Rolf Tophoven im FOCUS-Online-Interview über den Anschlag in Solingen.
Der IS hat den Terroranschlag von Solingen für sich reklamiert. Der Terrorismusexperte Rolf Tophoven erklärt im Interview, für wie authentisch er das Bekennerschreiben hält – und warum der Täter von Solingen für ihn das klassische Profil des islamistischen Terrors aufweist.
FOCUS online: Herr Tophoven, der IS hat den Terroranschlag in Solingen für sich deklariert. Ist das Bekennerschreiben, was durch die Medien kursiert, authentisch?
Rolf Tophoven: Ja, das nehme ich an. Der IS hat eine gut arbeitende Propaganda-Organisation namens „AMAK“. Die tut alles dafür, solche Anschläge von Islamisten zu besetzen, nicht nur in Nahost, sondern auch in Ländern wie Deutschland.
Experte über Solingen-Tat: „Es existieren genaue Anleitungen, wie man ‚Ungläubigen‘ töten soll“
Welche Rolle spielt diese Propaganda auch in Hinblick auf die Radikalisierung von Islamisten?
Tophoven: Eine entscheidende. Als der IS 2019 in Syrien und im Irak geschlagen wurde, hat er Videos im Internet mit der Botschaft verbreitet: „Greift die Ungläubigen an, mit Autos, mit Steinen, mit Messern oder mit Sprengstoff.“ Es existieren im Netz genaue Anleitungen, wie man diese „Ungläubigen“ töten soll.
Und so könnte sich auch der Täter von Solingen radikalisiert haben?
Tophoven: Dieser 26-jährige Syrer, der jetzt festgenommen wurde, hat für mich das klassische Profil des militanten islamistischen Terrors: Er ist als Asylant nach Deutschland gekommen, möglicherweise schon mit dem Auftrag, islamistische Terroraktionen zu begehen. Oder er hat sich hier alleine radikalisiert.
So oder so ist seine Tat ein professionelles und geplantes Vorgehen gewesen. Er hat die Menschen gezielt am Hals getroffen, um sie umzubringen – und es existieren Videos des IS im Netz, wie genau man jemanden mit einem Messer tötet. Das ist meiner Meinung nach ein Vorgehen von militanten Einzeltätern, mit dem wir auch in Zukunft rechnen müssen.
Besonders eines macht mir hier Sorgen: „Es ist heute ein virtueller Terror“
Nämlich?
Tophoven: Dass der Täter von Solingen der Polizei nicht als Islamist bekannt war. Wir müssen also angesichts dieses Falles davon ausgehen, dass hier noch andere sogenannte „Glaubenskrieger des Islamischen Staats“ leben, die nicht polizeibekannt sind, die aber durch die sozialen Netzwerke radikalisiert sind und auch aus der Ferne durch Messenger-Dienste vom IS gelenkt werden. Diese Dunkelziffer von unbekannten Tätern ist meiner Meinung nach die größte Gefahr, der wir uns in Deutschland jetzt stellen müssen.
Sie sprechen von Messenger-Diensten und TikTok-Videos: Das Wiederaufkeimen des IS hat also viel mit seinen Verbindungen im Netz zu tun?
Tophoven: Auf jeden Fall. Der IS ist heute weltweit vernetzt – von Asien, über Afrika und Europa bis in die USA. Wir erleben dadurch jetzt eine Renaissance des IS – er hat sich erholt.
Überall haben wir sogenannte Zellen. Auch der Täter von Solingen ist in diesem „Weltnetz“ eingebunden gewesen – ob er in Syrien in Trainingscamps war, oder von zu Hause aus auf TikTok unterwegs. Es ist heute ein virtueller Terror. Das macht das Ganze so wenig greifbar und stellt eine große Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar.
Quellenangaben
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FOCUS-Online-Interview mit Rolf Tophoven am 26.08.2024 | FOCUS-Online ©