Kriegsangst in Asien

Der große Nachbar China rüstet mit Flugzeugträgern und Raketen offenbar gezielt gegen die mit Japan eng verbündete US-Marine auf, russische Atombomber umkreisen die japanischen Inseln, und die nach dem Tod von Kim Jong Il möglicherweise noch unberechenbarer gewordene Diktatur in Nordkorea droht sogar mit dem Einsatz von Atomwaffen – in der Pazifik-Region verschieben sich großflächig die Machtverhältnisse.

Die Furcht von Chinas Nachbarn
Die Vereinigten Staaten haben darauf mit einem strategischen Kurswechsel reagiert: 2.500 Marineinfanteristen sollen in Darwin im Norden Australiens stationiert werden, kündigte US- Präsident Barack Obama an. Amerika will seine Armee nach dem Abzug aus Afghanistan und dem Irak schnellstmöglich in der Pazifik-Region konzentrieren. Ursprungspläne, die Militärpräsenz auf der japanischen Insel Okinawa zu reduzieren, wurden verworfen. Die USA, so betonte Obama, werde in Ostasien "unsere einzigartige Fähigkeit bewahren, Macht auszustrahlen und Bedrohungen des Friedens abzuwehren" – ein klares Signal an China, das laut Umfragen jeder zweite Amerikaner als militärische Bedrohung empfindet.

Angst vor dem immer mächtiger werdenden China haben auch Vietnam, die Philippinen und Kambodscha. Sie fürchten konkret einen Angriff Chinas, dessen staatseigene Medien den verschreckten Nachbarn unverhohlen drohen. Das von den USA unterstützte national-chinesische Taiwan ist bereits seit Jahrzehnten ein Zankapfel, den Peking als Teil der Volksrepublik ansieht.

Nordkorea und Russland als weitere Faktoren der Instabilität
Doch die Lage ist noch verworrener: Auch Japan und Südkorea liegen wegen Gebietsansprüchen über Kreuz. Nordkorea sieht den Süden als Erzfeind an und hat noch kürzlich eine südkoreanische Insel mit Artillerie beschossen. "Zurzeit sind die nordkoreanischen Nuklearsprengköpfe allerdings noch keine echte Bedrohung. Sie sind viel zu groß für Flugzeuge oder Raketen", sagt Masashi Nishihara, Präsident des Tokioter Friedensforschungsinstituts, der etliche Jahre dem Vorstand des renommierten Londoner Instituts für Strategische Studien angehörte. Das könne sich aber bald ändern, denn das Land arbeite fieberhaft an kleineren Sprengköpfen. "Nordkorea ist ein großer Unsicherheitsfaktor", heißt es ergänzend im Verteidigungsministerium in Tokio.

Neuerdings zeige auch Russland wieder Muskeln in der Region: Russische Militärflugzeuge seien für die meisten Luftraumverletzungen verantwortlich, sagt Kazuaki Iwata von der verteidigungspolitischen Abteilung des Ministeriums und zeigt auf einer Karte den Kurs russischer Atombomber, die Japan eng umkreist haben. "Das Motiv ist unklar. Möglicherweise testen sie unsere Luftverteidigung und sammeln Informationen." Abfangjäger würden in diesen Fällen die Eindringlinge abdrängen, anschließend erhalte Moskau eine offizielle Protestnote.

Chinas Dominanz wächst
Pekings Schatten ist aber für viele Japaner mit Abstand der bedrohlichste: "China hat 2010 Japan als zweitgrößte Volkswirtschaft nach den USA abgelöst", sagt Masuda Masayuki vom Nationalen Institut für Verteidigungsforschung. "Eine lange Periode der chinesischen Überlegenheit wird folgen. Es ist eine rapide Verschiebung des wirtschaftlichen Mächtegleichgewichts im Gange."

Parallel dazu rüstet China massiv auf, möglicherweise auch, um seine Seewege zu sichern. Denn je mehr die Wirtschaft wächst, desto größer wird der Bedarf an Öl, Gas und weiteren Rohstoffen, die China aus den arabischen Staaten und Afrika importiert. Japanische Experten sprechen auch von einem Machtkampf zwischen Parteibüro und Volksarmee. Die vor der Ablösung stehende Staatsführung sei offenbar über jüngste Raketentests gar nicht informiert worden.

Die bislang unangefochtene Vormachtstellung der USA, dem Beschützer Japans, gerate zusehends ins Wanken. "China versucht, auf dem Meer Grenzen zu ziehen", meint Kuni Miyake vom Canon-Forschungsinstitut für globale Studien. "Das ist typisch für Festlandsvölker. Aber es gefährdet die Freiheit der Meere, auf die wir als große Handelsnation angewiesen sind."

Politische und militärische Reaktionen Japans
Andererseits sei Japan inzwischen vom Handel mit China abhängig, stellt Professor Ryosei Kokobun fest, der als Japans profundester China-Kenner gilt. Die Invasion findet seiner Ansicht nach nicht militärisch, sondern wirtschaftlich statt: Chinesische Firmen kauften japanische auf oder hätten maßgebliche Aktienanteile erworben. "Unser Land wird ausgehöhlt. Japan braucht China, besonders als Absatzmarkt für seine Produkte. Aber zugleich ist unser Misstrauen groß."

Japan reagiert auf die Bedrohung mit dem Umbau seiner Streitkräfte in Richtung Marine und Aufklärung: So wird u.a. die Zahl der Kampfpanzer von 600 auf 400 reduziert, dafür die U-Boot-Flotte von 16 auf 22 aufgestockt. Japan hat ferner 42 Tarnkappen-Jagdbomber vom Typ F-35 in den USA bestellt. Australien erhält zehn Transportflugzeuge. Die Philippinen wollen zwölf F-16-Jagdbomber von Amerika kaufen.

Im Verteidigungsministerium in Tokio wird die Kräfteverschiebung diplomatisch-zurückhaltend kommentiert: "Wir betrachten China nicht als Bedrohung, sind aber durchaus besorgt darüber, dass ohne Transparenz aufgerüstet wird", sagt Iwata. Japan könne aber mit Peking zurzeit noch reden, meint Nishihara. Das werde für vielfältige vertrauensbildende Kontakte genutzt, darunter politische Gespräche und gegenseitigen Truppenaustausch. "Trotzdem wird sich Peking nicht bremsen lassen. Die Spannung wird in den kommenden vier bis fünf Jahren deutlich zunehmen. Es muss unser großes Ziel sein, einen Krieg zu verhindern."

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Helmut Michelis (63) ist vor 45 Jahren durch die Wehrpflicht zur Bundeswehr gekommen und seit 2004 Oberst d.R., der Spitzendienstgrad für Reservisten. Zurzeit absolviert der langjährige Redakteur mit Schwerpunkt Sicherheitspolitik, der zuletzt bis Dezember 2015 bei der Tageszeitung Rheinische Post in Düsseldorf tätig war, seine 70. Wehrübung.
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