In der Zeit nach Silvester, in der die Schlagzeilen zumindest hier in Berlin von nächtlichen Ausschreitungen, Angriffen auf Rettungskräfte und zunehmender Respektlosigkeit gegenüber Ordnungshütern voll sind, stellt sich eine Frage mit besonderer Dringlichkeit: Was kostet uns als Gesellschaft die Gewalt gegen diejenigen, die unsere Sicherheit im Inneren schützen sollen?
Das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS) hat mit der von Johannes Rieckmann und Esther Kern verfassten Studie „Die Kosten der Gewalt gegen polizeiliche Einsatzkräfte“ einen Versuch unternommen, diese Kosten (erneut) zu quantifizieren. Bei einer solchen Berechnung müssen natürlich zahlreiche Annahmen getroffen werden, weil wichtige Daten nicht erhoben werden oder nicht öffentlich sind. Doch es kommt bei dem Ergebnis nicht darauf an, ob die errechneten Kosten auf die Millionen genau sind. Vielmehr die Größenordnung ist für die gesellschaftliche Debatte und die politischen Konsequenzen von Bedeutung.
Die Anatomie eines unterschätzten Problems
Eventuell empfinden Sie es als eine absurde Vorstellung, die Kosten der Gewalt gegen Menschen in Euro ausdrücken zu wollen? Ich tue dies nicht und finde es als Grundlage für den gesellschaftlichen Diskurs und für politische Entscheidungen im Gegenteil gerade wichtig, um eine Einordung über die Relevanz vornehmen zu können.
Die BIGS-Studie, die im Auftrag des Taser-Herstellers Axon erstellt wurde, wagt einen solchen Versuch und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Die Zahl der Übergriffe auf Polizeibeamte ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. So rechnen die Autoren für das Jahr 2022 mit über 600.000 Übergriffen gegen Polizeivollzugsbeamte in Deutschland. Bleibende körperliche Schäden treten dabei zwar nicht häufig auf, haben aber schwerwiegende und langfristige Folgen. Allein diese kosten rund 553 Millionen Euro. Ein weiterer großer Kostenblock sind zusätzliche Personalkosten durch die für den notwendigen Vertretungsdienst vorzuhaltende Polizisten, die ihre dienstunfähigen Kollegen ersetzen. Während die Quantifizierung der dauerhaften Dienstunfähigkeiten und Frühpensionierungen mangels verfügbarer Daten nicht möglich ist, errechnen Rieckmann und Kern für die vorübergehende (eingeschränkte) Dienstunfähigkeit einen Wert von über 300 Millionen Euro. Insgesamt verursachen gewalttätige Auseinandersetzungen gegen Polizeivollzugsbeamten nach ihren Berechnungen jährlich Kosten von mehr als 1,1 Milliarden Euro.
Und dies ist nur der offensichtliche Teil. Die Berechnungen umfassen lediglich die unmittelbaren Kosten wie medizinische Behandlungen, Dienstausfälle, Sachschäden, Ermittlungs- und Justizkosten. Was sie nicht einschließen, sind die langfristigen, oft unsichtbaren Folgen für die Betroffenen, ihre Familien und letztlich für die gesamte Gesellschaft.
Hier offenbart sich ein Paradoxon: Diejenigen, die uns schützen sollen, bedürfen selbst des Schutzes. Polizisten stehen an vorderster Front, wenn es darum geht, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten oder durchzusetzen. Sie sind das Gesicht des Staates in Konfliktsituationen mit dem Bürger. Doch genau diese exponierte Position macht sie verwundbar – physisch als auch psychisch.
Diese Zahlen sind mehr als Statistik. Sie sind ein Alarmsignal für eine Gesellschaft, die Gefahr läuft, den Respekt vor ihren Ordnungshütern zu verlieren.
Die versteckten Kosten der Gewalt
Doch die vollständigen Kosten der Gewalt gegen Polizisten sind nicht nur der Arbeitsausfall und die Behandlungskosten der körperlichen Verwundungen. Sie manifestieren sich mittelbar in Form eines Vertrauensverlusts, sinkender Arbeitsmoral (und damit Produktivität) und einem schleichenden Gefühl der Unsicherheit, das sich wie ein Ölfilm über die Gesellschaft legt.
Denken wir an die psychischen Folgen für die betroffenen Beamten. Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen, Burn-out – die Liste der möglichen Konsequenzen ist lang und die Auswirkungen oft langfristig. Diese „weichen“ Faktoren finden in den offiziellen Statistiken kaum Beachtung, sind aber für die Betroffenen, ihnen nahestehenden Personen und nicht zuletzt auch den Arbeitgeber von erheblicher Bedeutung.
Gewalt als Multiplikator gesellschaftlicher Spannungen
Was die BIGS-Studie ebenfalls deutlich macht: Gewalt gegen Polizisten ist ein Multiplikator gesellschaftlicher Spannungen. Sie untergräbt das Vertrauen in staatliche Institutionen und kann zu einer Spirale der Gewalt führen. Wenn diejenigen, die Recht und Ordnung verkörpern, selbst zu Opfern werden, sendet dies ein fatales Signal an die Gesellschaft.
Hier zeigt sich die wahre Tragweite des Problems: Es geht nicht nur um einzelne Übergriffe, sondern um die Integrität des Rechtsstaats als Ganzes. Jeder Angriff auf einen Polizisten ist mittelbar auch ein Angriff auf die gesellschaftliche Ordnung.
Die Herausforderung für Politik und Gesellschaft
Für die Politik ergibt sich aus der BIGS-Studie eine komplexe Herausforderung. Einerseits muss sie die Sicherheit der polizeilichen Vollzugskräfte gewährleisten, andererseits darf sie das Vertrauen der Bürger in die Polizei nicht durch überzogene Maßnahmen gefährden.
Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz, der über simple „Null-Toleranz“-Rhetorik hinausgeht. Bessere Ausrüstung und psychologische Unterstützung, aber auch eine Kultur der Deeskalation und des gegenseitigen Respekts müssen Teil einer Strategie sein.
Die technologische Dimension
In einer zunehmend digitalisierten Welt gewinnt auch die technologische Dimension an Bedeutung. Bodycams, Distanzelektroimpulsgeräte, verbesserte Schutzausrüstung, aber auch Deeskalations-Apps und VR-basierte Trainingsszenarien können dazu beitragen, Polizisten besser zu schützen und gleichzeitig die Transparenz polizeilichen Handelns zu erhöhen. Doch Technologie allein ist kein Allheilmittel. Sie muss eingebettet sein in ein Gesamtkonzept, das die menschliche Komponente nicht aus den Augen verliert. Empathie, interkulturelle Kompetenz und Deeskalationsfähigkeiten sind Schlüsselqualifikationen, die kein noch so ausgeklügeltes technisches System ersetzen kann.
Die gesellschaftliche Dimension
Die BIGS-Studie macht deutlich: Die Kosten der Gewalt gegen Polizisten sind nicht nur ein Problem der Sicherheitsbehörden, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Es geht um die Frage, welchen Wert wir als Gesellschaft dem Schutz derjenigen beimessen, die uns schützen.
Hier sind wir alle gefordert. Es braucht einen gesellschaftlichen Diskurs über Respekt, Autorität und die Regeln des gegenseitigen Umgangs. Schulen, Medien, zivilgesellschaftliche Organisationen – sie alle müssen Teil einer breit angelegten Strategie zur Gewaltprävention sein.
Fazit: Ein Weckruf für die Gesellschaft
Die Studie ist mehr als eine Ansammlung von Zahlen. Sie ist ein Weckruf an eine Gesellschaft, die bislang die Augen vor den Kosten der Gewalt gegen ihre Ordnungshüter verschließt.
Mindestens 1,1 Milliarden Euro gesellschaftlicher Kosten sind nicht nur eine haushalterische Zahl. Es ist verlorenes Vertrauen, es sind traumatisierte Beamte, und eine Hypothek auf den sozialen Frieden. Aber es ist zugleich ein Aufruf neu zu denken, wie wir als Gesellschaft im Innern mit Autorität, Respekt und Konflikt umgehen wollen.
Die wahre Herausforderung liegt darin, eine Balance zu finden. Eine Balance zwischen notwendiger Härte und deeskalierender Milde, zwischen Schutz der Beamten und Wahrung der Bürgerrechte. Es ist an der Zeit, dass wir als Gesellschaft einen offenen, ehrlichen Dialog über Gewalt gegen Polizisten und ihre Kosten führen. Nicht mit dem Ziel, Angst zu schüren oder Fronten zu verhärten, sondern um gemeinsam Lösungen zu finden. Lösungen, die über Parteigrenzen und Legislaturperioden hinausgehen.
In einer Welt, die von zunehmender Polarisierung geprägt ist, müssen wir die Kosten der Gewalt gegen Polizisten als das begreifen, was sie sind: ein Symptom tieferliegender gesellschaftlicher Probleme, die nur gemeinsam bewältigt werden können. Die Kosten der Gewalt gegen polizeiliche Einsatzkräfte sind eine Aufforderung zum Handeln und zur Veränderung damit folgende Silvester nicht weiter ein polizeiliches Großereignis sind, sondern wir uns auf das eigentliche konzentrieren können. Mit Hoffnung und Zuversicht ein neues Jahr willkommen zu heißen.
Quellenangaben
Titelbild von Ruslan Batiuk – stock.adobe.com (generiert mit KI)