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Find, fix, finish – gezielte Tötungen

Find, fix, finish – gezielte Tötungen

Find, fix, finish – gezielte Tötungen

Israel setzt seit Jahrzehnten auf gezielte Tötungen von Terroristen. Der Ausschaltung von Führungskräften von Hamas und Hisbollah geht stets eine präzise nachrichtendienstliche Aufklärung und eine minutiöse Planung voraus. Immer wieder enthauptet Israel die gegen das Land gerichteten Terrororganisationen. Doch der gewalttätigen Hydra wachsen immer neue Köpfe nach.

Es ist der 16. Februar 1992, Südlibanon. Kurz nach 16 Uhr greifen an diesem Tag zwei israelische Kampfhubschrauber vom Typ Apache mit Raketen und Bordwaffen eine Fahrzeugkolonne des damaligen Hisbollah-Chefs Abbas Mussawi an. In einem Feuerball endet das Leben eines der Spitzenfunktionäre der vom Iran unterstützten schiitischen Hisbollah, der „Partei Gottes“. Zusammen mit dem 39-jährigen Mussawi, einem der damals wichtigsten Anführer des Terrorismus im Nahen Osten, sterben seine Frau, sein fünfjähriger Sohn und acht Leibwächter.

Vor einigen Wochen, am 17. Oktober 2024, wiederholt sich 22 Jahre nach der Tötung Mussawis ein ähnliches Szenario; Kampfjets der israelischen Luftwaffe greifen mitten in Beirut mit bunkerbrechenden Raketen und Bomben die Zentrale der Hisbollah im Libanon an. Das stockwerktief in die Erde eingegrabene Lage- und Führungszentrum der Terrormiliz wird pulverisiert. Top-Ziel dieses Angriffs war Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. Er wird getötet. Damit stirbt jener Mann, der als Nachfolger Mussawis drei Jahrzehnte lang die Hisbollah geführt und sie ideologisch und militärisch zu einer paramilitärischen Terrormiliz im Libanon ausgebaut hatte. Für Israel war die Hisbollah eine permanente Bedrohung an seiner Nordgrenze.

Beide Aktionen demonstrieren den fast 40 Jahre andauernden Kampf Israels gegen die libanesische Terrorfiliale der iranischen Mullahs. Israel führt diesen Kampf gegen die Hisbollah gnadenlos, erst recht nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023. Nach deren Überfall auf Israel mit 1.200 Toten und geschändeten und verschleppten Geiseln eröffnete die Hisbollah nur einen Tagt später ihre Unterstützungsoffensive für die Hamas. Mit Raketen, Artilleriegranaten und Drohnen ging die „Partei Gottes“ gegen den Norden Israels vor.

Bei den geschilderten Aktionen gegen die Anführer des Hisbollah-Terrors demonstrierte Israel allerdings erneut die Schlagkraft seiner Geheimdienste, besonders des Mossad und des militärischen Geheimdienstes Aman. Allen Aktionen gegen Führungspersonen des Gegners geht eine intensive nachrichtendienstliche Aufklärung voraus, ehe eine minutiöse militärische Planung ausgearbeitet wird. Dabei setzt Israel die gesamte Palette nachrichtendienstlicher Methoden von der elektronischen Aufklärung bis zu HUMINT (Human Intelligence, also Zuträger im unmittelbaren Umfeld der Zielpersonen) ein, bevor durch Angriffe der Luftwaffe, Kommandotrupps, Bomben oder Drohnenangriffe die Zielperson neutralisiert wird.

Israels Taktik und Strategie der gezielten Tötungen ist seit Jahrzehnten ein Kernelement der Terrorismusbekämpfung. Das Land setzt seit den frühen 1970er-Jahren die Tötung von Terroristen offen als militärisches Mittel ein. Moralische Bedenken gab und gibt es nicht. Israel sieht sich angesichts der existenziellen Bedrohung durch die islamistischen Fanatiker auf der Seite des Rechts.

In der jüngsten Auseinandersetzung mit der radikalislamischen Terrormiliz Hisbollah seit dem 7. Oktober 2023 lieferte der israelische Geheimdienstverbund von Mossad und Aman ein nachrichtendienstliches Glanzstück nach dem anderen und führte perfekt vorbereitete Operationen aus. Die Geheimdienste hatten etwas gut zu machen, hatten sie doch in der Vorhersage des Massakers vom 7. Oktober komplett versagt. Umso mehr setzten sie in der Folge alles daran, die Scharte, die schwer auf den Diensten lag, auszuwetzen. Einer der Coups, die ihnen gelang, war in jeder Hinsicht außergewöhnlich und hob sich von den üblichen gezielten Tötungen ab.

Am 16. und 17. September vergangenen Jahres explodierten bei der Hisbollah zeitgleich rund 3.000 Pager und Walkie-Talkies in den Händen ihrer Besitzer. 37 Spitzenfunktionäre der Hisbollah, hunderte Sympathisanten, aber auch ahnungslose Benutzer der Pager wurden getötet oder zum Teil schwer verletzt. Dem Mossad war es in nach jahrelanger Vorbereitung gelungen, sich mit eigenen Tarnfirmen in die Strukturen und Lieferketten der Hisbollah einzuklinken, ohne entdeckt zu werden. Die manipulierte Bestellmenge wurden in großem Stil an die Terrormiliz verkauft. Zuvor waren die Geräte, möglicherweise in Israel selbst, mit Sprengstoff, Zünder und einem zuvor aufgeklärten Geheimcode oder Schlüsselwort aus der höchsten Führungsetage der Hisbollah ausgestattet worden. Dieser Code löste dann die Explosion der Geräte bei Anruf aus. Befreundete Dienste in den USA und in Europa staunten nicht schlecht über dieses außerordentlich lang vorbereitete, extrem komplizierte und risikoreiche Husarenstück der Israelis. Neben umfangreicher elektronischer Aufklärung von Zielpersonen und Führungseliten war auch hier die Arbeit von HUMINT, der Human Intelligence, also das Heranführen einer menschlichen Quelle an die Zielpersonen, das entscheidende Erfolgsmoment. Die ahnungslose Hisbollah bestellte und kaufte ihre Pager, ohne es zu wissen – beim Mossad.

In die Reihe der gezielten Angriffe auf identifizierte Führungspersonen des Gegners zählt auch der Enthauptungsschlag gegen die Radwan-Elitetruppe der Hisbollah. Am 20. September 2024 wurde fast die gesamte militärische Führungselite der Hisbollah ausgeschaltet. Hierbei gingen die Israelis nicht wie bei der Pager-Aktion vor, sondern mit einem massiven Militärschlag: Ein israelischer Kampfjet vom Typ F-35 zerstörte chirurgisch präzise mit vier Raketen ein Gebäude mitten in Südbeirut. In dem Haus hatte sich der Kommandeur der Radwan-Truppe, Ibrahim Aqil, mit etwa 20 Getreuen zu einer Lagebesprechung getroffen. Den Angriff überlebte keiner von ihnen, wodurch die taktische Führungsfähigkeit der im Südlibanon im Grenzsektor zu Israel eingesetzten Spezialeinheit fürs Erste zerstört wurde. In der Folge wurde auch das Kommunikationssystem der „Partei Gottes“ aufgeklärt und weitgehend zerstört. Große Teile des Raketenarsenals sind ebenfalls zerbombt, zudem ist die Produktion von Raketen mit ihren Abschussrampen lahmgelegt.

Die Zielsetzung des „Targeted Killing“ fasste einmal ein früherer Berater für Terrorismusbekämpfung bei einem israelischen Ministerpräsidenten so zusammen: „Jeder Terrorist muss wissen, dass wir es sein können, wenn es morgens gegen 4 Uhr bei ihm an die Tür klopft – es ist nicht der Bäcker oder der Milchmann.“ Diese Aussage umreißt ein fundamentales Element des gezielten Tötens: psychischer Druck. Die Führungselite jeder Israel feindlich gesonnenen Organisation soll unter permanenter Unsicherheit und Todesangst leben, an keinem Ort soll sie ruhig schlafen können. Die Botschaft lautet: „Wir kennen euch und wissen, wo ihr seid. Und wir können jederzeit zuschlagen.“

Gezielte Tötungen sind nur schwer vom politischen Mord oder einem Attentat abzugrenzen. Befürworter sehen allerdings eindeutige Unterschiede und betonen, dass es sich bei der gezielten Tötung um eine sowohl legitime als auch völkerrechtlich legale Maßnahme der Terrorismusbekämpfung handelt. Politikwissenschaftler in den USA haben die gezielte Tötung eindeutig als eine legitime Antiterrorstrategie beschrieben, die Regierungen gegen Terroristen allein zum Schutz vor Bedrohungen ihrer Sicherheit einsetzen. So schreibt Thomas B. Hunter, früherer Analytiker des US-Militärgeheimdienstes DIA: Eine gezielte Tötung ist „die geplante, vorbeugende und absichtliche Tötung eines Individuums oder mehrerer Individuen, von denen bekannt ist oder angenommen wird, dass sie aufgrund ihrer Kontakte zu Terrorgruppen eine gegenwärtige oder zukünftige Bedrohung für die Sicherheit des Staates darstellen.“ Selektive Tötungen in einem größeren militärischen und politischen Konflikt können für den Angreifer von operativem, taktischen oder gar strategischem Vorteil sein.

Im Völkerrecht gibt es den Begriff gezielte Tötung allerdings nicht, und er wird
sehr unterschiedlich von Juristen, Wissenschaftlern und Regierungen verwendet und definiert. In jedem Fall handelt es sich um eine Methode der Kriegführung im 21. Jahrhundert, in der nicht mehr nur Staaten gegen Staaten kämpfen, sondern auch Staaten gegen Individuen, wie beispielsweise die Jagd der USA auf den Drahtzieher des Anschlags vom 11. September 2001, Osama bin Laden gezeigt hat. Ein anderes Beispiel ist die Tötung des iranischen Generals Qasem Soleimani, des Chefs der Al-Quds-Spezialeinheit der iranischen Revolutionsgarden durch eine US-Drohne 2020.

Die Methode richtet sich gegen Einzelpersonen oder kleine Gruppen, die nach Ansicht des herausgeforderten Staates als illegitim und kriminell gelten. Daher sehen die USA und Israel, die gezielte Tötungen am offensivsten und häufigsten anwenden, diese Taktik als berechtigte Reaktion auf die Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit an. Für sie sind gezielte Tötungen Akte der Selbstverteidigung. In der US-Militärsprache heißt dieser Ansatz „find, fix, finish“: den Feind aufzuspüren, ihn bewegungsunfähig machen und ausschalten.

Neben den erwähnten Schlägen gegen die Führungselite der Hisbollah verfolgt Israels Antiterrorstrategie gezielt seit Jahren die komplette Spitze der Terrorkader der Hamas. Die Liste der von ihnen bislang gezielt getöteten Hamas-Chefs liest sich wie ein Who-is-who im nahöstlichen Terrorszenario: vom Bombeningenieur Salim Jamil Ayash, den der Mossad 1996 mit einem präparierten Mobiltelefon tötete, über Hamas-Gründer Scheich Ahmad Yassin (getötet 2004 in Gaza durch drei Hellfire-Raketen eines israelischen Militärhubschraubers) bis hin zum Politchef der Hamas, Ismail Haniyah, der mitten in Teheran liquidiert wurde. Frühes Beispiel dieser Strategie sind die Tötungen der Mörder der israelischen Sportler bei den Olympischen Spielen 1972 in München: von ihnen wurden von Israelis elf aufgespürt und ausgeschaltet.

Grünes Licht zur Durchführung einer gezielten Tötung gibt nach Überprüfung aller geheimdienstlichen und militärischen Erkenntnisse sowie der Vorlage des Operationsplans der jeweilige israelische Ministerpräsident. In den USA ist es der Präsident persönlich. Wie bedeutsam diese Strategie ist, zeigt der Anteil Israels am Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad im vergangenen Dezember. Israel zerstörte durch seine Luftwaffe die Logistikstränge Teherans via Syrien zur Hisbollah im Libanon, die zu den Stützen des Regimes im Nachbarland gehörten. Fast die gesamten Waffendepots der Hisbollah wurden zerstört. Die komplette Führungsetage der Terrormiliz wurde gezielt getötet oder durch Schläge der israelischen Luftwaffe ausgelöscht.

Israels Militärstrategie ist bislang in Sachen Hisbollah und Syrien nicht zuletzt durch die gezielten Tötungen aufgegangen. Nach den Wirren um den Sturz Assads, den Schlägen gegen Hamas und Hisbollah und angesichts eventueller Bedrohungen aus Syrien durch neue Machtstrukturen dort, besetzte Israels Armee auch noch die seit 1974 existierende Pufferzone an den Golanhöhen als vorbeugende Maßnahme. Militärisch gesehen ist der jüdische Staat aktuell in einer vorteilhaften Situation in Bezug auf den Libanon und Syrien. Es fragt sich nur, wie lange. Denn so wirksam gezielte Tötungen kurz- und mittelfristig auch sein können – der Hydra des nahöstlichen Terrorismus erwachsen immer wieder neue Köpfe.

Quellenangaben
Titelbild von ABCreative – stock.adobe.com

Zuerst erschienen
Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e. V. © vom 23.04.2025

Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen. Schwerpunkt seiner journalisti- schen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. ⇒ mehr erfahren

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