3 Fragen an Dr. Hans-Georg Maaßen – Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz

3 Fragen an Dr. Hans-Georg Maaßen – Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz

Security Explorer: Herr Dr. Maaßen, nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin im Dezember 2016 hat es keinen großen islamistischen Anschlag in Deutschland mehr gegeben. Liegt das nun an der militärischen Schwäche des IS nach der Niederlage auf dem Schlachtfeld in Syrien und im Irak oder an der Qualität der deutschen Sicherheitsbehörden?

Dr. Hans-Georg Maaßen: Dass es im Jahr 2017 mit der Messerattacke in einem Supermarkt in Hamburg nur zu einem islamistischen Terroranschlag in Deutschland kam, ist unter anderem auf erfolgreiche bundesweite Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden zurückzuführen. So wurde 2017 – auch unter Mitwirkung des BfV – eine Vielzahl islamistisch motivierter Anschlagsplanungen frühzeitig aufgedeckt bzw. vereitelt.

Um nur einige Beispiele zu nennen:
Im Februar 2017 wurde in Lippstadt ein 21-jähriger deutsch-russischer Staatsangehöriger festgenommen, nachdem bei der Durchsuchung seines Zimmers unter anderem geeignete Mittel für die Herstellung des Sprengstoffs TAPT festgestellt wurden.

Im Oktober 2017 konnte in Schwerin ein IS-Sympathisant festgenommen werden, der bereits mit der konkreten Vorbereitung eines Anschlags begonnen hatte. In mehreren Fällen, z.B. in Göttingen und Güstrow, konnten IS-Sympathisanten mit mutmaßlicher Anschlagsabsicht festgenommen werden und schließlich nach §58a Aufenthaltsgesetz in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.

Zuletzt konnte am 12. Juni 2018 in Köln der Tunesier Sief Allah H. festgenommen werden. Er hatte Material zum Bau einer toxisch unterstützten USBV im Internet bestellt und bereits erfolgreich eine große Menge Rizin hergestellt. In der Gesamtschau der vorliegenden Hinweise ist es wahrscheinlich, dass ein terroristischer Anschlag durch die Exekutivmaßnahmen verhindert wurde. Dies ist der erste bekannte Fall eines Versuchs eines jihadistisch motivierten Täters, in Deutschland Biowaffen herzustellen. Wäre dies zur Umsetzung gekommen, hätte es einen schweren Anschlag nach sich ziehen können. In mehreren Fällen, z.B. in Göttingen und Güstrow, konnten IS-Sympathisanten mit mutmaßlicher Anschlagsabsicht festgenommen werden und schließlich nach §58a Aufenthaltsgesetz in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.

Security Explorer: Nach der Niederlage in Raqqa und Mossul sowie enormen Gebietsverlusten muss sich der sogenannte Islamische Staat neu positionieren. Wo sehen Sie künftig neue Aktionsräume des IS, welche Taktiken und Vorgehensweisen wird er entwickeln und wie könnte sich dies auch auf Deutschland auswirken?

Dr. Hans-Georg Maaßen: Der IS kontrolliert sowohl im Irak als auch in Syrien kein zusammenhängendes Gebiet mehr. Angesichts der offensichtlichen militärischen Niederlage müssen wir davon ausgehen, dass die Organisation ihr Augenmerk stärker auf die Durchführung von Operationen im Ausland – speziell in Europa – legen wird, um ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.

Die Zerschlagung des IS als Quasi-Staatswesen zwingt die Organisation dazu, sich als „Kalifat ohne Territorium“ neu zu strukturieren und zunehmend auf ein asymmetrisches Vorgehen von kleinen Gruppen zu setzen. Hierüber könnte der IS versuchen, wieder Erfolge für sich zu verbuchen. Die Propaganda des IS hat sich von Aufrufen zur Ausreise und Kampfteilnahme dahingehend verlagert, dass zu Einzeltäteranschlägen in westlichen Ländern aufgerufen wird.

Der jihadistische Terror ist in vielen Teilen der Welt virulent. So bildete sich im Norden der ägyptischen Sinai-Halbinsel die „Provinz Sinai“ des IS. Weitere Jihad-Schauplätze sind neben Syrien/Irak und Afghanistan/Pakistan der Jemen, die Sahelzone (vor allem Mali), Somalia, Libyen, Tunesien, die Philippinen und Indonesien. Abgesehen von der Region Afghanistan/Pakistan sind allerdings bisher kaum Ausreisen westlicher Jihadisten dorthin festzustellen.

Security Explorer: Die deutschen Sicherheitsbehörden und auch Ihr Amt sprechen nach wie vor von einer hohen Gefahr durch den militant salafistischen / Dschihadismus. Ist die Gefahr wirklich noch so hoch und aktuell, wie gemeinhin von den Diensten in Deutschland angenommen wird?

Dr. Hans-Georg Maaßen: Die Bundesrepublik Deutschland wird von den verschiedenen jihadistischen Organisationen wie dem IS und al-Qaida weiterhin als Gegner wahrgenommen und steht unverändert in deren Zielspektrum.

Die Organisationen haben den Anspruch, jede sich bietende Gelegenheit zur Durchführung von terroristischen Gewalttaten zu nutzen. Sie sind bestrebt, insbesondere zu eigenständig geplanten und durchgeführten terroristischen Gewalttaten durch Einzelpersonen oder autonom handelnde Kleinstgruppen zu animieren. Dementsprechend besteht sowohl für das Bundesgebiet, als auch für deutsche Interessen in verschiedenen Regionen der Welt eine anhaltend hohe Gefährdung, die sich jederzeit in Form von jihadistisch motivierten Anschlägen konkretisieren kann.

Das von den deutschen Sicherheitsbehörden identifizierte islamistisch-terroristische Personenpotenzial beläuft sich derzeit auf rund 2.090 Personen. Bei der Lageeinschätzung spielen aktuell vor allem zwei Risikofaktoren eine Rolle: Zum einen die Rückkehr von Personen aus den Kampfgebieten in Syrien und Irak und zum anderen die sicherheitsrelevanten Folgen der irregulären Migration. Aber auch das weiterhin zunehmende salafistische Personenpotenzial von derzeit 11.200 Personen wirkt sich auf die Sicherheitslage aus.

Das Interview führte Rolf Tophoven, Direktor des IFTUS – Institut für Krisenprävention.

Quellenangaben
Titelbild: Dr. Hans-Georg Maaßen im Gespräch mit Rolf Tophoven.

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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