„Beziehungstaten“ – die alltägliche Bedrohung (7)

„Beziehungstaten“ – die alltägliche Bedrohung

Als Fortsetzung werden in dieser Ausgabe Fälle aus dem 2. Halbjahr 2019 analysiert.
Bei 108 sogenannten „Beziehungstaten“ sind 64 Tote und 117 Verletzte zu beklagen. 81 Taten ereigneten sich im familiären Umfeld, 63 davon gegen die Partnerin (gegen den Partner).

In 101 Fällen wurden Menschen getötet oder verletzt. In mindestens 6 Fällen waren Behörden bereits im Vorfeld involviert. Bei in etwa der Hälfte der Fälle wird berichtet, dass diese Beziehungen durch teilweise lang anhaltende Streitigkeiten, Eifersucht, eine Trennung, den bevorstehenden oder bereits erfolgten Auszug eines Partners erheblich belastet waren. Das darf auch für weitere Fälle angenommen werden, selbst wenn in der Recherche keine konkreten Belege gefunden wurden

Eine Vergleichszahl für das 2. Halbjahr 2019 aus dem Spektrum des Terrorismus/Extremismus:
Bei sechs Terroranschlägen (der bekannteste am 09.10.2019 in Halle) starben insgesamt 2 Menschen und 5 Menschen wurden verletzt. Die Gefahr, in Deutschland Opfer einer Beziehungstat zu werden ist auch in diesem Beobachtungszeitraum ungleich größer.

Eine detaillierte Betrachtung der Fälle im gesamten bisherigen Beobachtungszeitraum (01.07.2016 – 31.12.2019) zeigt, dass die insgesamt 624 Fälle in folgendem Umfeld stattfanden:

  • 503 Familie
  • 62 Nachbarschaft / Mietverhältnis
  • 38 Beruf / Geschäft
  • 21 Schule

Davon wurden 316 Taten von Männern gegen Frauen begangen, 57 Taten von Frauen gegen Männer und 3 Taten fanden innerhalb einer gleichgeschlechtlichen Beziehung statt.

Folgende Mittel wurden nachweislich zur Tatbegehung eingesetzt:

  • in 306 Fällen: Messer / Degen / Axt
  • in 59 Fällen: Schusswaffen
  • in 33 Fällen: Werkzeuge wie Hammer / Brechstange, Baseballschläger
  • in 90 Fällen: Reine körperliche Gewalt
  • in 28 Fällen: Säuren / Benzin / Gas / Wasser
  • in 10 Fällen: Auto als Waffe
  • in 9 Fällen: Medikamente / Gift / Drogen
  • in 7 Fällen: Brandstiftung

Schlussfolgerung:
Zusätzlich zu den Folgerungen in der letzten Ausgabe zeigt sich, dass die meisten Beziehungstaten im häuslich privaten Umfeld ereignen. Hier wiederum stehen Taten von Männern gegen Frauen klar im Vordergrund. Als Tatwaffe wird in der Hälfte der Fälle ein Messer oder ähnliches (Degen, Schere, Axt, Schraubendreher) eingesetzt. Schusswaffen nehmen mit weniger als 10% einen eher geringen Teil ein. Das ist sicherlich eine wichtige Information bei der Fallanalyse durch Bedrohungsmanagement-Experten.

Wie prognostiziert haben sich diese Zahlen auch in dieser Auswertung weiter verfestigt. Nach bislang 624 ausgewerteten Fällen ist eine signifikante Veränderung nicht zu erwarten.

Es wäre wünschenswert, dass das Thema Bedrohungsmanagement und die damit verbundenen Möglichkeiten, schwere Gewalttaten zu verhindern mehr in den öffentlichen Focus gerückt wird.

Diese Auswertung wird in den nächsten Ausgaben jeweils für einen Halbjahreszeitraum fortgeführt.

Datenmaterial:
Beobachtungszeitraum: 2. Halbjahr 2019 (Entscheidend ist das Tat-Datum)

Relevante Fälle:

  • Es wurden Fälle betrachtet, in denen die handelnden Personen in einer Beziehung zueinanderstanden. (z.B. familiär, partnerschaftlich, geschäftlich)
  • Fälle von Gewalt gegen Polizei, Rettungs- oder Ordnungskräfte wurden nicht betrachtet, sofern sich die Gewalt nicht gegen die Personen, sondern gegen die Funktion richtete.
  • Fälle, die ausschließlich durch Bereicherungsabsichten oder von Substanzmissbrauch motiviert waren wurden ebenfalls nicht betrachtet.

Anzahl relevanter Taten im Beobachtungszeitraum: 108

Die Auswertung betrachtet gezeigtes Verhalten im Vorfeld, das Anlass zur Sorge gibt, z. B. substanzielle Drohungen, Aussagen über die Dauer der Belastung in einer Beziehung und die Frage, ob bereits Dritte (Angehörige, Behörden, ...) informiert waren.

Corona-Krise:
Im 2. Halbjahr 2019 war die Corona-Krise noch nicht von Belang. In unterschiedlichen Medien wird unter anderem aktuell als zu erwartend thematisiert:

  • eine Zunahme von häuslicher Gewalt
  • eine Zunahme suizidaler Krisen

In der nächsten Auswertung (1.Halbjahr 2020) wird ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, ob diese Befürchtungen wirklich eingetroffen sind.

Quellenangaben
1) Bild von Bild von Niek Verlaan auf Pixabay
2) Polizeiberichte aus den Bundesländern auf der Startseite t-online.de, ausschließlich nationale Fälle
3) Wikipedia – Liste von Terroranschlägen

Jürgen Wolf
Jürgen Wolf ist international anerkannter und zertifizierter Bedrohungsmanager nach den europäischen Standards der AETAP (Association of European Threat Assessment Professionals). Jürgen Wolf war 22 Jahre für den Bundesgrenzschutz tätig, bevor er 1996 in die Privatwirtschaft wechselte. Hier war er in leitender Position für den Bereich Personen- und Veranstaltungsschutz tätig verantwortlich, bis er sich 2013 auf personelle Sicherheit und Bedrohungsmanagement spezialisierte.
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