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Zivile Verteidigung in Schweden

Zivile Verteidigung in Schweden

Zivile Verteidigung in Schweden

Im November 2024 versandte das schwedische Verteidigungsministerium eine Neuauflage seiner Broschüre „Im Fall von Krise oder Krieg“ an alle Haushalte im Land. Ziel der Broschüre ist es, jeden einzelnen Bürger auf diverse Krisenszenarien vorzubereiten – von Terrorismus und Umweltkatastrophen bis zu Seuchen. Im Fokus steht die Möglichkeit eines bewaffneten Angriffs auf Schweden und die NATO; die gestiegene Gefahr eines Krieges wird klar benannt. Die Broschüre reflektiert die veränderte Sicherheits- und Bedrohungslage durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die Zunahme hybrider Bedrohungen wie Cyber-Attacken, Desinformation und Sabotage. Alle Bürger werden individuell adressiert und in die Pflicht genommen: „You are part of Sweden’s overall emergency preparedness.“

Die Handreichung ist ein Lehrstück für gesamtstaatliche Verteidigung in der Praxis. Sie enthält wichtige Informationen und praktische Ratschläge, was jeder und jede Einzelne zur zivilen Verteidigung beitragen kann – schon bevor der Ernstfall tatsächlich eintritt. Den Schweden wird etwa geraten, sich in einer der zahlreichen freiwilligen Verteidigungsorganisationen zu engagieren, Blut zu spenden und Erste-Hilfe-Kurse zu absolvieren. Die Bedeutung von verschiedenen Sirenensignalen wird einfach erläutert, und es wird erklärt, wo die Bürger im Falle eines bewaffneten Angriffs am besten Schutz suchen. Tipps zur psychologischen Verteidigung gegen Desinformation und zum Thema digitale Sicherheit stärken die Resilienz der Zivilgesellschaft gegen feindliche Einflussnahme. Checklisten unterstützen dabei, das eigene Heim etwa mit Wasser-, Lebensmittel- und Batterievorräten krisenfest zu machen und sich auf mögliche Evakuierungen vorzubereiten. Die gesamte Bevölkerung wird auf individueller und kollektiver Ebene für unsichere Zeiten gewappnet. Die Botschaft ist klar: Eine gut informierte und vorbereitete Bevölkerung ist der Schlüssel zu nationaler Resilienz.

Die Broschüre „Im Fall von Krise oder Krieg“ ist dabei nur ein kleiner Teil des schwedischen „Total Defence“-Systems. Dieser holistische Ansatz ist mit dem deutschen Konzept der gesamtstaatlichen Verteidigung vergleichbar, das jedoch noch in den Kinderschuhen steckt. In Schweden wird Verteidigung grundsätzlich zivil-militärisch gedacht, und das Verteidigungsministerium wird gleich von zwei Ministern geführt – einem für zivile und einem für militärische Verteidigung. Das Prinzip der zivilen Verteidigung integriert neben allen Einwohnern Schwedens auch Regierungsorganisationen, regionale und lokale Behörden, den privaten Sektor und Non-Profit-Organisationen in die nationale Verteidigungsstrategie. Zu ihren wichtigsten Funktionen gehört es, die Zivilbevölkerung zu schützen, zentrale öffentliche Dienstleistungen – etwa im Energie-, Verkehrs- oder Gesundheitssektor – auch in Krisen- und Kriegszeiten aufrechtzuerhalten und zugleich die militärische Verteidigung zu unterstützen.

Bei einer Veranstaltung an der Berliner Hertie School erklärte Carl-Oskar Bohlin, schwedischer Minister für zivile Verteidigung: „Abschreckung und Verteidigungsbereitschaft beginnen nicht am Lauf einer Waffe. Sie beginnen mit einer widerstandsfähigen Gesellschaft!“ Das schwedische Konzept der totalen Verteidigung geht zurück auf die Zeit des Kalten Krieges und ist Ausdruck einer tief verwurzelten strategischen Kultur. Anders als in Deutschland, wo erst 2022 die Zeitenwende ausgerufen wurde, reaktivierte in Schweden eine rot-grüne Regierung schon 2017 die Wehrpflicht. Die Akzeptanz bei den schwedischen Bürgern ist hoch und seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs noch gewachsen. Auch die fortgesetzte Unterstützung für die Ukraine ist nahezu konsensual in dem nordischen Land mit Grenze zu Russland. Während schon das Sprechen über Krieg und Abschreckung in Deutschland häufig als Panikmache abgewehrt wird, verstehen die Schweden Informiertheit und eine gute Vorbereitung auf mögliche Krisenszenarien im Gegenteil als hilfreich im Umgang mit Angst und Verunsicherung. Durch Maßnahmen wie die Broschüre „Im Fall von Krise oder Krieg“ wird die Handlungsfähigkeit der Bevölkerung gestärkt und so einem Gefühl von Ohnmacht entgegengewirkt. Jeder weiß genau, was er im Ernstfall zu tun hat, wie er sich und andere bestmöglich schützt und was er zur gesamtgesellschaftlichen Verteidigung beitragen kann.

Quellenangaben
Titelbild von luzitanija – stock.adobe.com

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