Anlässlich der Internationalen Fachtagung zur Organisierten Kriminalität und Korruption am 13. November 2012 in Moskau lieferte der Bayerische Landespolizeipräsident Waldemar Kindler einen Überblick über die entscheidenden Entwicklungen bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Dabei stehen insbesondere die weltweit operierenden kriminellen Netzwerke im Fokus der Sicherheitsbehörden.

Trotz der stabilen Sicherheitslage in Deutschland gibt es bei uns Kriminalitätsphänomene, die uns erheblich Sorge bereiten. Dabei spielen vor allem Delikte, die von organisierten Tätergruppen begangen werden, eine maßgebliche Rolle.

Die Anzahl der Verfahren mit Bezug zur Organisierten Kriminalität in Deutschland ist 2011 mit 589 Ermittlungskomplexen (2010: 606) auf hohem Niveau. (Bayern 2011: 86 Ermittlungskomplexe; 2010: 98). Das liegt insbesondere am starken pro-aktiven Engagement unserer Kriminalpolizei. Mit allen uns zur Verfügung stehenden rechtlichen und taktischen Mitteln versuchen wir, in die abgeschotteten kriminellen Strukturen vorzudringen und die Organisierte Kriminalität nachhaltig zu zerschlagen. Schon immer haben organisierte Gruppierungen für ihre illegalen Machenschaften die länderspezifischen Vorteile, Angebot und Nachfrage, Möglichkeiten der Geldwäsche sowie Rückzugsräume voll und ganz ausgenutzt. Unsere kriminalpolizeilichen Erfahrungen zeigen, dass die Organisationsformen im Laufe der Zeit vielfältiger geworden sind.

Früher waren die Ermittler im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität in erster Linie mit klassischen mafiösen Strukturen konfrontiert. Italienische Mafiagruppierungen wie ‚Ndrangehta, Cosa Nostra und Camorra, die chinesischen Triaden oder russische Organisationen wie die Solnzevskaja haben eines gemein: Ihre Mitglieder stammen meist aus einem Herkunftsland, teilweise sogar aus derselben Region. Die Gruppierungen sind streng hierarchisch strukturiert und ihre Mitglieder sind zur Einhaltung eines Ehrenkodex und zum Schweigen verpflichtet, ansonsten drohen drakonische Strafen. Dass derartig organisierte Gruppierungen auch heute noch in Deutschland aktiv sind, wurde uns am 15. August 2007 deutlich vor Augen geführt, als in Duisburg sechs italienische Staatsangehörige vor dem Restaurant eines der Opfer erschossen wurden. Intensive Ermittlungen der bayerischen Strafverfolger in den vergangenen Jahren gegen russischstämmige Tätergruppen haben ebenfalls abgeschottete mafiöse Strukturen ans Licht gebracht.

Auch haben die deutschen Behörden zurzeit verstärkt mit kriminellen Rockergruppierungen zu tun. Die Rocker betätigen sich im Rauschgift- und Menschenhandel und sind überall dort, wo Geld zu verdienen ist. Sie scheuen nicht vor Mord und Totschlag zurück, wenn es um die Behauptung ihrer Gebietsansprüche geht. Vor allem im norddeutschen Raum kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Motorradclubs, wie zum Beispiel Hells Angels MC oder Bandidos MC.

Verlagerung der Delikte
Neben diesen klassischen organisierten Gruppierungen treffen wir in unseren Ermittlungen zunehmend auf neue Organisationsformen. Diese sind eher netzwerkartig aufgebaut. Täter machen sich immer häufiger das Spezialwissen zum Beispiel von Computer- oder Finanzexperten zu Nutze.  Dabei spielt es dann weniger eine Rolle, ob man zu einer Nationalität oder einem Clan gehört.

Die Betätigungsfelder dieser weltweit verzweigten Netzwerke sind vielfältig. Gerade vor dem Hintergrund der offenen Grenzen, eines globalen Wirtschafts- und Finanzraums sowie moderner Kommunikationsmöglichkeiten wie dem Internet spielen bei dieser Form der Organisierten Kriminalität hochlukrative Deliktsfelder wie die Wirtschaftskriminalität eine Rolle. Die Täter profitieren aber auch von den rechtlichen Freiräumen in Europa. Rauschgifttäter nutzen beispielsweise die liberale Drogenpolitik der Tschechischen Republik schamlos aus und überschwemmen uns in Bayern mit der gefährlichen Droge Crystal Speed.

Ich will im Folgenden näher auf diese Betätigungsfelder eingehen. Zunächst zur Internetkriminalität. Wir stellen fest, dass die „klassischen“ Kriminalitätsformen im Langzeitvergleich zurückgehen. Während zum Beispiel Betrugsdelikte mit Zeitungsinseraten heute kaum noch eine Rolle spielen, gewinnen Internetbetrügereien immer mehr an Bedeutung. In Bayern fällt diese Phänomenverschiebung glasklar ins Auge: So hatten wir vor zehn Jahren noch 25 % mehr klassische Diebstahlsdelikte in Bayern. Die Computerkriminalität ist im gleichen Zeitraum um fast zwei Drittel (64 %) gestiegen.

Unbestritten bringt das Internet viele positive Aspekte mit sich – Hilfsmittel wie Computer, Notebook oder Smartphone bestimmen mehr und mehr unseren Alltag. Der virtuelle Raum birgt aber auch erhebliche Risiken – für die Wirtschaft, für öffentliche Verwaltung und für jeden einzelnen Bürger. Das Gefahrenspektrum reicht hierbei von Betrug in Internetauktionshäusern bis hin zum Diebstahl digitaler Identitäten, z.B. durch Phishing von Onlinebanking-Daten.

Ein Fall in Bayern verdeutlicht sehr gut, welche Schadensdimensionen Straftaten mit Hilfe des Internets annehmen können: 15 Personen hatten sich vor vier Jahren zu einer Internetbande zusammengeschlossen. Sie richteten fast 200 Onlineshops ein und boten auf diesen Plattformen Notebooks, Haushaltsgeräte, Edelmetalle und sonstige Produkte an. Die arglosen Kunden zahlten den Kaufpreis, erhielten aber nie die Ware. Die Zahlungen wurden von zahlreichen Finanzagenten auf die Konten der Täter weitergeleitet. 80.000 bis 120.000 Menschen wurden so um insgesamt 10 bis 30 Millionen Euro gebracht. Die bayerische Polizei konnte die Täter festnehmen. Der Anführer wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, seine Komplizen erhielten bis zu vier Jahre Haft.

Wenn wir uns mit Straftaten rund um das Internet befassen, werden wir auch mit einem ganz abscheulichen Delikt konfrontiert: der Kinderpornografie. Auch hier ein kurzes Beispiel aus unserer bayerischen Ermittlungstätigkeit: Eine Softwarefirma teilte der Polizei mit, dass auf ihrem Server mehrere Hundert kinderpornografische Bilder platziert worden waren. Diese Fotos, die ca. 14 Tage „online“ verfügbar waren, wurden in dieser Zeit insgesamt 1,25 Millionen Mal von über 7.000 verschiedenen Rechnern aus 88 Ländern aufgerufen. Er ist unbegreiflich und erschreckend, wie viele „Interessenten“ es für Kinderpornografie gibt.

Wirtschaftskriminalität auf dem Vormarsch
Ein starkes Betätigungsfeld der Organisierten Kriminalität, in erster Linie wegen der hohen Gewinnmargen, ist heute die Wirtschaftskriminalität. Diese zeigt in den letzten Jahren einen deutlich wachsenden Anteil an den bearbeitenden Verfahren zur Organisierten Kriminalität in Bayern. 87 Ermittlungskomplexe mit einem Ertrag von 170 Millionen Euro und Schäden von rund 576 Millionen Euro 2011 belegen den finanziellen Anreiz sowie das Schadenspotenzial derartiger Straftaten.

Die bayerischen Sicherheitsbehörden hatten beispielsweise in jüngster Vergangenheit zahlreiche Verfahren zu bearbeiten, bei denen eine Vielzahl von Personen mit Hilfe gefälschter Dokumente Konten eingerichtet hatten. Die Täter hatten bei Geldabhebungen das absolute Limit ausgeschöpft oder mittels Konto- bzw. Kreditdaten bezahlt, ohne nennenswerte Beträge auf die Konten einzuzahlen. Außerdem hatten sie die erbeuteten Bankverbindungen genutzt, um Mobilfunkverträge abzuschließen. In einem bayerischen Verfahren stammten die Täter aus dem osteuropäischen Raum und waren in eine feste Organisationsstruktur eingebunden. Der festgestellte Schaden allein in diesem Ermittlungskomplex betrug eine Million Euro.

Wirtschaftskriminalität hat neben den gravierenden volkswirtschaftlichen  auch sozialpolitische Folgen. Dazu gehören Wettbewerbsverzerrungen, Arbeitsplatzverluste und auch Vertrauensverluste im internationalen Wettbewerb, verbunden mit Auftragsrückgängen. Hier kommt auch die Korruption ins Spiel. Um im internationalen Wettbewerb als Wirtschaftsunternehmen erfolgreich zu sein, werden lukrative oder öffentlichkeitsarme Aufträge „erkauft“. Dabei ermöglichen ausgeklügelte Firmennetzwerke den Transfer von Bestechungsgeldern mit geringem Entdeckungsrisiko. In Bayern hatten wir in den vergangenen Jahren mehrere spektakuläre Korruptionsprozesse, die in der Öffentlichkeit zu einer gesteigerten Wahrnehmung geführt haben. Mittlerweile bekennen sich viele Firmen aufgrund unseres Verfolgungsdrucks zu einer bestechungsfreien Geschäftspraxis.

Im Bereich der Rauschgiftkriminalität ist vor allem die Organisierte Kriminalität die treibende Kraft. Zurzeit macht uns die Modedroge Crystal stark zu schaffen. Bis vor zwei Jahren war diese Droge in Bayern noch kein Thema. Mittlerweile werden die Grenzregionen zur Tschechischen Republik davon überschwemmt. Im Vergleich der Jahre 2010 zu 2011 ist eine deutliche Zunahme der Fallzahlen für Rauschgiftdelikte mit Crystal feststellbar. Wir sprechen hier von einem Anstieg um 61 % von 2012 auf 2011. Das ist umso bedauerlicher, als diese Droge, die insbesondere auf dem sogenannten Vietnamesenmärkten in Tschechien relativ billig vertrieben wird, extrem gesundheitsschädlich ist. Neben starken psychischen Auswirkungen wie Panikattacken und Halluzinationen führt es schon nach kurzzeitigem Konsum zu einem körperlichen Verfall von nahezu unvorstellbarem Ausmaß.

Strategien gegen Organisierte Kriminalität
In Deutschland und in Bayern haben wir eine große Bandbreite an Strategien zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität entwickelt, welche wir auch intensiv im Rahmen unserer rechtlichen und taktischen Möglichkeiten ausschöpfen.

In Bezug auf die Internetkriminalität und Kinderpornografie bedienen wir uns beispielsweise unserer sogenannten CyberCops. So bezeichnen wir Fahnder, die im Internet gezielt nach strafbaren Inhalten suchen. Ergeben sich dann komplexe Sachverhalte der Cyberkriminalität, übernehmen extra dafür geschaffene Dienststellen die kriminalpolizeilichen Ermittlungen. Um dabei auf Augenhöhe handeln zu können, stellen wir in Bayern studierte Informatiker ein und qualifizieren sie im Rahmen einer speziellen Ausbildung zu Kriminalbeamten.

Auch für den Bereich der Wirtschaftskriminalität werben wir gezielt hochqualifizierte Kräfte aus der Wirtschaft an. Wir machen diese Spezialisten dann zu „echten“ Polizisten. Außerdem haben wir schon seit langem Dienststellen, die sich ausschließlich mit Wirtschaftskriminalität beschäftigen.

In Bayern verfügen wir zudem über Dienststellen, die sich nahezu ausschließlich auf die Bekämpfung der Organisierten und der Bandenkriminalität konzentrieren. Sie bedienen sich umfangreicher operativer Maßnahmen. Sie überwachen Telefone, arbeiten mit verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen. Selbstverständlich bewegen wir uns hier strikt im engen Rahmen der rechtlichen Vorgaben. Mit diesen Dienststellen haben wir schlagkräftige Einheiten mit fundiertem Fachwissen zur Organisierten Kriminalität geschaffen.

Ebenso schlagkräftig sind wir im Kampf gegen die Rauschgiftkriminalität. Speziell  für das bereits dargelegte Problem Crystal Speed haben wir ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung erarbeitet. Wir haben unsere Kontrollen verstärkt und arbeiten Hand in Hand mit den Polizei- und Zollbehörden von Deutschland und der Tschechischen Republik.

Unabhängig vom Problem Crystal setzen wir allgemein bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden und organisierten Kriminalität mobile Fahndungseinheiten ein. Im grenznahen Raum zu Tschechien und Österreich, wie auch entlang der Durchgangsstraßen in ganz Bayern sind sie eine wichtige Ausgleichsmaßnahme für den Wegfall der Grenzkontrollen.

Ein weiteres, extrem wichtiges Instrument ist die Vermögensabschöpfung. Wir dürfen den Straftätern die illegal erwirtschafteten Gewinne auf gar keinen Fall belassen. Der durch die Organisierte Kriminalität verursachte Gesamtschaden betrug in Deutschland im Jahr 2011 rund 884 Millionen Euro, die Erträge lagen bei rund 347 Millionen Euro. Unsere speziell ausgebildeten Vermögensabschöpfer in Deutschland haben 2011 Vermögen im Wert von rund 263 Millionen Euro vorläufig gesichert, davon 26 Millionen Euro im Ausland. Ob es sich um Flugzeuge, Boote oder hochwertige Immobilien handelt – unsere Finanzermittler beschlagnahmen alle Vermögensformen.

Die Vermögenswerte der Organisierten Kriminalität im Ganzen haben volkswirtschaftliche Dimensionen. Die Verschleierung der illegalen Herkunft dieser Gelder und die Rückführung in den legalen Finanzkreislauf sind für die Gruppierungen der Organisierten Kriminalität von großer Bedeutung.

Beim Bundeskriminalamt gibt es die sogenannte Financial Intelligence Unit (FIU). Die FIU als nationale Zentralstelle gewährleistet eine fundierte Lagerdarstellung, insbesondere das Erkennen von Typologien der Geldwäsche.

Nationale und internationale Zusammenarbeit
Zusammenarbeit ist für mich das Stichwort zur erfolgreichen Bekämpfung international agierender Tätergruppen. Auf nationaler Ebene gewährleistet der Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz, dessen Vorsitz ich innehabe, dass der Bund und die 16 Bundesländer ihre Erfahrungen in puncto innere Sicherheit anlassbezogen und institutionalisiert austauschen. Es werden auch gemeinsame Strategien zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität festgelegt.

Vor allem aber auch auf internationaler Ebene ist Kooperation einer der wichtigsten Schlüssel im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität. Denn rund 82 % (2010: 84 %) der deutschen Ermittlungserfahren (in Bayern 2011: 86 %, 2010: 88 %) gegen die Organisierte Kriminalität zeichnen dich durch eine internationale Begehungsweise aus.

Maßstäbe setzt hier der Vertrag von Prüm. Damit können wir automatisch auf die DNA-Daten der anderen Vertragsländer, wie z.B. von unserem Nachbarland Österreich, zugreifen. Der Vertrag beinhaltet auch den gegenseitigen Zugriff aus Fingerabdruckspuren und die Daten von Kraftfahrzeughaltern. Auch Bilaterale Verträge zur polizeilichen Zusammenarbeit von Bayern mit unseren Nachbarstaaten Österreich und der Tschechischen Republik spielen eine maßgebliche Rolle.

Ein Novum haben wir vor kurzem auf den Weg gebracht: eine Ermittlungsgruppe bestehend aus bayerischen und tschechischen Kriminalbeamten zur Bekämpfung der internationalen Kfz-Verschiebung. Ich halte diese international besetzten Ermittlungsteams (Joint Investigation Teams JIT) für einen vielversprechenden Weg. Das bringt uns gerade bei der Rechtshilfe eine starke Bürokratieerleichterung und damit eine Beschleunigung des Verfahrens.

Ebenso wertvoll im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität sind neben den Verbindungsbeamten beim Bundeskriminalamt Institutionen wie EUROPOL, INTERPOL, EUROJUST und andere. Die dortigen Ansprechpartner bilden bei der Bewältigung derartig globaler Ermittlungskomplexe ein hervorragendes Netzwerk.

Nicht zuletzt entfalten wir aber zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität auch vielfältige Aktivitäten zu Präventionszwecken. Ob Internet, Wirtschaft, Rauschgift oder alle anderen Betätigungsfelder der Organisierten Kriminalität – Aufklärungskampagnen, Informationsveranstaltungen, Vorträge, Einzelgespräche und dergleichen helfen vorzubeugen. Letztendlich müssen aber alle gesellschaftlichen Kräfte gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden an einem Strang ziehen.