Israel hat sich bisher nicht dazu bekannt, hunderte Pager im Libanon gesprengt zu haben. Für Sicherheitsexperten wie Rolf Tophoven deutet aber vieles auf eine Operation israelischer Geheimdienste hin. Die Aktion sei in der Dimension ein Novum und kaum zu toppen.
Bei der Explosion hunderter Funkempfänger, sogenannter Pager, im Libanon wurden am Dienstag rund 2800 Menschen verletzt. Unter den Verletzten sind viele Mitglieder der proiranischen Hisbollah, aber auch Zivilisten. Mindestens zwölf Menschen kommen ums Leben, auch zwei Kinder. Einigen Opfern mussten in Folge schwerere Verletzungen Arme oder Finger entfernt werden. Die Schiitenorganisation macht Israel für den mutmaßlich koordinierten Angriff verantwortlich. Israel schweigt. Der Grefrather Sicherheits- und Terrorismusexperte Rolf Tophoven ordnet den Angriff ein.
Wie ist der Pager-Anschlag zu bewerten? Es deutet ja vieles auf einen Angriff der Israelis hin.
TOPHOVEN Nach dem Versagen der israelischen Nachrichtendienste, also des Mossad und des Inlandsdienstes Schin Bet sowie der legendären Elite Einheit 8200 bei dem Angriff der Hamas im vergangenen Oktober wurde auf allen Ebenen versucht, diese Pleite vergessen zu machen. Das ist zwar durch eine militärische Geiselbefreiung schon einmal gelungen. Man versucht aber offensichtlich, den Gegner, zu dem auch die Hisbollah im Libanon gehört, mit intelligenten Methoden zu verunsichern.
Was wissen Sie über den Angriff?
TOPHOVEN Offenbar sind die Geräte nachmittags um 15.30 Uhr explodiert, nachdem sie eine interne Nachricht aus den Reihen der Hisbollah empfangen haben, möglicherweise als Code. Das spiegelt die Professionalität wider, mit der hier vorgegangen wurde. Normalerweise ist es möglich, abhörsicher über diese Pager zu kommunizieren, deshalb werden sie überhaupt benutzt. Israel wäre damit ein massiver Eingriff in die digitale Kommunikation der Hisbollah gelungen, das wäre ein beachtlicher Erfolg.
Wie muss man sich die Vorbereitung bei so einer Operation vorstellen?
TOPHOVEN Es muss eine hochintensive Aufklärung stattgefunden haben, um an diese Pager zu kommen. Der Mossad plant sehr penibel und langfristig, und er verfügt durch seine multi-ethnische Zusammensetzung über Agenten, die keine Schwierigkeiten haben, sich anzupassen. So beherrschen Schin-Bet-Agenten etwa nicht nur die arabische Sprache, sondern auch den speziellen Dialekt, der in Gaza gesprochen wird. Der Mossad bildet auch Schein- oder Briefkastenfirmen. In diesem Fall sollen laut Informationen der „New York Times“ israelische Agenten eine Lieferung von Pagern in den Libanon vorher abgefangen und mit kleinen Mengen Sprengstoff samt einem Code versehen haben.
Was lässt sich sonst noch an den Anschlagsumständen ablesen?
TOPHOVEN Die Ziele waren nicht wahllos gewählt. Von den bisher zwölf Toten sollen neun Personen der Hisbollah angehören. Die Zahl der Toten ist aber gar nicht so relevant.
Weil es vor allem darum geht, eine Botschaft zu senden?
TOPHOVEN Genau. Diese gezielten Tötungen haben das Ziel, psychischen Druck auszuüben, den Gegner zu verunsichern und ihm klarzumachen, es kann ihn jederzeit und überall treffen. Mir hat vor Jahren ein Berater eines israelischen Ministerpräsidenten gesagt, jeder Terrorist muss wissen, wenn es morgens um vier Uhr bei ihm an die Tür klopft, dann ist es nicht der Milchmann, sondern es könnte der Geheimdienst sein. Mit dieser Angst müsse jeder Terrorist leben. In dieser Aussage liegt die gesamte Strategie: Verunsicherung und gezielte Tötung.
Der Angriff zeigt auch eine neue Dimension der Kriegführung.
TOPHOVEN In der Vorbereitung, der Logistik und der Durchführung der Operation ist das ein absolutes Novum, gerade im Kontext nachrichtendienstlicher Konkurrenzkämpfe. Das ist kaum zu toppen, auch von der Cleverness. Das beweist, der Mythos des Mossad bleibt trotz mancher Pleiten lebendig. Wenn es jemand kann, dann der Mossad. Er demonstriert, wir können nicht nur aus der Luft angreifen, nicht nur mit Infanterie einmarschieren, sondern wir schaffen das auch mit intelligenten Methoden.
Das ist zwar in der Dimension nicht vergleichbar, aber von der Vorgehensweise: Im Jahr 1996 wurde bereits ein Hamas-Führer mit seinem Handy in die Luft gesprengt.
TOPHOVEN Das war der damalige Hamas-Militärchef und Bombenbauer Jihia Ajasch. Diese Operation war auch sehr intelligent. Der Geheimdienst wusste, dass er sehr Handy-affin ist und spielte ihm ein präpariertes Handy zu. Von einem Helikopter aus wurde der Anruf ausgelöst, der dann zur Detonation führte.
Was heißt das nun für die Hisbollah? Muss die ihre komplette Hardware überprüfen oder vernichten?
TOPHOVEN Das wohl nicht. Aber die Verunsicherung wird sehr groß sein. Es soll ja wohl auch die militärische Kommunikation der höheren Ränge abgehört worden sein. Vielleicht stellen sie die Kommunikation so um, dass sie nach altväterlicher Sitte verstärkt mit Codes, per Schriftverkehr und Kurieren arbeiten.
Und es ist eine weitere Eskalation in Form eines Gegenschlags zu befürchten.
TOPHOVEN Natürlich ist das spekulativ. Der Schock sitzt sicher tief. Wie die Hisbollah darauf reagiert, lässt sich schwer sagen. Nur wieder Raketen zu schicken ist sicher schwierig, es müsste eine intelligentere Antwort sein. Ob die Hisbollah das in dieser Qualität leisten kann, ist fraglich.
Quellenangaben
Titelbild von Taras Vykhopen (KI generiert) – stock.adobe.com
RP-Online-Interview © vom 18.09.2024 | Jörg Isringhaus im Gespärch mit Rolf Tophoven