Drei Fragen an Generalleutnant Rainer Glatz

Drei Fragen an Generalleutnant Rainer GlatzDie Einbindung von Taliban in den Friedensprozess nach Abzug der ISAF-Truppen aus Afghanistan und die Auswirkungen der Bundeswehrreform auf Soldaten im Auslandseinsatz – dazu hat der Security Explorer drei Fragen an den Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr Generalleutnant Rainer Glatz.

Frage 1: Herr General, als Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr sind Sie häufig in Afghanistan. Es sollen schon seit längerem Gespräche mit Taliban-Offiziellen über eine mögliche Einbindung dieser Gruppierung nach Abzug der ISAF-Truppen aus dem Land laufen. Sollten Ihrer Meinung nach Taliban in diese "Friedensgespräche" eingebunden werden, demnach auch Männer, die heute noch auf die Konvois und Patrouillen der Bundeswehr schießen und sie mit IEDs angreifen?

Seit geraumer Zeit herrscht innerhalb der Internationalen Gemeinschaft und durchaus in Übereinstimmung mit der afghanischen Regierung darüber Konsens, dass nur über einen politischen Prozess, der die Verständigung mit den Taliban einschließt, eine nachhaltige Stabilisierung und damit ein Ende kriegerischer Auseinandersetzungen in Afghanistan gelingen kann. Die Absicht der Taliban, ein Büro in Qatar zu eröffnen und damit in einen Dialog einzutreten, kann u.a. eine Möglichkeit für notwendige Gespräche eröffnen. Die zwingend gebotene Aussöhnung kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn gleichzeitig Rachegedanken ausgeräumt und die seit Jahrzehnten entstandenen, trennenden Gräben überwunden werden.

Dieser Prozess gestaltet sich in einem, nach über 30 Jahren im Bürgerkrieg stehenden Land natürlich sehr schwierig. Die afghanische Regierung steht gegenüber ihrem eigenen Volk und der internationalen Gemeinschaft hier in einer herausragenden Verantwortung. Eine entscheidende Voraussetzung für erfolgreich verlaufende (Friedens-)Gespräche wird meiner Ansicht nach aber sein, der Gewalt untereinander endgültig abzuschwören. Hier gilt es zwischen Taliban und Taliban sehr sorgfältig zu differenzieren. Die Talibanbewegung spaltet sich in viele Untergruppierungen.

Parallel zu den "Gesprächen" und "Verhandlungen" sind aber auch Verhaltensänderungen zur Vertrauensbildung zwingend erforderlich. Denn ich kann es mir nur schwer vorstellen, dass man einerseits auf Dauer erfolgreich friedlich verhandeln kann, wenn andererseits weiter verbrecherische Terrorakte verübt werden, wie uns – neben vielen anderen Anschlägen – z.B. das tödliche Attentat auf den Aussöhnungsbeauftragten der afghanischen Regierung Burhanuddin Rabbani im Herbst letzten Jahres tragisch vor Augen geführt hat.

Frage 2: Herr General, gibt es im Großraum Kunduz angesichts durchaus sichtbarer Erfolge der Bundeswehr im Kontext mit den amerikanischen Verbündeten und der ANA einen signifikanten Taktikwechsel der Aufständischen? Können Sie uns den aktuellen Modus Operandi der Taliban gegen ISAF-Truppen erläutern?

Wir konnten bereits im Sommer 2011 erkennen, dass sich die Taliban unter anderem aufgrund der erfolgreich durch die internationale Koalition und die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam geführten Operationen gezwungen sahen, einen Taktikwechsel zu vollziehen. Die Verluste der Taliban einerseits und die erhöhte Präsenz und die verbesserten Fähigkeiten afghanischer und internationaler Sicherheitskräfte andererseits erlaubten es den Taliban nicht mehr, sich in offenen Gefechten zu binden. Im Herbst letzten Jahres wurde deshalb ein Wechsel der bis dahin angewandten Taktik der offenen Konfrontation hin zu nadelstichartigen Angriffen auf afghanische Sicherheitskräfte und Anschlägen bzw. Attentate auf hochrangige Persönlichkeiten und Würdenträger der afghanischen Politik und Öffentlichkeit deutlich.

Dieser Taktikwechsel konnte nicht nur im Verantwortungsbereich des Regionalkommandos Nord, sondern in ganz Afghanistan beobachtet werden. Ein aktueller "Modus Operandi" also, der an dieser hinterhältigen und menschenverachtenden Taktik nach wie vor festhält.

Frage 3: Herr General, gibt es Ihren Erkenntnissen nach Auswirkungen angesichts der Reform der Bundeswehr auf die Moral und Einsatzbereitschaft unserer Soldaten in den Auslandseinsätzen, insbesondere in Afghanistan?

Die Neuausrichtung der Bundeswehr berücksichtigt umfassend die Notwendigkeiten der laufenden Einsätze der Bundeswehr im Ausland. Somit wird sichergestellt, dass die Verpflichtungen, die Deutschland in der internationalen Staatengemeinschaft militärisch übernommen hat, ohne jegliche Einschränkungen parallel zu den Reformmaßnahmen wahrgenommen werden können.

Natürlich fragen sich auch unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, welche Auswirkungen die Reform auf ihre persönlichen Planungen hinsichtlich künftiger Standorte, der grundsätzlichen dienstlichen Situation und der Laufbahnmöglichkeiten mit sich bringt. Dabei besitzt das Thema "Vereinbarkeit von Familie und Dienst" im Zusammenhang mit Reformfragen hohe Relevanz. Deshalb gilt es für alle verantwortlichen Vorgesetzten, die Angehörigen der Bundeswehr – ob zu Hause in Deutschland oder im Auslandseinsatz – in diesem Prozess durch ständige Information und Kommunikation "mitzunehmen" und den persönlichen Belangen den gebotenen hohen Stellenwert einzuräumen. Nur so kann ein umfassendes Gelingen der Reform sichergestellt werden.

Bei meinen zahlreichen Besuchen in den Einsatzgebieten nehme ich aber auch sehr deutlich wahr, dass die gemeinsame, multinational zu tragenden Aufgaben, deren Bewältigung nur durch eine intakte Gemeinschaft und das besondere Engagement jedes Einzelnen in seinem Aufgabengebiet gelingen kann, zumindest vorübergehend berechtigte Fragen nach der persönlichen Zukunft in den Hintergrund treten lässt. Die Erfüllung des vielfach äußerst gefährlichen und risikobehafteten Einsatzauftrages steht hier eindeutig im Vordergrund.

Dennoch ist es von ausschlaggebender Bedeutung, die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz eng über die aktuellen Entwicklungen informiert zu halten, um ihnen ihre Konzentration auf den Einsatzalltag ohne ablenkende Sorgen zu ermöglichen. Zu keinem Zeitpunkt darf das Gefühl entstehen, durch die einsatzbedingte Abwesenheit von zu Hause, möglicherweise Nachteile zu erfahren. Gleichzeitig muss ich allen im Einsatz befindlichen Soldatinnen und Soldaten meinen Dank, meinen Respekt und meine Anerkennung für die tagtäglich bewiesenen herausragenden Leistungen aussprechen. Unsere Soldatinnen und Soldaten dienen mit ihrem beispielgebenden Einsatz nicht nur unserem Land in beeindruckender Weise, sondern meistern die damit einhergehenden Herausforderungen – auch in Kenntnis der gravierenden Veränderungen der laufenden Bundeswehrreform – in einer Art und Weise, die mich in besonderem Maße beeindruckt und mit Stolz erfüllt.

Die Fragen stellte Rolf Tophoven, Direktor des IFTUS – Institut für Krisenprävention.

Quellenangaben
Titelbild: Rolf Tophoven

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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