Wie der „Islamische Staat (IS)“ rekrutiert

Der IS verzeichnet einen enorm hohen Zulauf an Kämpfern aus dem In- und Ausland. Die Gründe für diesen Erfolg sind vielschichtig und abhängig von der Herkunft der Kämpfer. Der IS passt seine Propaganda regional an, um potenzielle Mitglieder bestmöglich zu erreichen. Außerdem wird die Rekrutierung mehrsprachig betrieben, sodass die Terrormiliz mehr Menschen erreicht als mit einer rein englisch- oder arabischsprachigen Propaganda (1). So hebt der IS die Kontaktaufnahme in der Sprache der Anzuwerbenden auf ein persönlicheres Niveau.

Im Mittleren und Nahen Osten
Die Werbemethoden im arabischen Raum unterscheiden sich von denen der westlichen Welt. In Saudi-Arabien wird beispielsweise damit geworben, das Land zu islamisieren und von dem gefährlichen und sündigen westlichen Lebenswandel zu befreien. Die Menschen im direkten Herrschaftsgebiet des IS haben jedoch weitere Beweggründe, der Organisation beizutreten (2). Sie treten dem IS bei, um Folter und Tod zu entgehen – das gilt für Zivilisten, vor allem aber für Kämpfer anderer dschihadistischer Terrormilizen.

Auf der anderen Seite wirbt der IS mit hohen Gehältern für seine Kämpfer. Gerade dieses Versprechen klingt verlockend für die Menschen, die in einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit und hohen Inflationsraten leben (3). Gleichzeitig spielt ein gesellschaftlicher Aspekt eine große Rolle: Für eine Hochzeit muss der Mann eine hohe Mitgift erbringen (4). Das Gehalt des IS verspricht nicht nur eine Aufwertung des eigenen Lebensstandards, sondern erhöht auch die Möglichkeit einer Heirat. Es werden sogar Hochzeitsprämien geboten, je nach Herkunft und Qualifizierung der Frau liegen diese zwischen 500 und 1.500 US-Dollar (5). Neben finanziellen Gründen ist die besondere Ideologie des IS ein weiterer Faktor für den hohen Zulauf an Kämpfern. Die kompromisslose und radikale Ideologie spricht diejenigen an, die al-Qaida als zu pragmatisch erachten.

Westliche Hemisphäre
In der westlichen Welt stehen gerade junge Menschen im Fokus der Rekrutierung. Vor allem in Europa werden perspektivlose, labile Jugendliche angesprochen, die keinen Halt und Anerkennung in der Gesellschaft haben und eine Zugehörigkeit suchen (6). Eben jenes Zugehörigkeitsgefühl verspricht der IS. Er inszeniert das Bild einer Gemeinschaft, in der Gleichwertigkeit zwischen Anführern und Mitgliedern herrscht (7). Hier hoffen viele, Aufmerksamkeit, Zugehörigkeit und Abenteuer zu finden, Mut beweisen zu können und Helden zu werden. Während so einerseits mit positiven Gefühlen geworben wird, bedient sich der IS gleichzeitig der Perspektivlosigkeit der Angesprochenen. Die Ungerechtigkeit der Gesellschaft wird betont und der Beitritt zum IS nicht nur als Lösung für die persönlichen Probleme, sondern auch als Mittel zur gesellschaftlichen Veränderung propagiert (8).

Die intensive Nutzung des Internets erlaubt eine schnelle und einfache Propaganda und ermöglicht eine Rekrutierung auch ohne reellen Kontakt. Insbesondere die Nutzung sozialer Netzwerke, wie Facebook oder Twitter, trägt zum Erfolg des IS bei (9). Der Mensch radikalisiert alleine vor dem Computer, wo er den verschiedenen Rekrutierungsstrategien des IS verfallen kann (10). Von Videos, Nachrichten und Liedern, die ein romantisches Bild des IS vermitteln, bis hin zu individuellem Kontakt über Facebook nutzt die Organisation das gesamte Netz (11). Verschiedene Medien, wie al-Furqān Media (mit über 160 Veröffentlichungen in 2014), al-Bayan-Radio, al-Khalifa-TV und Dabiq (ein Onlinemagazin in englischer Sprache für Muslime in Deutschland) verbreiten darüber hinaus die Ideologie und Nachrichten des IS (12). Auch auf Twitter verbreitet der IS seine Ideologie und informiert seine Anhänger. Obwohl es Berichte gibt, dass die Propaganda des IS die Öffentlichkeit in den benachbarten arabischen Ländern nicht so sehr beeinflusst wie gewünscht (13), kommen die meisten Unterstützer und Anhänger der IS-Twitter-Konten aus dem sunnitischen Saudi-Arabien (14).

Propaganda von und für Frauen
Propaganda für Frauen wird nach dem Muster „von Frauen für Frauen“ betrieben. Bereits ausgereiste und dem IS angeschlossene Frauen und Mädchen bieten im direkten virtuellen Kontakt an, bei der Ausreise oder auch bei der Suche nach möglichen Ehemännern behilflich zu sein (15). Gründe den IS zu unterstützen und nach Syrien zu reisen, liegen auch hier meist in der persönlichen Situation der Angesprochenen. Oft wird das eigene Leben als leer und von der Gesellschaft vernachlässigt empfunden, wogegen die Gemeinschaft des IS und ein vermeintlich hervorragend funktionierender Sozialstaat stehen (16). Allerdings spielen auch religiöse und weltliche Motive eine Rolle. So propagiert der IS das Bild eines Staates, in dem nur die Scharia regiert und vollkommen ausgelebt werden darf, der frei von Diskriminierung ist und in dem keine „behördliche Schikane“ stattfindet. In persönlichen Gesprächen wird die gesundheitliche, finanzielle und soziale Absicherung gelobt und glorifizierend wird erzählt, dass die Frau einen Kämpfer heirate, was als romantische Ehe mit einem Helden stilisiert wird (17). Obwohl die Frau deutlich als Mutter und Hausfrau dargestellt wird, betont der IS die Möglichkeit, einem Beruf außerhalb des Hauses nachzugehen.

Nach ihrer Ankunft im Kalifat werden die Frauen meist in der IS-Hochburg, dem syrischen Rakka, in Frauenhäuser gebracht, bevor sie an IS-Männer verheiratet werden (18). Durch diese Strategie baut sich der IS langfristig ein eigenes Volk auf. Der Kontakt der jungen Frauen zur zurückgelassenen Familie fällt unterschiedlich aus. Während einige ihre Familien als religiös irregeleitet bezeichnen, obwohl sie Muslime sind, brechen andere den Kontakt ganz ab. Manche jedoch wünschen sich zwar ein Wiedersehen mit der Mutter, werten diesen Wunsch jedoch geringer als die Freude, im Kalifat angekommen zu sein (19).

Die Rolle von Kindern und Jugendlichen
Seit 2008 spielen auch vermehrt Kinder eine größere Rolle im Rekrutierungsprozess des IS (20). Kinder, die mit Waffen und Exekutierten posieren, haben eine vielfältige Aussagekraft. Sie demonstrieren die Entschlossenheit der nachwachsenden Generation und verdeutlichen, dass der IS auch in Zukunft durch heranwachsende Terroristen existieren wird. Gleichzeitig aber ist es ein Zeichen für interessierte männliche Islamisten, dass auch Familien und Kinder im Kalifat willkommen sind (21). In anderen Fällen werden Jungen und Mädchen gezeigt, die unter den Kriegsakten westlicher Akteure leiden, wodurch der IS negative Emotionen gegen den Westen auslösen möchte. In dieser Hinsicht helfen ihm auch die Luftangriffe der Amerikaner, Franzosen, Briten und Russen. Der IS weiß, dass die harten Gegenschläge des Westens, provoziert durch die Anschläge in Paris oder den Angriff auf eine russische Passagiermaschine, hohe Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung in Syrien und dem Irak mit sich bringen. Diese wiederum haben einen starken Zulauf zum IS zur Folge. Bernd Ulrich formuliert das Dilemma wie folgt: „Bomben töten Terroristen – und schaffen neue“ (22).

Kinder und Jugendliche sind nicht nur Teil der Propaganda, sondern auch ihr erklärtes Ziel. Sie sind leicht durch soziale Netzwerke und Internetseiten zu erreichen. Aber auch die Glorifizierung von Prominenten und Idolen Jugendlicher, wie die des Berliner Rappers Denis Cuspert, der unter dem Namen Abu Talha al-Almani für den IS kämpfte, sollen das Interesse der Jugendlichen wecken (23). Gleichzeitig radikalisieren Jugendliche schneller, wenn sie von ihresgleichen angesprochen werden (24). Neben dem Wunsch nach einer Gemeinschaft und einer Perspektive, scheint vor allem die Suche nach der eigenen Identität ein Motivator für junge Menschen zu sein, dem IS beizutreten (25).

Quellen
(1) Informationsbroschüre des Bundesamt für Verfassungsschutz, Kinder und Jugendliche in der jihadistischen Internetpropaganda, Juli 2015.
(2) Ebenda.
(3) R. Salloum, “Islamischer Staat“: Flitterwochen im Kalifat, Spiegel Online, Mai, 28, 2015 (http://www.spiegel.de/politik/ausland/is-islamischer-staat-flitterwochen-im-kalifat-a-1035948.html).
(4) Ebenda.
(5) Ebenda.
(6) Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (lpb), Islamischer Staat (IS), (https://www.lpb-bw.de/islamischer-staat.html).
(7) U. Schaeffer, Klick-Kopf ab, Internationale Politik und Gesellschaft, Oktober, 12, 2015 (http://www.ipg-journal.de/regionen/naher-osten/artikel/detail/klick-kopf-ab-1091/).
(8) Ebenda.
(9) D. Byman, J. Shapiro, Be a little afraid: The Threat from Terrorism from Western Foreign Fighters in Syria and Iraq, Foreign Policy at Brooking, 34, 2014.
(10) U. Schaeffer (Anm. 7).
(11) G. Heil, V. Kabisch, A. Spinrath, Wie IS- Anwerberinnen Mädchen locken, Tagesschau, Juni, 25, 2015 https://www.tagesschau.de/inland/islamischer-staat-frauen-101.html
(12) U. Schaeffer (Anm. 7).
(13) B. Parker, Poll: IS has almost no popular support in Arabic publics, Washington Institute, 2014 (http://www.washingtoninstitute.org/press-room/view/poll-isis-has-almost-no-popular-support-among-arab-publics).
(14) B. Ulrich, Das Ender der Arroganz, Die Zeit, 47,2015, S. 3.
(15) Informationsbroschüre des Bundesamt für Verfassungsschutz, Jihadistinen und ihre Rolle bei der Anwerbung für Frauen für den „Islamischen Staat“, September 2015.
(16) Ebenda.
(17) Ebenda.
(18) G. Heil, V. Kabisch, A. Spinrath (Anm. 11).
(19) Bundesamt für Verfassungsschutz, (Anm. 15).
(20) Bundesamt für Verfassungsschutz, (Anm. 1).
(21) Ebenda.
(22) B. Ulrich (Anm. 14).
(23) Bundesamt für Verfassungsschutz, (Anm. 1).
(24) Newsletter vom Bundesverfassungsschutz, Newsletter Nr.3/2015,Kinder und Jugendlicher in der jihadistischen Propaganda, (http://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/newsletter/newsletter-archive/bfv-newsletter-archiv).
(25)Ebenda.

Friederike Wegener
Friederike Wegener, freie Mitarbeiterin des Security Explorer. Friederike Wegener studierte European Studies in den Niederlanden und Süd-Korea und hat einen Masterabschluss der französischen Universität Sciences Po Paris in International Security mit Fokus auf den Nahen Osten und Intelligence. Sie sammelte bereits Arbeitserfahrung bei consulting plus, der Delegation der Europäischen Union zu den Vereinten Nationen in Wien und bei dem UN Flüchtlingshilfswerk für die Palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten. Derzeit arbeitet sie bei der Europäischen Kommission im Generaldirektorat Migration und Inneres, in der Unit Prävention von Radikalisierung als Policy Officer in Brüssel. Im August 2018 erschien ihr Buch „Quo Vadis Palästina“ bei consulting plus, in dem sie das Leben als deutsche Studentin im besetzten Gebiet beschreibt und Einblicke in die komplexe politische nationale und international Konfliktlage im Arabisch-Israelischen Konflikt gibt.
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