Traumstrände, Dschungelabenteuer, Großstadtfieber – all das bekommt man in Venezuela geboten. Für vier Wochen durfte ich Land und Leute kennenlernen und möchte meine Erfahrungen teilen.
Eine spannende Geschichte
Venezuela, gelegen zwischen Kolumbien und Brasilien, wird oft als Tor zu Südamerika beschrieben, da Christopher Columbus 1498 hier zum ersten Mal Festlandboden betrat. Der Name Venezuela wurde von Entdeckern wie Amerigo Vespucci verwendet und bedeutet so viel wie „kleines Venedig“, da die indigenen Völker traditionell ihre Häuser auf Holzpfählen im Wasser bauten. Wie jedes südamerikanische Land ist die Geschichte Venezuelas leider größtenteils nicht nur durch freundliches Zusammenleben geprägt, sondern auch durch die systematische Ausrottung der einheimischen Stämme durch die spanischen Eroberer und den Handel mit afrikanischen Sklaven. Unter dem Freiheitskämpfer und Landeshelden Simón Bolívar, der Venezuela die Unabhängigkeit von der spanischen Krone brachte, war es jedoch das erste Land auf den amerikanischen Kontinenten, das die Sklaverei abschaffte und andere inspirierte. Heute sind die afrikanischen, indigenen und europäischen Kulturen gemischt, was sich in der farbenfrohen Kunst, der temperamentvollen Musik und dem leckeren, gehaltvollen Essen widerspiegelt. Die Nationalgerichte Arepas, Cachapas und Empanadas sind allesamt Gebäcke aus Maismehl, die als Streetfood, aber auch in höherklassigen Restaurants angeboten werden. Achtung – lecker, aber Kalorienbomben!
Vielfalt im Überfluss
Aber nicht nur die menschlichen Einflüsse sind vielfältig. Venezuela gilt als eines der artenreichsten Länder der Erde und besitzt alle wichtigen Biotope – Regenwald, Savanne, Gebirge, Küsten, Wüste und Feuchtgebiete. Dort findet man Naturwunder, die es nirgendwo sonst auf diesem Planeten gibt. So durfte ich durch die Dschungelregion in Canaima auf Flussboten reisen, die beeindruckenden 2,2 Milliarden Jahre alten Tafelberge sowie den höchsten Wasserfall der Welt, den „Salto Ángel“, bestaunen. Oder an malerischen Karibikstränden mit azurblauem Wasser der Insel Margarita Cocktails genießen und dabei den Kitesurfern und Fischerbooten bei ihrem Tageswerk zusehen. In der weiten Savanne von Los Llanos kann man die atemberaubende Flora und Fauna, die typisch für diese Region ist, mit exotischen Tieren und einer außergewöhnlichen Landschaft. Auch der berühmte „Blitz von Catatumbo“, ein Phänomen, bei dem fast jede Nacht Blitze den Himmel erleuchten, ist ein faszinierendes Erlebnis, das man in der Nähe des Catatumbo-Flusses beobachten kann. Darüber hinaus bieten die Anden in Venezuela mit ihren schneebedeckten Gipfeln, malerischen Bergdörfern und traumhaften Wanderwegen eine völlig andere, aber genauso beeindruckende Seite des Landes.
Der Fluch der Karibik
Das Problem in Ländern mit reichen Schätzen ist, dass die Piraten nicht weit sind. So heißt der „Fluch der Karibik“ jedoch nicht Johnny Depp, sondern Korruption, Ausbeutung und Diktatur. Obwohl Venezuela mehr Ölvorkommen als Saudi-Arabien besitzt, leben 94 % unterhalb der Armutsgrenze und 62 % sogar in extremer Armut. Das sozialistisch geführte Land unter Diktator Nicolás Maduro befindet sich in einer schweren Inflation, weswegen sich 7 Millionen Venezolaner auf der Flucht befinden. Damit hat Venezuela weltweit den größten Flüchtlingsstrom aus einem Nicht-Kriegsgebiet. Aufgrund des unaufhaltbaren Wertverlusts des Bolívars (Währung) wurde die Notmaßnahme ergriffen, den US-Dollar als Zahlungsmittel zuzulassen. Der Dollar ist mittlerweile in vielen Bereichen des venezolanischen Lebens weit verbreitet und wird sowohl über offizielle als auch inoffizielle Kanäle gehandelt. Obwohl er zunehmend über Banken und Wechselstuben erhältlich ist, bleibt der Schwarzmarkt ein wichtiger Akteur, auf dem der Dollar oft zu einem höheren Kurs gehandelt wird. Dieser ist aufgrund der wirtschaftlichen Instabilität nach wie vor heiß begehrt, was zu weiter steigenden Preisen führt, die sich nur die allerreichsten Bewohner leisten können. Eine Pizza Margherita im Restaurant für 18 $ oder eine Packung Bratpaprika für 7 $ im Supermarkt sind daher keine Abzocke, sondern Realpreise. Kreditkarten und Visa Debit-Karten funktionieren in den meisten Fällen, das kontaktlose Bezahlen über das Handy nur selten. Für Reisende gilt, sich im Vorfeld mit US-Dollars einzudecken, um Zahlungskomplikationen zu vermeiden.
Zwar hätten die Wahlen im Juli letzten Jahres einen politischen und wirtschaftlichen Wandel bringen sollen, in autokratischen Regimen gehen diese aber selten gut für die Opposition aus. So wird der international anerkannte Sieger der Präsidentschaftswahlen, Edmundo González, mit einem Kopfgeld von 100.000 $ gesucht. Nach einigen Berichten der Weltpresse musste dieser nach Spanien ins Exil flüchten. Eine meiner größten Bedenken war es, in politische Tumulte und in Straßenschlachten zu geraten, was glücklicherweise ausblieb. Dennoch ist die Anspannung spürbar und Reisende oder die, die eine Reise planen, müssen die politischen Veränderungen im Land beobachten und bewerten.
Reisesicherheit und -hinweise
Das Auswärtige Amt rät von nicht notwendigen Reisen nach Venezuela ab, da es zu Komplikationen mit Ausweiskontrollen und möglichen Infrastrukturproblemen kommen könnte. Ein Visum für Touristen ist nicht nötig, für ein Arbeitsvisum sollte mit der deutschen Botschaft in Caracas Kontakt aufgenommen werden. Direktflüge von und in verschiedene Länder der Region, wie Panama, Peru und die Dominikanische Republik, sind bis auf Weiteres ausgesetzt. Der landesweite Ausnahmezustand gilt bereits seit Mai 2016, und der wirtschaftliche sowie medizinische Versorgungsnotstand besteht fort. Da die Datensammlung durch die politische und wirtschaftliche Lage im Land leidet, ist es unklar, welche Impfungen verpflichtend sind. Mein Reisearzt verabreichte mir daher eine Auffrischung der Hepatitis-, Tollwut-, Tetanus- und Gelbfieberimpfungen, um die wichtigsten Krankheiten abzudecken. Auch wurden Malariatabletten verschrieben, da meine Partnerin und ich uns in mosquitoreichen Gegenden, wie dem Dschungelgebiet Canaima, aufhielten. Durch die Unterversorgung der öffentlichen Krankenhäuser ist es anzuraten, bei einem Akutfall eine private Klinik aufzusuchen.
Verkehr und Sicherheit auf den Straßen
Auf unserer 5-stündigen Autofahrt von Caracas nach Puerto la Cruz gerieten wir in mehr als 20 Militär- und Polizeikontrollen, bei denen schwerbewaffnete Beamte uns nach unseren Papieren und dem Grund unserer Reise ausfragten. Der Straßenverkehr in Venezuela ist eine Herausforderung an sich, da dort nicht nach Straßenregeln, sondern nach Instinkt gefahren wird. Die Straßen in Großstädten sind oft überfüllt, weswegen das Vorankommen besonders zur Rush-Hour mit Geduld zu genießen ist. Sofern man noch nie in solchen Ländern selbst gefahren ist, ist von einem Mietwagen abzuraten, obwohl die Benzinpreise noch eine der günstigsten Reisekosten darstellen. Es wird empfohlen, offizielle Taxis oder Taxis von seriösen Unternehmen zu verwenden. In großen Städten gibt es einige Taxis, die durch Radio- oder Online-Dienste organisiert werden, was sie sicherer macht. Diese Taxis sind oft mit einer Telefonnummer oder einer speziellen Kennzeichnung versehen. Taxis, die spontan auf der Straße angehalten werden, sind weniger sicher.
Kriminalität in Venezuela
Die Gentrifizierung gepaart mit der breitflächigen Armut machte Caracas in der Vergangenheit zu einer der gefährlichsten Städte der Welt. Bewaffnete Raubüberfälle und sogar erpresserischer Menschenraub erzielten im globalen Vergleich Rekordzahlen. Interne Regierungsdaten von 2009 schätzten die Entführungen landesweit auf ca. 17.000 Fälle pro Jahr. Regierungsstatistiken aus 2011 wiesen auf durchschnittlich 2 Entführungen pro Tag hin, während andere Schätzungen sogar von 50 Entführungen täglich ausgingen. Die Vorgehensweise der Täter nennt sich „Secuestro Exprés“, bei der Kriminelle eine Person für eine kurze Zeit entführen und sie zwingen, Bargeld von Geldautomaten abzuheben oder Familienangehörige zur Zahlung eines schnellen Lösegeldes zu drängen. Sobald das Maximum an Geld erbeutet wurde, lassen sie das Opfer oft an einem abgelegenen Ort frei. Die Entführer lauern oft auf engen Bergpässen mit fehlenden Fluchtmöglichkeiten oder in besonders armen Vierteln auf, in den sogenannten „Ranchos“ (Barrios, Favelas etc.). Diese werden durch Schießereien zwischen Banden, organisierten Verbrechen, Rachemorden sowie Drogen- und Waffenhandel seit jeher in Atem gehalten.
Mit einem Kriminalitätsindex von 80,7 im Jahr 2025 zählt Venezuela weiterhin zu den Ländern mit der höchsten Kriminalitätsrate. Laut dem Global Index von 2023 bleibt Caracas die gefährlichste Stadt der Welt. Dennoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten fünf Jahren spürbar verbessert. Eine verstärkte Polizeipräsenz sowie die Abwanderung vieler Kleinkrimineller haben dazu beigetragen, dass Einheimische inzwischen wieder häufiger ihr Smartphone auf offener Straße nutzen können. Dennoch ist stets Vorsicht geboten – bestimmte Viertel sollten gemieden und nächtliche Spaziergänge vermieden werden. Urlaubsziele wie die Inseln Margarita oder Los Roques sind durch verschärfte Einreisekontrollen der Polizei und des Militärs deutlich sicherer als Städte auf dem Festland. Die touristischen Gegenden, wie der Nationalpark Canaima, der Nationalpark El Guácharo im Bundesstaat Monagas oder der Nationalpark San Esteban im Bundesstaat Carabobo, gelten als sicherer, da hier die abgelegene Lage, eine touristische Infrastruktur und Zugangskontrollen für mögliche Gewaltverbrechen eine zu große Hürde darstellen. Aber auch hier gilt: Vorsicht ist besser als Nachsicht.
Empfohlene Reisevorbereitungen
Es empfiehlt sich, im Voraus Ortskenntnisse zu erwerben und mit einem „Local Guide“ unterwegs zu sein, da Englisch von den Einheimischen nur selten gesprochen wird. Spanischkenntnisse, zumindest auf Basisniveau, sind unerlässlich, um Missverständnisse zu vermeiden. In meinem Fall hatte ich das Glück, mit meiner spanischsprechenden Partnerin und ihrem Vater zu reisen, die beide aus Caracas stammen und bestens mit der Gegend vertraut sind. Zudem ist es ratsam, immer etwas Bargeld für den Notfall dabei zu haben, um im Falle eines Übergriffs den Tätern etwas geben zu können. Es ist auch sinnvoll, ein günstiges Zweittelefon mitzunehmen. Teure Uhren oder auffälliger Schmuck sollten nicht mit auf die Straße genommen werden und besser zu Hause bleiben.
Fazit: Eine unvergessliche Erfahrung trotz Herausforderungen
Persönlich habe ich keine kritischen Vorfälle erlebt – im Gegenteil: Überall wurde ich herzlich empfangen. Trotz aller Herausforderungen sind die Venezolaner ein lebensfrohes und stolzes Volk, das offen für andere Kulturen ist und seine eigene mit Begeisterung teilt. Die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die ich dort erfahren habe, übertreffen in mancher Hinsicht sogar die Mentalität in Deutschland. Das Zuvorkommen der Venezolaner, von dem bereits Alexander von Humboldt berichtete, konnte ich selbst erfahren. Trotz sprachlicher Barrieren wurde geholfen, trotz finanzieller Probleme wurde von den Einheimischen geteilt und sogar ausgegeben.
Also eine rundum positive Erfahrung. Wer freundliche Menschen, köstliches Essen, atemberaubende Landschaften und traumhaftes Wetter schätzt, findet in Venezuela ein einzigartiges Reiseziel. Sobald sich das berühmte Bauchgefühl und die politische Lage während der Reise jedoch in das Negative wandeln sollten, ist ein sofortiger Reiseabbruch zu empfehlen. Die unsicheren Umstände, die in einigen Teilen des Landes herrschen, dürfen nicht unterschätzt werden, und es ist wichtig, jederzeit wachsam zu bleiben. Nichtsdestotrotz – mit der richtigen Vorbereitung, einer flexiblen Planung und einem wachsamen Auge kann diese Reise zu einem unvergesslichen Erlebnis werden, das einem noch lange in Erinnerung bleibt. Wer sich der Herausforderungen bewusst ist, kann in Venezuela die wahre Schönheit und den einzigartigen Charme eines Landes erleben, das trotz seiner Schwierigkeiten viel zu bieten hat.
Quellenangaben
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