Fake News während Corona

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Wenn während des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr immer wieder mit IED (Improved Explosive Device) Patrouillenfahrzeuge deutscher Soldaten angesprengt wurden und es Tote und Verwundete gab, detonierten oft mit den Sprengsätzen auch die „Grüße“ des pakistanischen Militärgeheimdienstes ISI (Inter Services Intelligence) gleich mit. Denn die Machart der Anschläge trug zuletzt immer stärker die Handschrift von in Pakistan ausgebildeten IED-Experten. Ausbilder der Taliban und anderer extremistischer Gruppen lernten nämlich ihr Know-how im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet in geheimen Aus- und Fortbildungscamps – unter anderem von Profis des ISI. Die IED-Produkte „seien verdammt gut“, konstatierten Sprengstoffexperten und Aufklärer der Bundeswehr im Feldlager in Mazar-e-Sharif gegenüber dem Verfasser. Insider überraschte die Aussage nicht, gilt doch der pakistanische Geheimdienst als „operatives Rückgrat“ der Taliban, wie der Afghanistan-Experte Prof. Dr. Conrad Schetter schreibt.

In Asien gilt der ISI als ebenso gefürchtet wie berüchtigt. Seine Rolle gegenüber militanten Islamisten ist oft mehr als fragwürdig. Wenn er es will, verschafft sich der ISI in Pakistan, wie auch im benachbarten Afghanistan, Zugang zu jeder gewünschten Quelle. Der pakistanische Geheimdienst diente bereits bei der ersten Machtübernahme der Taliban als Steigbügelhalter für die „Gotteskrieger“. Auch bei der erneuten Rückkehr zur Macht der Mudschaheddin im August letzten Jahres spielte er eine Rolle. Der ISI ist in dieser Region niemals aus dem „Geschäft“. Gegründet 1948 arbeitet der Dienst seit Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht nur in seiner ursprünglichen Funktion als Auslandsnachrichtendienst, sondern auch als Inlandsdienst. Sein Mitarbeiterstamm setzt sich je zur Hälfte aus Militärangehörigen und Zivilisten zusammen. Die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Aufgabenbereiche führten dazu, dass der ISI zum einen seit den 1990er Jahren die afghanischen Taliban förderte und politisch an die Macht hob, zum anderen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine Partnerschaft mit den USA im Kampf gegen den von al Qaida inspirierten transnationalen Terrorismus einging. Besonders die Kooperation mit den USA führte in Pakistan selbst zu einem Erstarken radikal-islamistischer Gruppen, als sich der frühere Militärdiktator General Musharaf nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf die Seite der westlichen Allianz im so genannten „Krieg gegen den Terror“ schlug.

Einher mit diesem Sinneswandel ging damals auch eine Kooperation westlicher Geheimdienste – besonders jener der USA mit den Kollegen des ISI. Allerdings war dieses Verhältnis nie ungetrübt und über die Jahre immer wieder von Misstrauen und gegenseitigen Vorwürfen geprägt.

Die bisher schwerste Krise erfuhr das amerikanisch-pakistanische Verhältnis Anfang Mai 2011, als ein US-Spezialkommando der Navy SEALs in der pakistanischen Garnisonstadt Abbottabad den al Qaida-Chef Osama bin Laden nach fast 10-jähriger Verfolgung in seinem Versteck aufspürte und tötete. Westliche Geheimdienste gehen davon aus, dass Pakistans Militärgeheimdienst ISI bereits seit 2005 von der Anwesenheit bin Ladens in Abbottabad Kenntnis besaß.

Auch der Terrorangriff auf Indiens Finanz- und HighTec-Metropole Mumbai am 26. November 2008 (180 Tote, mehr als 300 Verletzte) wurde aus Pakistan „orchestriert“. Der einzige Überlebende des zehnköpfigen Terrorkaders sagte, die Gruppe sei in einem zweimonatigen Terrordrill in einem Camp u. a. durch den ISI für die Aktion in Mumbai vorbereitet worden. Alle Attentäter waren Mitglieder der islamistischen Terrorgruppe Lashkar-e-Taibna (Armee der Reinen – LeT). Diese Gruppe war Ende der 80er Jahre gegründet worden! Gründungspate war der pakistanische Militärgeheimdienst ISI.

Die pakistanische Stadt Quetta in Grenznähe zu Afghanistan gilt für die Taliban als wichtigstes politisches Zentrum. Hier residiert die so genannte Quetta-Shura, die höchste Ratsversammlung der afghanischen Taliban. Nach Ergebnissen einer Harvard-Studie ist die Shura mit Agenten des ISI durchsetzt. Dies erlaubt dem ISI, jederzeit einzugreifen, wenn Aktionen der Shura gegen pakistanische Interessen ausfallen. Schon die Tatsache, dass sich die Shura auf pakistanischem Boden etablieren konnte und Ex-Taliban Führer Mullah Omar nach seiner Flucht aus Afghanistan (2001) bis zu seinem Tod dort untergebracht war, dokumentiert den fundamentalen Einfluss des ISI auf die Quetta-Versammlung.

In der frühen Phase, unmittelbar nach dem 11. September 2001, im Kampf gegen al Qaida und die erste Talibanregierung (1995 – 2001), war der ISI noch involviert in die Aktionen der westlichen Allianz. Doch Zug um Zug änderte sich das, denn der ISI wollte bei kommenden Entwicklungen „mitspielen“. Von 2003 – 2004 unterhielt der ISI schon Trainingscamps für Taliban-Rekruten und lancierte Hilfsgüter, Waffen und Material in die Kanäle der Aufständischen im Nachbarland. Aufklärer von US- und Nato-Geheimdiensten enthüllten nach und nach die doppelgesichtige Politik des ISI. Das operative Credo des ISI beschrieb einer der früheren Chefs des Dienstes, Asad Durrani, in einem Zeitungsinterview: „Man muss lernen, das doppelte Spiel zu spielen!“

Mit der Zeit wurden Pakistan und seine Stammes- und Grenzgebiete zu Afghanistan mehr und mehr ein sicherer Hafen für die Taliban, idealer Rückzugsraum nach Gefechten mit Nato-Kontingenten in Afghanistan. Die Nordwestprovinz, die Stammesgebiete (FATA) in Pakistans enger Nachbarschaft zu Afghanistan, wurden eine Art „Hotspot“ militant islamistischer Gruppierungen.

2006 enthüllte ein Geheimbericht westlicher Dienste und des afghanischen Nachrichtendienstes NDS die Rolle Pakistans im Kontext der Aufstandsbewegung. Der Bericht unterteilte die Taliban-Bewegung in vier Kategorien: einen harten Kern extremistischer Anführer, die mit al Qaida verbunden waren, in Pakistan rekrutierte Kämpfer, arbeitslose Jugendliche und Angehörige unzufriedener Stämme. In dem Dokument hieß es weiter, mindestens vier der obersten zehn Taliban-Führer operierten aus Pakistan heraus. Rekrutiert würden die Mudschaheddin in den afghanischen Flüchtlingslagern in Pakistan.

Ein Großteil der Taliban wurde von ISI-Agenten bezahlt, um zu kämpfen. Ein Gruppen-Kommandeur der Taliban gab gegenüber westlichen Beobachtern zu, 120 US-Dollar für jeden Talib vom ISI zu bekommen.

Sind die Beziehungen des ISI zur Taliban-Bewegung eng, so kontrolliert und unterstützt der Geheimdienst ebenso engmaschig das Haqqani-Netzwerk. Den härtesten Vorwurf, mit Terrorgruppierungen zu kooperieren, erhob im September 2011 Admiral Mullen, der frühere Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs der US-Army, vor einem Militärausschuss des Senats, als er die Taliban als verlängerten Arm des ISI bezeichnete. Derartige Beschuldigungen, von Pakistan stets massiv zurückgewiesen, belasten jedoch immer wieder das Verhältnis und die Zusammenarbeit der beiden ungleichen Partner. Es ist ein Politspiel mit gezinkten Karten.

Das Haqqani-Netzwerk zählt im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet zu den erfahrensten Guerilla- und Terrorformationen, eng verknüpft mit dem pakistanischen Taliban-Zweig (Terek-e-Taliban). Und stets hört, sieht und agiert der ISI mit. Lokalisiert ist die Gruppe schwerpunktmäßig in Nord-Waziristan, in den autonomen Stammesgebieten (FATA) Pakistans. Aktivitäten entwickelt das Netzwerk hauptsächlich in Ost-Afghanistan. Ihren Namen erhielt die Gruppe nach einer der größten und einflussreichsten Koranschulen (Madrassas) des Landes, „Daruf Uloom Haqqania“, in der Stadt Akora Khattak östlich von Islamabad. Diese Hochschule mit 4.000 Studenten verkörpert eine enge Auslegung des Koran, von hier erhielten Islamisten aus der gesamten Region stets das ideologische Rüstzeug für ihren Dschihad. Der damalige Chef der Madrassa, Samiul Haq, galt als „Vater der Taliban“. Auch über den Gründer und Führer des Haqqani-Terrornetzwerks, Jalaluddin Haqqani, hielt der ISI seine schützende Hand und erlaubte ihm, in Nordwaziristan operative Freiheiten. Jalaluddin Happani ist ein alter Haudegen und Kämpfer gegen die ehemalige Sowjetunion nach deren Einmarsch 1979 in Afghanistan. Pakistans Militär und sein Geheimdienst ISI versuchten immer wieder, über die Führung der Koranschule Einfluss auf die Taliban zu nehmen.

Heute ist die Koranschule stolz, dass fast alle Spitzenpolitiker der neuen Taliban-Regierung in Akora Khattak ihren religiös-politischen Schliff erhielten – die Madrassa gilt als ideologische Kaderschmiede über die Grenzen Pakistans hinaus. Auch der neue Innenminister Afghanistans, Sirajuddin Haqqani, ein Sohn des Haqqani-Gründers, zählt zu den Absolventen der Koranschule in Akora Khattak.

Die direkte oder indirekte Hilfe des ISI für die Haqqani-Gruppe spiegelte sich in zahlreichen Aktionen und auch materiellen Zuwendungen wider. So wurden Kommandeure abwechselnd zwei Wochen in Afghanistan, dann eine Woche in Pakistan eingesetzt. An Geld mangelt es den Aufständischen ebenso wenig wie an Waffen und Munition. Nach Erkenntnissen westlicher Dienste wurde vieles aus dem unwegsamen Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan auf pakistanischen Militärfahrzeugen (Trucks), manchmal auch mit Pferden, Eseln oder Kamelen in das Einsatzgebiet nach Afghanistan geschleust. Kämpfer erhielten ein Salär zwischen 110 und 120 US-Dollar monatlich. Ein Kommandeur kommt dagegen bis auf 220 Dollar im Monat. Für die Tötung ausländischer Soldaten sollen Terrorgruppen in der Regel bis zu 5.000 US-Dollar erhalten haben.

Zwar kontrolliert, beeinflusst und schult der ISI keineswegs das gesamte Spektrum der afghanischen Aufstandsbewegung. Die Militärs und mithin der ISI in Islamabad sind aber immer noch entscheidende Faktoren, wenn es um strategische Positionen am Hindukusch nach dem Abzug der westlichen Truppensteller geht.

Mag die Struktur der afghanischen Taliban-Kämpfer auch nicht homogen sein, dennoch sind erfahrene Analytiker vor Ort überzeugt, dass es eine Art ideologische „Vorgabe“, eine Art Kette und stillschweigende Weisungen für die Taliban-Kader auch in der neuen Regierung in Kabul gibt. Diese verläuft zu großen Teilen von der vom ISI infiltrierten Quetta-Shura in Pakistan weiter zu den politischen Führern der Taliban in Doha und endet schließlich bei vielen der jungen Feldkommandeure irgendwo in der Weite Afghanistans – und bei vielen Aktionen sieht, hört und agiert der Inter Services Intelligence (ISI) mit oder schaut wissentlich weg, wenn dies im Interesse Pakistans ist!

Der vorliegende Text ist leicht verändert auch in der Juni-Ausgabe (6 – 2022) der Zeitschrift „.loyal – Das Magazin für Sicherheitspolitik“ erschienen.

Quellenangaben
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Uwe Gerstenberg
Uwe Gerstenberg, geboren 1961 in Berlin, schied 1987 als Offizier aus der Bundeswehr aus. Als Militärpolizist war er national und international im Einsatz und in den letzten Jahren seiner Dienstzeit in der Sicherungsgruppe des Bundesministeriums für Verteidigung beschäftigt. Uwe Gerstenberg ist seit nun mehr als 30 Jahren in der privaten Sicherheitswirtschaft in leitender Funktion tätig und war u. a. Sicherheitsverantwortlicher für eine internationale Unternehmensgruppe. Nach dem Wechsel in die Dienstleistungsbranche führte ihn sein beruflicher Werdegang in unterschiedliche Sicherheitsunternehmen als Niederlassungsleiter, Prokurist und Geschäftsführer. Als Mitgründer und Geschäftsführender Gesellschafter leitet er seit 1997 die consulting plus Unternehmensgruppe und ist zudem Geschäftsführer weiterer Tochterunternehmen. 2001 gründete er das damalige Institut für Terrorismusforschung & Sicherheitspolitik, dem heutigen Institut für Krisenprävention, IFTUS. Seit 2003 ist Uwe Gerstenberg u. a. Stiftungs- bzw. Kuratoriumsmitglied im Deutschen Forum für Kriminalprävention und war von 2009 bis 2014 Vizepräsident des Kuratoriums. Ferner ist er Mitglied im Security-Beirat der Messe Essen und im Anwenderrat für Compliance und Integrity. Er vertritt in diversen weiteren Fachverbänden die Interessen der Sicherheitswirtschaft. Uwe Gerstenberg ist Autor zahlreicher Buchbeiträge und Fachartikel.
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