2. Kommunique zu den Sprengstoffanschlägen in London am 07. Juli 2005

Fakten aus den Medien

Bei den Anschlägen auf die drei Londoner U-Bahnzüge und einen Bus am Donnerstag, 07.Juli 2005, wurden 52 Menschen getötet und insgesamt 700 verletzt. Die drei Bomben im Londoner U-Bahn-System sind innerhalb weniger Sekunden explodiert. Das gehe aus den jüngsten Auswertungen der Zeitabläufe hervor. Dies lasse auf den Einsatz von Zeitzündern für die Sprengsätze schließen.

Die für die vier Anschläge verwendeten Sprengsätze sind sehr wahrscheinlich von ein und demselben Hersteller gemacht worden. Dieser habe Militärsprengstoff für die Bomben benutzt, der aus dem Balkan stammen könnte.

Die Terrororganisation Al Qaeda hat sich zu den Anschlägen in London bekannt. In der Erklärung der Gruppe "Geheimorganisation – Al Qaeda in Europa" heißt es, die Anschläge seien eine Vergeltung für die britischen Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak. Die Gruppe droht mit weiteren Anschlägen in Dänemark und Italien.

Der Text erschien auf einer von Islamisten genutzten Web-Site. Eine Bestätigung der Angaben war zunächst nicht möglich. Die Web-Site wurde kurz nach Veröffentlichung der Erklärung vom Netz genommen. "Freut Euch, Gemeinschaft der Muslime. Freue Dich, arabische Welt", wird aus der Erklärung zitiert. "Die Zeit der Rache gegen die Regierung zionistischer Kreuzzügler wegen Massakern in Afghanistan und im Irak ist gekommen." Die Gruppe " Al Qaeda in Europa" hat sich auch zu den Anschlägen auf Pendlerzüge in Madrid am 11. März 2004 bekannt, dem bis zum Donnerstag letzten großen Terroranschlag in Europa. Zwei Tage danach tauchte in einem Mülleimer ein Video mit einer Botschaft des mutmaßlichen Anführers der Gruppe, Abu Dudschan al Afghani, auf. In der jüngsten Erklärung heißt es, "heldenhafte Mudschahedin haben eine gesegnete Attacke in London verübt". Großbritannien brenne vor Angst und Terror. Regierung und Bevölkerung seien gewarnt worden. "Und nun warnen wir die Regierungen von Dänemark und Italien und alle anderen Kreuzzügler-Regierungen vor derselben Strafe, sollten sie ihre Truppen nicht aus Afghanistan und dem Irak abziehen."

Die radikal-islamische Taliban-Bewegung in Afghanistan habe nichts mit den Attentaten zu tun, sagte ihr Sprecher Abdul Latif Hakimi per Telefon. "Das Volk Großbritanniens hat den Ärger nur wegen der bösen Taten ihrer Anführer", sagte er. Die Taliban seien weder traurig noch glücklich über die Anschläge. "Hätten sich die Explosionen gegen britische Militärziele gerichtet oder der britischen Regierung Verluste zugefügt, dann wären wir sehr glücklich gewesen", sagte Hakimi. Taliban-Kämpfer würden britische Truppen in Afghanistan angreifen, sie seien aber nicht in die Londoner Anschläge verwickelt. "Wir nehmen Rache an Großbritannien in Afghanistan, nichtsdestotrotz haben wir mit diesen Explosionen nichts zu tun." Großbritannien hat in Afghanistan rund 1.000 Soldaten stationiert und will weitere 400 im nächsten Jahr entsenden, wenn es das Kommando über die 8.500 Mann starke Nato-Friedenstruppe Isaf übernimmt. Neben der Nato-Truppe, an der auch Deutschland beteiligt ist, haben die USA 20.000 Soldaten in dem Land, mit denen sie die Taliban bekämpfen.

Hakimi warf Großbritannien vor, die Moslems auf der ganzen Welt zu unterdrücken. "Das britische Volk sollte die Gründe für die Explosionen herausfinden", sagte er, "denn Großbritannien unterdrückt die Moslems in der ganzen Welt und hat die USA bei ihrer unrechtmäßigen Besetzung Afghanistans unterstützt."

Die Abu Hafs al Masri Brigade behauptet, die Anschläge in London verübt zu haben und droht mit weiteren Terrorakten. Allerdings ist diese Organisation bekannt dafür, als Trittbrettfahrer aufzutreten.

Wie nach den Anschlägen in Madrid meldeten sich nun auch nach der Attentatsserie in London die "Brigaden des Abu Hafs al-Masri" und erklärten ihre Täterschaft. Die Gruppe steht eigenen Angaben zufolge in Verbindung mit den Moslem-Extremisten von Al Qaeda. "Eine Gruppe von Mudschahedin der Brigaden des Abu Hafs al-Masri hat der Hauptstadt der Ungläubigen, der Hauptstadt der Engländer, einen Schlag nach dem anderen versetzt", hieß es in einer Erklärung, die von der Gruppe unterzeichnet war und im Internet veröffentlicht wurde. Die Echtheit des zweiten Bekennerschreibens konnte zunächst nicht bestätigt werden. Experten verwiesen darauf, dass sich die Abu Hafs al Masri Brigade schon wiederholt zu Anschlägen bekannte, mit denen sie höchstwahrscheinlich nichts zu tun hatte.

Bundesinnenminister Otto Schily warnt nach den Anschlägen von London vor weiteren Gefahren durch Terroristen. Schily sagte: "Ich habe immer vor der Illusion gewarnt, die Gefahr sei vorüber."

Die terroristischen Netzwerke seien zwar geschwächt, aber noch handlungsfähig, wie London leider wieder beweise. Deshalb sollten alle, die seine Pläne zur Verschärfung von Sicherheitsgesetzen, zur Biometrie in Pässen und zur Ausweitung der Befugnisse für das Bundeskriminalamt kritisierten, ihre Haltung überdenken, sagte Schily.

Auf die Frage, ob die Sicherheitsvorkehrungen in U-Bahnen und an Bahnhöfen ausreichten, antwortete Schily: "Wir werden die Überwachung verstärken, wo immer das möglich ist. Aber alle können sich darauf verlassen, dass bereits jetzt sehr viel für ihre Sicherheit getan wird. Es gibt dichte Kontrollen von Polizei und Sicherheitsdiensten, Videoüberwachung, Alarmpläne bei den Verkehrsbetrieben. Sicherheitsschleusen wären völlig unpraktikabel und unfinanzierbar. Trotz des Anschlags in London dürfen wir unsere Sicherheitsvorkehrungen nicht klein reden. Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt", sagte Schily.

Bewertung der Terroranschläge durch das BKA
Die Authentizität des Selbstbezichtigungsschreibens ist bislang nicht geklärt. Gleichwohl ist nach derzeitigem Erkenntnisstand davon auszugehen, dass die Anschläge von Tätern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus durchgeführt wurden. Die Anschlagsserie richtete sich – wie bereits die Anschläge vom 11.03.04 in Madrid – gegen öffentliche Verkehrsmittel und wurde zur morgendlichen Hauptverkehrszeit durchgeführt. Eine möglichst hohe Zahl ziviler Opfer war insoweit täterseitig beabsichtigt.

Großbritannien galt aufgrund seiner engen Partnerschaft mit den USA, seiner militärischen Beteiligung in Afghanistan und im Irak sowie der fortgesetzten Nennung bzw. Bedrohung durch die Al Qaeda-Führungspersonen BIN LADEN und AL-ZAWAHIRI als die neben den USA und Israel als gefährdetste Nation der westlichen Welt. Britische Sicherheitsbehörden hatten seit geraumer Zeit Anschläge islamistischer Terroristen in Großbritannien befürchtet und diese Einschätzung auch öffentlich kundgetan.

Auch wenn diesbezüglich keine konkreten Erkenntnisse vorliegen, werden Folgeanschläge in London/Großbritannien einkalkuliert.

Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland ist von keiner nachhaltigen Lageveränderung auszugehen. Insgesamt muss die Bundesrepublik Deutschland weiter als Teil eines die gesamte Welt umfassenden Gefahrenraumes angesehen werden und liegt somit auch im Zielspektrum terroristischer Gruppierungen. Im Hinblick auf die Gefährdungslage für deutsche Interessen sind das deutsche Engagement in Afghanistan, die Ausbildung irakischer Polizeibeamter bzw. die Ausbildung irakischer Offiziere im NATO-Rahmen sowie die Beteiligung der Bundesrepublik am weltweiten Kampf gegen den islamistischen Terrorismus relevant. Diese Umstände könnten seitens islamistischer Täter als Begründung für einen gegen deutsche Interessen gerichteten Anschlag herangezogen werden. Es liegen jedoch keine Erkenntnisse für eine konkrete Gefährdung deutscher Interessen vor.

Statement CONSULTING PLUS
Die Sprengstoffanschläge des 7. Juli 2005 in London haben einmal mehr verdeutlicht, dass fanatisierte und zu allem entschlossene Täter zu jeder Zeit und an jedem Ort ihre kriminellen Absichten realisieren können. An der Urheberschaft der Anschläge gibt es keine Zweifel, anders als nach den vergleichbaren Angriffen vom 11. März 2004 in Madrid. Al Qaeda (Basis, Stützpunkt) ist es ganz offensichtlich gelungen, auch in Europa Netzwerke zu errichten, die in der Lage sind, ohne großartige Unterstützung durch eine Kernorganisation, wie sie um Usama bin Laden existiert, in deren Sinne zu agieren.

Neben der ideologischen Begründung von Angriffen gegen die Andersgläubigen, wie sie sich aus den Zielen der islamischen Front ergeben, werden aktuelle Lagen wie der Irakkrieg zum Anlass genommen.

Die Anschläge von Djerba im April 2002, Bali im Oktober 2002, Riad im Mai 2003 oder Casablanca ebenfalls im Mai 2003 entsprachen eher den Zielen der islamischen Front, nämlich gegen alle zu kämpfen, die Muslime morden, ihre heiligen Stätten entweihen oder den Juden helfen. Dabei soll kein Unterschied zwischen Militärs und Zivilisten gemacht werden. Aber schon in den 1998 veröffentlichten so genannten Fatwahs (religiösen Entscheidungen) sind klare Ziele der „Internationalen Kampffront gegen Juden und Kreuzritter“ vorgegeben, nämlich, „das Töten von Amerikanern und deren Verbündeten von Militärs und Zivilisten eine vorgeschriebene Pflicht jeden Muslims ist, auszuführen in jedem Land, wo es ihm möglich erscheint.“ Damit hat sich mit dem Beginn der Intervention in Afghanistan und dem Krieg gegen das Regime von Saddam Hussein, der aber von radikalen Muslimen als Krieg gegen den Irak und seine muslimische Bevölkerung und damit den Glauben bezeichnet wird, eine deutlichere Angriffsdefinition erhalten.

Die Lageeinschätzung durch die europäischen Sicherheitsbehörden auf Grund dieser Entwicklungen war relativ klar und ließ in gewissem Umfang vorhersagen, welches Land vorrangig für terroristische Attacken in Betracht käme. Der Anschlag vom 11. März 2004 in Madrid kam insofern nicht unerwartet, jedoch gab es zuvor keine Indikatoren, aus denen Anschlagsort und Anschlagziel absehbar gewesen wären. Die Sicherheitsbehörden sprechen bei ihren Prognosen über mögliche Anschlagziele von „weichen“ Zielen, vielmehr muss man aber von ungeschützten oder nicht zu schützenden Zielen sprechen.

Obwohl Großbritannien wegen seines Engagements im Irak an vorderster Position der Gefährdungsrangliste stand und entsprechend die Sicherheitsmaßnahmen besonders ernst genommen worden sind, waren die Taten des 07. Juli. nicht zu verhindern.

Die in sich geschlossenen Gruppierungen radikaler Fundamentalisten verhindern oder zumindest erschweren ihre Erkennbarkeit und verringern dadurch die Möglichkeiten staatlicher Stellen, in die Zellen einzudringen und Informationen für präventive Maßnahmen zu gewinnen.

Angriffe auf die Verkehrsinfrastruktur in den Ballungsräumen, wie sie in jedem europäischen Land vorhanden sind, können nicht verhindert werden. Zu dieser klaren Aussage muss man stehen und darf keine falschen Hoffnungen dahin gehend weckend, durch mehr Polizei oder andere Sicherheitskräfte Anschläge verhindern zu können.

Die Anschläge von Madrid und London werfen aber die Frage auf, ob sie bewusst in Zeiträumen durchgeführt werden, in denen die Polizei durch andere Aufgaben gebunden und damit weniger präsent ist:

In Spanien war Wahlkampf und fand unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen wegen möglicher ETA – Anschläge statt, die englische Polizei hatte die Sicherheit des G-8-Gipfels zu gewährleisten und dem entsprechend Polizeikräfte nach Schottland entsandt.

Gelingt es den europäischen Sicherheitsbehörden nicht, die existenten Terrorzellen zu eliminieren, werden weitere Anschläge folgen. Betrachtet man die Erklärung der „Geheimorganisation – Al Qaeda in Europa“ als authentisch, dürfte nicht Großbritannien, sondern Italien oder Dänemark das nächste Anschlagsziel sein. Wenn auch nicht explizit erwähnt, gehört Polen zu den besonders gefährdeten Ländern.

In den erweiterten Kreis der gefährdeten Länder gehört Deutschland wegen seines unmittelbaren Engagements in Afghanistan und dem mittelbaren im Irak.

In jedem der gefährdeten Länder gibt es Angriffsmöglichkeiten auf nicht schützbare Ziele. Die Verkehrsinfrastruktur scheint tatsächlich jedoch am besten geeignet zu sein, mit relativ geringem personellem und logistischem Aufwand spektakuläre Wirkungen zu erzielen. Allerdings, so besagen die jüngsten Medienberichte, haben sich in London junge Menschen in ihrer verbrecherischen Absicht selbst getötet und damit aus ihrer Sicht zu Märtyrern gemacht. Dies wäre in Westeuropa der erste Fall.

Neben den öffentlichen Verkehrsmitteln sind auch andere Ziele denkbar. Mit dieser Gefährdungserkenntnis müssen wir auf absehbare Zeit leben. Ort, Zeit und Anschlagsziel werden jedoch von den Terroristen bestimmt.

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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