Kommuniques zu den Reaktionen auf die Mohammed-Karikaturen

Ausgangslage

Die dänische Zeitung „Jylland-Posten“ begann im September 2005 mit der Veröffentlichung von Karikaturen, in deren Mittelpunkt der Prophet und Religionsstifter Mohammed steht. Der Verkünder des moslemischen Glaubens und seiner Gebote wird von den Mohammedanern als der bedeutendste Mensch, der je lebte, verehrt. Im Gegensatz zum christlichen Glauben sind Abbildungen der Propheten oder Allahs nicht erlaubt. Die Karikaturen in der dänischen Zeitung sind aus Sicht der Muslime ein widerwärtiger Verstoß gegen diese Regel und werden als Gotteslästerung höchsten Ausmaßes gewertet. In der Folgezeit sind die im Westen als Karikaturen gewerteten Bilder auch in anderen Zeitungen ganz oder teilweise nachgedruckt worden, vornehmlich in Norwegen und Frankreich.

Nachdem diese Veröffentlichungen bereits zu heftigen Protesten der betroffenen Gläubigen

führten, wurde eine der Karikaturen am 02.02.2006 in der Tageszeitung „Die Welt“ im Zusammenhang mit einer Meinungsumfrage gezeigt. Im Zentrum dieses Artikels stand die Frage, inwieweit die Presse- und Meinungsfreiheit auf der einen Seite konträr zu Fragen der religiösen Traditionen, hier speziell der mohammedanischen, stehen darf. Negative Äußerungen, die eine Verunglimpfung des Propheten oder mohammedanischer Traditionen billigen würden, sind aus den Veröffentlichungen nicht zu entnehmen.

Ob das von mohammedanischer Seite, zumindest wegen der einen Abbildung, auch so gesehen wird?

Reaktionen
Mit einiger Verwunderung ist festzustellen, dass die heftigen und aggressiven Reaktionen auf die Karikaturen seitens der muslimischen Länder mit einem erheblichen zeitlichen Nachlauf begannen. Es scheint, als wären die Bilder des Propheten erst verspätet den Muslimen und ihren geistigen Würdenträgern bekannt und bewusst geworden. Vielleicht haben die späteren Nachbildungen der französischen Zeitung „France-Soir“ eine breitere Öffentlichkeit erreicht.

Im November und Dezember bereisten dänische Imame islamische Staaten, ohne dass Proteste die Folge gewesen wären. Nachdem jedoch die christliche norwegische Zeitung am 10. Januar 2006 die Karikaturen nachdruckte, begannen die weltweiten Proteste. Die Imame verfassten ihrerseits ein Dossier, in dem andere und nicht veröffentlichte Karikaturen gezeigt wurden, die als obszön zu bezeichnen sind. Woher diese Karikaturen stammen, ist unklar.

Nach anfänglichen verbalen Protesten und alsbaldigen Entschuldigungen der verantwortlichen Journalisten ist eine Eskalation festzustellen, die nicht alleine auf die Bilder des Propheten zurückzuführen sein dürfte.

Gegen die Veröffentlichungen der Bilder und Texte erstatteten Vertreter dänischer islamischer Organisationen Ende Oktober 2005 Strafanzeige gegen die „Jyllands-Posten. Dazu erklärte eine Sprecherin: “Wir haben uns auf den Artikel gestützt, der mit den Zeichnungen gebracht wurde und die Absicht hinter dem Artikel. Wir meinen, dass es die Absicht der Zeitung war, zu verhöhnen und spotten.“ Die Anzeige bezieht sich auf den dänischen Blasphemie-Paragrafen 140 Strafgesetzbuch.

Das Verfahren wurde von der zuständigen Staatsanwaltschaft im Januar 2006 eingestellt, da keine Hinweise auf eine Straftat vorlägen. Letztmals wurden 1938 Urteile auf Grund dieses Paragrafen ausgesprochen. Sie betrafen dänische Nationalsozialisten wegen antisemitischer Propaganda. Von der Öffentlichkeit wenig bemerkt versuchten im Oktober 2005 elf Botschafter arabischer Staaten in Dänemark, mit dem Premier über die Veröffentlichung zu sprechen. Sie forderten eine gerichtliche Verfolgung der Verantwortlichen. Dies wurde abgelehnt. Die diplomatischen Proteste hielten an und führten u. a. dazu, dass Botschafter abberufen, Botschaften geschlossen und Waren aus Dänemark boykotiert wurden. Der Iran drohte wiederum Wirtschaftssanktionen denjenigen Ländern an, in denen die Karikaturen veröffentlicht wurden.

Neben den Aufrufen zum Boykott dänischer Waren werden in vielen arabischen Ländern und in überwiegend muslimisch bewohnten Gebieten Gewaltpotenziale offenkundig, die mehr darstellen als eine Anzahl in ihrem religiösen Empfinden getroffene Menschen. Hier offenbart sich unseres Erachtens Hass gegen alles, was der „Westen“ in der Augen radikaler Muslime verkörpert. Wenn ein Anlass wie diese Karikaturen bereits zu solchen Reaktionen führt, der Menschen um ihr Leben fürchten lassen muss, muss ein gewaltiges Hass- und Gewaltpotenzial vorhanden sein.

Bewertung
Es ist für die Sicherheitsbehörden in Deutschland, (Länderpolizeien, Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz) schwer, ein verlässliches Bild von der Gefährdung in Deutschland oder Gefährdung Deutscher im Ausland zu zeichnen. Das hängt auch damit zusammen, dass Einblicke in das Denken und Fühlen gerade auch der Mohammedaner in unserem Lande noch immer schwer sind. So beziehen sich die Beobachtungen und daraus resultierenden Schlussfolgerungen/Bewertungen auf sichtbare Phänomene und in geringem Maße auf tatsächlichem Wissen aus operativen Maßnahmen.

Dem folgt auch das Bundeskriminalamt, in dem es erklärt, grundsätzlich sind beleidigende oder blasphemische Verlautbarungen in der Öffentlichkeit geeignet, zu einer Gefährdung von Objekten sowie von Einzelpersonen zu führen. Diese Gefährdung kann von fanatisierten Einzelpersonen oder Kleingruppen ausgehen. Das ist eine Annahme auf Grund der gesamten Erfahrung, keine Tatsachenbehauptung.

Durch die aktuellen Ereignisse wird eine grundsätzliche Änderung der Gefährdungslage zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gesehen. Allerdings wird nicht ausgeschlossen, dass es nunmehr auch in Deutschland zu demonstrativen Aktionen kommen kann. Die Veröffentlichung in „Die Welt“ könnte dazu zum Anlass genommen werden. Wie die Reaktionen auf die zuerst veröffentlichten Bildnisse in Dänemark zeigen, bedarf es eines zeitlichen Vorlaufs, ehe abgestimmte Aktionen erfolgen. Durch die vorausgegangenen Proteste dürfte eine gewisse Vorplanung bereits erfolgt sein.

Im Ausland und dort im Gesamtzusammenhang noch weniger verstanden als in Deutschland, könnte die Publikation der deutschen Zeitung deutsche Einrichtungen ins Zielspektrum radikaler Muslime rücken. Ob eine telefonische Bombendrohung, eingegangen beim deutschen Verbindungsbüro der Deutschen Botschaft in Israel, dafür bereits ein Indiz ist, bleibt zu vermuten. Eine aus deutscher Sicht eskalierende Situation ist im Iran festzustellen, dort wurden deutsche Fahnen verbrannt, verhöhnende Karikaturen der Bundeskanzlerin gezeigt und antideutsche Parolen skandiert. Alles wirkte organisiert und im Zusammenhang mit dem aktuellen Problem einer möglichen atomaren Aufrüstung des Iran sehr bedrohlich.

Nutznießer der augenblicklichen Protestwelle gegen die westlichen Staaten könnten neben anderen auch die Taliban in Afghanistan, die Terroristen im Irak und die Netzwerke von Al Qaida in aller Welt sein. Die Karikaturveröffentlichungen entsprechen der Logik von Al Qaida: Der Kampf des Westens gegen den Terrorismus ist in Wahrheit ein Kampf gegen den Islam.

Eine anhaltende Gefährdungserhöhung für Deutschland oder deutscher Interessen im Ausland  hält das BKA angesichts der Tatsache, dass ohnehin die maßgeblichen islamistischen Kreise die westlichen und damit auch deutschen Werte und Kulturen ablehnen, für fraglich.

Das Bundeskriminalamt sieht allgemeine europäische Interessen derzeit im Zielspektrum islamistischer Radikaler. Die möglichen Angriffsziele sind nicht prognostizierbar, Angriffe können sowohl geschützte als auch ungeschützte Objekte („hard-und soft-targets“) treffen.

Insbesondere sind aber die Staaten betroffen, in denen die Mohammed-Karikaturen ganz oder teilweise veröffentlicht wurden.

Diese Einschätzung kann sich aber sehr rasch ändern, wenn die Proteste eskalieren und möglicherweise zu einem Flächenbrand entarten. Ohnehin muss man berücksichtigen, dass Asiaten oder Orientalen ebenso wenig die Physiognomien zwischen Dänen, Norwegern, Niederländern oder Deutschen unterscheiden können wie wir Europäer die ihrigen. Die dänische Regierung warnt ihre Bürger vor Reisen in islamische Länder und empfiehlt die Rückkehr, für Deutsche erscheint uns die Situation vergleichbar.

Der Aufruf der Al-Aksa-Brigaden und der Volkswiderstandskomitees in Gaza, Norweger, Dänen und Franzosen im Zusammenhang mit dem Karikaturenkonflikt zu töten, unterstreichen die prognostizierte Individualgefährdung auch für Deutsche, die durch eine entsprechende Verlautbarung im Rundfunk verstärkt wird.

Eine Individualgefährdung für deutsche Unternehmen oder einzelne Personen in Deutschland ist nicht zu erkennen und wenig wahrscheinlich, ausgenommen der Springerkonzern. Hier könnte es ähnlich wie in Dänemark oder Norwegen zu demonstrativen Aktionen oder Sachbeschädigungen kommen. Ein entsprechendes Potenzial gewaltbereiter Personen ist auch in Deutschland anzunehmen.

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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