vertrauen in die Medien (Quelle: Statista, 2024)
Quelle: Statista, 2024
Jetzt geht es darum, auch die politisch gemäßigten Konsumenten zu verunsichern, die sich weiterhin auf traditionelle Medien als Informationsquelle stützen. Dies ist ein gezielter Angriff auf die Stammkundschaft dieser Medienhäuser. Und das nicht nur in Deutschland – Frankreich und die USA sind als westliche Wirtschaftsmächte ebenfalls auf der Liste der Zielländer vertreten.
Zielland
Anzahl Desinformationen
Deutschland
2.250 (30,17 %)
Frankreich
2.245 (30,10 %)
USA
1.042 (21,78 %)
Ukraine
1.339 (17,95 %)

Quelle: EU Desinfo Lab; Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz

Laut BayLfV sind diese Zahlen nicht nur auf eine, sondern auf mehrere Gruppen zurückzuführen, die an der Verbreitung von Desinformationen arbeiten. Die Kampagne wird von Russland aus gesteuert und über Deutschland international verteilt. Verbreitungsplattformen sind dabei X (ehemals Twitter) und Facebook. Die Drahtzieher erschwerten den Ermittlern die Arbeit, indem sie gezielt bestimmte IP-Adressen ausschlossen. Der in Deutschland befindliche Verwaltungsserver wurde so eingerichtet, dass Desinformationen nur an echte Benutzer ausgespielt werden.

Über die entsprechende Infrastruktur wurden nahezu 8.000 Einzelkampagnen auf mehr als 700 Zielwebseiten verbreitet. Insgesamt erzielten diese Kampagnen 828.842 Klicks. Innerhalb eines Monats identifizierte das Auswärtige Amt über 50.000 gefälschte Nutzerkonten auf X, die mehr als eine Million deutschsprachige Tweets veröffentlichten. Diese Zahlen zeigen das enorme Ausmaß der Reichweite. Der tatsächliche gesellschaftliche Schaden lässt sich jedoch nur schätzen.

In aktuellen Umfragen zur Unterstützung der Ukraine zeigt sich, dass die Meinungen in Deutschland gespalten sind: Rund 40 % der Befragten halten die finanzielle Unterstützung für angemessen, 41 % empfinden sie als zu hoch, und 12 % fordern noch mehr Unterstützung (Quelle: Statista). Dies deutet auf eine insgesamt noch positive Grundstimmung gegenüber der Ukraine hin. Dennoch ist die Zielsetzung einer Erosion der westlichen Wertegesellschaft, eine langfristige.

Wohin entwickelt sich das Ganze?
Die Methoden staatlich gelenkter Desinformationskampagnen sind raffinierter, technischer und perfider geworden. Mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) sind Deepfakes von Foto- und Videomaterial inzwischen einfach zu erstellen und schwer zu entlarven. Auch gefälschte Online-Nachrichten-Artikel sind so gut gestaltet, dass ihre Echtheit oft nur durch tiefere Recherche oder spezielle Prüfverfahren festgestellt werden kann.

Wie kann man dagegen vorgehen?
Behörden: Die Arbeit von Institutionen wie dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz zeigt, dass staatliche Maßnahmen verschleierte Desinformation aufdecken können. Da es sich um ein internationales Problem handelt, ist hierfür eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen internationalen Behörden, Geheimdiensten und Forschern notwendig. Das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) stellte Anfang September fest, dass die Doppelgänger-Kampagne keineswegs beendet, sondern weiterhin auf Plattformen wie X und Facebook aktiv ist.

Social-Media-Plattformen: Plattformen wie X und Facebook sollten verstärkt auf KI und maschinelles Lernen setzen, um gefälschte Inhalte, Webseiten und Deepfakes zu erkennen. Spezielle Algorithmen könnten trainiert werden, um Anomalien im Design oder in der URL zu identifizieren. Nach Aussagen des CeMAS wurde trotz vorgelegten Analysen bisher zu wenig gehandelt.

Medienhäuser: Auch die Medienhäuser selbst müssen ihre Sicherheitsmaßnahmen verbessern, um den Lesern die Unterscheidung zwischen echten und gefälschten Inhalten zu erleichtern. Digitale Wasserzeichen, Blockchain-Technologie oder andere Authentifizierungsmethoden könnten eingesetzt werden, um die Echtheit von Artikeln und Webseiten zu gewährleisten und Klon-Seiten zu erschweren.

Nutzer: Auch die Nutzer tragen Verantwortung. Bevor Inhalte geteilt werden, sollten sie die Webseite und URL genau prüfen. Gerade bei heiklen Themen ist es unwahrscheinlich, dass nur ein Medium darüber berichtet. Zudem kann mithilfe von Tools wie „Snopes“ oder „Correctiv“ die Echtheit von Nachrichten überprüft werden.

Nur mit vereinten Kräften – von staatlicher Seite, den Medien und den Nutzern – kann gegen diese perfide Bedrohung vorgegangen werden.

Quellenangaben
Titelbild von Skórzewiak – stock.adobe.com

Über den Autor

Christopher Castner ist Analyist und Berater bei der consulting plus GmbH. In 2017 machte Christopher Castner seinen Masterabschluss als Politischer Psychologe. Seine anfänglichen Berufserfahrungen in der Wissenschaft, sammelte er als Mitarbeiter an der Hochschule Osnabrück. ⇒ mehr erfahren

Suchen Sie das Gespräch?

Diskutieren Sie mit!

    © Security Explorer