Warum ist der „Islamische Staat (IS)“ so erfolgreich?

Das ausgerufene Ziel der Alleinherrschaft schafft dem IS eine enorme Menge Feinde und verhindert bewusst jegliche Unterstützung anderer jihadistischer Gruppierungen. So bekämpft der IS zum Beispiel die Fraktionen der Taliban in Afghanistan und auch die ebenfalls sunnitische al-Nusra Front in Syrien (1). Die USA, Frankreich und Großbritannien fliegen seit September 2014 Luftangriffe gegen Stellungen des IS (2).

Seit Ende September 2015 ist auch die russische Luftwaffe in Kooperation mit dem Assad-Regime in die Bekämpfung des IS involviert (3). Dennoch verfolgt die terroristische Organisation weiterhin kompromisslos ihr Ziel, ein Kalifat zu errichten. Es stellt sich die Frage, warum der IS so resistent gegen Angriffe ist, erfolgreich Territorien einnehmen und Schrecken verbreiten kann. Fünf Gründe können als wesentlich für den Erfolg identifiziert werden: die innerstaatliche Struktur Syriens und des Ir

  • die (Re-) Aktionen anderer Staaten
  • die Unterstützung und Erfahrung ausländischer Kämpfer
  • die spezifische Taktik der Angriffe des IS
  • die intensive Nutzung des Internets

Die innerstaatliche Struktur Syriens und des IraksSowohl die Bürgerkriege und die kaum vorhandene Staatsgewalt im Irak als auch die Aufstände 2011 und der darauf folgende Bürgerkrieg in Syrien boten die besten Bedingungen für die Ausbreitung des organisierten Terrorismus. Härle (2014) und Gunter (2014) argumentieren, dass der Staatenzerfall beider Länder schon 1916 mit der geheimen Grenzziehung des Sykes-Picot-Abkommens begonnen hat (4). Diese künstliche Grenzlinie ignoriert die eigentlichen „ethnischen Stammeszugehörigkeiten und Stammesstrukturen“ im arabischen Raum (5). Dies hatte in beiden Fällen innerstaatliche Konflikte und Legitimationskrisen der Staatsgewalt zur Folge. Innerstaatliche Konflikte und der Zustand eines Machtvakuums erlauben militanten Gruppierungen und privaten Akteuren, die Staatsgewalt in bestimmten Gebieten an sich zu nehmen und das Land weiter zu zerrütten. Dieser Status ohne eine funktionierende legitimierte Regierung, die das Monopol über die Staatsgewalt hält, spielt dem Wunsch der Islamisten nach einer neuen Grenzziehung und der Errichtung eines neuen Staates unter einem Kalif in die Hände. Die instabile Situation in beiden Ländern verschlimmerte sich nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 im Irak und den Aufruhren 2011 in Syrien. Seit 2013 stuft der Failed State Index des Fund for Peace Institutes den Irak und Syrien als „zerfallene“ bzw. „stark gefährdete zerfallende“ Staaten ein (6). Die innerstaatliche Zerrüttung und der einhergehende Status eines zerfallenen bzw. zerfallenden Staates bieten den idealen Nährboden für Terrorismus (7). Die Aufteilung der Region in verschiedene Herrschaftsgebiete ermöglicht es den terroristischen Gewaltstrukturen des IS zu wachsen und zu dominieren. Rückzugs- und Ausbildungsorte können ideal in „staatsfreien Gebieten“ etabliert werden (8). Der Legitimationsverlust des Staates erlaubt es den substaatlichen Akteuren nicht nur das Gewaltmonopol zu beanspruchen, sondern auch „politische und gesellschaftliche Funktionen“ auszuführen (9). So reformiert der IS diese Funktionen in seinem Herrschaftsgebiet nach striktem islamischem Recht. Soziale Dienste, wie die Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Ausbildung, Gesundheitsversorgung und die Erschaffung eines Rechtssystems wurden und werden im Kalifat neu aufgebaut. Dadurch ersetzt der IS das zerfallene System durch ein neues und konsolidiert seine Übernahme des Staates. Nach Jahren im Bürgerkrieg empfinden manche Bürger diese Stabilität durchaus als positiv (10).

Folglich profitiert der IS durch die zerfallene Struktur der Staaten in doppelter Hinsicht: Erstens erlaubt es ihm, das Macht- und staatliche Funktionsvakuum zu füllen. Zweitens führt die lange instabile Situation in den beiden Ländern trotz des brutalen Vorgehens zu einer relativ positiven Einstellung gegenüber dem IS.

(Re-) Aktionen anderer Staaten
Die unbedachten Konsequenzen der Außenpolitik gewisser Staaten gegenüber Syrien und dem Irak, wie auch innenpolitische Interessen, dienen dem IS bei der Verfolgung seiner Ziele. Im Interesse das Assad-Regime und die autonomen Kurden im Nordirak zu schwächen, erlaubte die Türkei ausländischen Kämpfern die Durchreise in die Bürgerkriegsländer (11). Dies hatte essentielle Folgen, da der IS nummerisch und in Bezug auf Kampferfahrung enorm von den ausländischen Kämpfern profitiert hat. Des Weiteren erlaubten es die schwachen Sicherheitsvorkehrungen in den Koalitionsgefängnissen der USA im Irak, wichtigen Schlüsselfiguren wie Abu Bakr al-Baghdadi zu entfliehen. Die Unterbringung Normalgläubiger mit radikalen Jihadisten führte zu einer hohen Radikalisierungsquote in den Gefängnissen. Dadurch wurden diese Anstalten teilweise zu Ausbildungs- und Rekrutierungszentren des IS (12). In Camp Bucca, einem der bekanntesten Gefängnisse, waren unter anderem der selbst ernannte Kalif Abu Bakr al’Baghdadi und weitere Mitglieder des IS-Führungsstabs inhaftiert (13). Der Abzug der US-Truppen im Jahr 2011 hinterließ ein weiterhin schwaches irakisches Sicherheitssystem, das für den IS keine ernsthafte Bedrohung darstellte. Vielmehr erlaubte es dem IS, weitere Kämpfer aus den schlecht gesicherten Gefängnissen zu befreien und die eigene Kämpferzahl zu erhöhen (14). Insgesamt profitiert der IS stark davon, dass es der internationalen Gemeinschaft bis November 2015 nicht gelungen ist, ihre Kräfte zu bündeln, um dem IS mit einer organisierten Offensive zu begegnen. Ob die Anschläge von Paris im November 2015 ein Weckruf für eine gemeinsame Operation waren, wird sich zeigen.

Letztlich spielt die Berichterstattung der westlichen Medien, insbesondere über die Anschläge von Paris, den Jihadisten in die Hände, da hier ein Teil der Propagandaarbeit des IS übernommen wird. Die Terrormiliz muss nicht mehr selbst dafür sorgen, Videos und Botschaften ihrer Gräueltaten im Internet zu verbreiten und dabei Gefahr laufen, eventuelle Spuren zu hinterlassen. Terrorismus arbeitet mit Angst und Schrecken. Die Verbreitung von Panik und einer dauerhaften Angst, die das normale Leben unmöglich macht, ist von Terrororganisationen gewünscht und dient dazu, ihre Ziele zu erreichen. Denn Terrorismus ist eine Art der politischen Kommunikation, für die Emotionen und Extreme grundlegende Elemente sind. Diese Art der Kommunikation funktioniert allerdings nicht ohne die breite Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Folglich unterstützt die enorme mediale Aufmerksamkeit, insbesondere mit der Verbreitung von teilweise nicht-verifizierten Angaben, die Kommunikation der Terrormilizen. Zusätzlich kreiert die extensive Berichterstattung nicht nur ein Bild überhöhter Gefahr, sondern fördert auch die Bildung einer öffentlichen Meinung, die weniger auf fundierten Fakten, als auf Emotionen beruht. In Krisensituationen ist allerdings ein rationales Verhalten notwendig – nicht nur von Politikern, sondern von jedermann. Emotionale Hetze, angestachelt durch teils undifferenzierte Medienberichte, potenziert den Terror in unserer Gesellschaft noch auf anderen Wegen. Trotz wiederholter Warnungen von Politikern werden die Themen wie Terrorismus, Flüchtlingsströme und Religionsfreiheit miteinander vermischt. Dies hat eine Teilung der Gesellschaft zur Folge, in der Flüchtlinge und Muslime stigmatisiert und von der Bevölkerung ausgeschlossen werden. Wenn im Westen kein Umdenken und eine Besinnung auf seine Werte von Freiheit, Demokratie und Gleichheit stattfindet, wäre ein Zulauf der Ausgegrenzten zum IS und die damit einhergehende Stärkung ein Erfolg für die terroristische Organisation. Es bedarf keines Nachrichtenstopps über die Ereignisse, aber es erfordert eine differenzierte und sensibilisierte Berichterstattung in den Medien, bedachte öffentliche Statements und eine starke Gesellschaft, die sich nicht vom Terror auseinander bringen lässt.

Wer sind die ausländischen Kämpfer, die dem IS beitreten?
Die momentane Zahl bewaffneter Kämpfer im IS wird auf 30.000 geschätzt (15). Die Mehrzahl dieser Kämpfer, die im Kalifat einen bevorzugten Status haben, kommt aus dem Irak, Syrien und den benachbarten arabischen Ländern. Zwischen 2011 und 2014 sind schätzungsweise 12.000 ausländische Kämpfer aus 81 Ländern der Welt nach Syrien und in den Irak gereist, um den Jihad zu unterstützen (16). Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Zahl der ausländischen Kämpfer 2015 nochmals deutlich gestiegen ist. So informiert ein UN Report vom März 2015, dass bereits Kämpfer aus über 100 verschiedenen Ländern am Jihad beteiligt seien (17). Sie kommen zumeist aus europäischen, ehemaligen sowjetischen und nordafrikanischen Ländern. Es kann allerdings nicht unterschieden werden, ob sich die Kämpfer dem IS oder den al-Qaida-nahen Organisationen der Nusra-Front und Ahar al-Sham anschließen, die sich 2013 von dem IS abwandten (18).

Schätzungen zufolge erlebte der IS einen Zulauf von 2800-7800 ausländischen Kämpfern aus Algerien, Libyen, Marokko und Tunesien, wobei die Zahl der Kämpfer aus Marokko und Tunesien alleine bei 1000-3000 Kämpfern liegt (19). Wurde die Zahl der westlichen Kämpfer im September 2014 noch ungefähr auf 2000-3000 geschätzt, so verkündete Europol Generaldirektor Rob Wainwright einen Anstieg auf 3000-5000 Kämpfer im Januar 2015 (20). Belgien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland werden dabei als Hauptherkunftsländer genannt. Besonderes Augenmerk liegt auf Belgien, von wo mit 27 Kämpfern pro 1 Million Einwohner, im Verhältnis zur Bevölkerung die meisten europäischen Unterstützer des Jihads kommen (21). Die Nennung genauer Zahlen erweist sich als schwierig, da die Wege einzelner Ausreisender schwer nachzuvollziehen sind. In einigen Fällen gelang es den deutschen Behörden jedoch Informationen über die Personen zu sammeln und statistische Profile zu erstellen. Demnach geht die Bundesregierung davon aus, dass seit 2012 700 Bundesbürger Deutschland verlassen haben, um den Jihad zu unterstützen, wobei eine deutliche Steigerung seit 2013/2014 zu verzeichnen ist (22). Im November 2015 wird die Zahl in anderen Quellen schon auf 750 Bundesbürger erhöht (23). Das Pädagogisch-Theologische Institut Kassel (PTI) spezifiziert, dass 89 % der ausgereisten Personen Männer sind und zu 90 % aus städtischen Gebieten stammen (24). Das gibt Hinweise auf die Gründe der Radikalisierung und dem Wunsch für den Jihad zu kämpfen, welche unter anderem Perspektivlosigkeit und Identitätskrisen sowie Integrationsprobleme sind. Für ein Drittel der ausgereisten Personen, die zu 61 % gebürtige Deutsche sind, hat das PTI den Zeitraum vom Beginn der Radikalisierung bis zur Ausreise nach Syrien berechnet (25). Dabei fand man heraus, dass sich 42 % der Personen innerhalb von 12 Monaten radikalisierten (26). Diese Statistik unterstreicht die Wichtigkeit von Präventionsprogrammen gegen die Radikalisierung junger Menschen, denn die meisten der Ausgereisten sind zwischen 23 und 26 Jahren alt (27). Während ungefähr 120 der Ausgereisten verstorben sein sollen, sei ungefähr ein Drittel von ihnen wieder nach Deutschland zurück gekehrt (28). Es gibt Beweise, dass sich 70 dieser Personen am Kampf des IS in Syrien und im Irak beteiligt oder zumindest eine Ausbildung für den Kampf absolviert haben. Für die Mehrzahl der Rückkehrer liegen jedoch keine belastbaren Informationen vor (29).

Der IS profitiert allerdings nicht nur nummerisch vom Zulauf ausländischer Kämpfer, sondern auch hinsichtlich der Ausbildungschancen. Viele der ausländischen Kämpfer sind hoch motiviert in den Jihad zu ziehen. Gerade Kämpfer aus dem Kosovo oder Serbien bringen wichtige Kriegserfahrung mit (30). Das erlaubt dem IS, seine Kämpfer nach militär-ähnlichen Standards auszubilden und effektive Taktiken anzuwenden, die die Erfolgsquote der Angriffe steigern und die Bekämpfung der Terrormiliz erheblich erschweren (31).

Taktik
Ein weiterer und wichtiger Grund für den Erfolg des IS ist die spezifische Taktik in der Kriegsführung. So liegt die Stärke des IS in der besonderen „Control & Command“-Struktur von al-Baghdadi (32). Während die Kontrolle über Anschläge zentralisiert ist, wird die Ausführung dezentralisiert vorgenommen. Das heißt, dass die Daten des Angriffes oder Anschlags zentral bestimmt werden, jede regionale Zelle aber das Ausmaß und die Umsetzung abhängig von den jeweiligen Umständen bestimmt. Um neues Territorium einzunehmen, rückt der IS in einer geographisch breiten Front vor, und versucht, die Schwachstelle der Gegner zu finden und umgehend zu nutzen. Der Erfolg des IS liegt auch darin, relativ schwache Ziele zu attackieren, um möglichst wenige Kämpfer zu verlieren. Das heißt auch, dass die Organisation im Fall einer starken Opposition ihre Kämpfer schnell auf schwächere Angriffspunkte umlenkt und stattdessen dort angreift (33). Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist der Angriff auf Erbil, die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistans im Irak, Mitte 2014. Durch US-Luftangriffe und kurdische Kämpfer wurde der IS deutlich zurückgedrängt, woraufhin die Kämpfer den Angriff prompt abbrachen und den Angriff auf die schwächer geschützte Stadt Kobane lenkten (34).

Die gut ausgebaute Infrastruktur des Iraks erlaubt es dem IS, Überraschungsangriffe durchzuführen, was seinen Erfolg erhöht (35). Durch seine hohe Mobilität ist der IS oftmals sogar in der Unterzahl überlegen (36). Neben der Mobilität ist das hohe Potenzial, die Bevölkerung in Schock und Panik zu versetzen, ein weiterer Kernpunkt der erfolgreichen Strategie des IS (37). Anschläge durch Autobomben und Selbstmordattentäter mit hohen Todes- und Verletztenzahlen sind beliebte Strategien. Die Verbreitung von Drohungen und Videos über soziale Netzwerke ist ein weiteres IS-typisches Vorgehen. Der Vorteil dieser Aktionen, der essentiell zum Erfolg des IS beiträgt: Noch vor einem tatsächlichen Kontakt mit der Terrororganisation wird Panik verbreitet und Menschen werden dadurch zur Flucht bewegt. Der Schock und die Panik spielen eine Schlüsselrolle, denn sie führen zu einer Demoralisierung des Gegners, was eine schwächere Gegenwehr zur Folge hat (38). Anschläge durch Kämpfer in Uniformen der jeweiligen nationalen Sicherheitskräfte, Geiselnahmen und öffentliche Hinrichtungen unterstützen ebenfalls enorm den psychologischen Faktor der Demoralisierung und führen zu Panik und Flucht der Bevölkerung (39). Gerade das „strategic killing“, die öffentliche und oft in sozialen Netzwerken verbreitete Hinrichtung von Geiseln, ist typisch für den IS, da so schnell und einfach Angst verbreitet wird.

Durch Panik und Flucht profitiert der IS doppelt: Zum einen sind entvölkerte Gebiete einfacher zu kontrollieren, zum anderen führt die enorm hohe Gewaltbereitschaft gegen Gruppierungen ähnlicher Ideologien dazu, dass sich Kämpfer dieser Gruppierungen in den besetzen Gebieten dem IS anschließen, um Folter und Tod zu entgehen (40). Dadurch gewinnt der IS Territorium, Einfluss und weitere Kämpfer, wodurch die Gruppe wächst und eine immer größer werdende Gefahr darstellt.

Waffen
Des Weiteren steht dem IS ein vielfältiges Waffenarsenal zur Verfügung. So ist die Organisation unter anderem im Besitz von russischen Maschinen- und Sturmgewehren, Panzern und Flugabwehrkanonen, amerikanischen geländegängigen Fahrzeugen, bekannt als Humvees (High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicles), Antipanzerraketen, Haubitzen und „Stinge“-Flugabwehrraketen. Ebenso besitzt der IS chinesische und kroatische Produkte, wie zum Beispiel Raketen- und Granatenwerfer (41). Auch deutsche Waffen befinden sich unter dem Arsenal: Unter anderem posieren IS-Kämpfer mit dem G3-Gewehr von Heckler & Koch oder vor deutsch-französischen Raketen mit der Beschriftung „Lenkflugkörper DM 72 – 136mm Panzerabwehr“ (42). Wie diese Waffen in den Besitz des IS gelangt sind, lässt sich nicht genau nachvollziehen. Es gibt jedoch Indizien dafür, dass die Kämpfer die Waffen über den Schwarzmarkt mit Hilfe von Saudi-Arabien beziehen. Saudi-Arabien ist eines der Länder in der Region, das die Erlaubnis erhalten hat, das G3-Gewehr zu kaufen und nachzurüsten (43). Der IS erhält außerdem Unterstützung von der Terrormiliz Ansar Beit al-Makdis (ABM), die als ägyptischer Ableger des IS seit Oktober 2014 auf der Sinai-Halbinsel operiert. Teil dieser Kooperation ist der Tausch von Waffen gegen Kämpfer (44). Abgesehen von dem materiellen Vorteil dieses Handels, profitiert der IS von dieser Kooperation, da sich sein Angriffsgebiet über die Grenzen des Iraks und Syriens nach Ägypten erweitert. Dies hat, wie der Flugzeugabsturz der russischen Maschine 7K9268 zeigt, spürbare Konsequenzen für die westlichen Mächte, die im Kampf gegen den IS aus der Luft operieren. Böhm, Bota, Musharbash und von Randow machen auf die Möglichkeit aufmerksam, dass nach momentanem Stand der Ermittlungen, die Bombe im Flugzeug eine Art „Jubiläumsgeschenk“ an Abu Bakr al-Baghdadi war (45): Am Absturztag, dem 31. Oktober 2015, jährten sich der Treueeid und der Anschluss von ABM an den IS und die darauf folgende Umbenennung der ägyptischen Terrormiliz in Wilajat Sinai (Sinai-Provinz) (46). Zusätzlich profitiert der IS nachhaltig von den chaotischen Bürgerkriegszuständen in Libyen. Um das Staatsoberhaupt Muammar al-Gaddafi zu stürzen, unterstütze unter anderem der Westen die Rebellen mit Waffen, welche nun oft zusammen mit ihren Kämpfern den Anschluss zum IS gefunden haben (47). Die größte Waffenquelle jedoch stellen die Plünderungen der Waffenarsenale der irakischen und syrischen Armee sowie die der „gemäßigten“ syrischen Rebellen, der kurdischen Kämpfer und der in der Türkei ausgerüsteten Assad-Gegner in den vom IS eroberten Gebieten dar (48).

Zerstörung der Staatsstruktur
Durch den Vorteil, den zerstörte Staatsstrukturen dem IS bieten, versucht er chaotische Zustände dort zu kreieren, wo sie bislang noch nicht herrschen. Das erreicht der IS durch gezielte Terroranschläge. Insgesamt können diese in drei verschiedene Kategorien mit unterschiedlicher Zielsetzung eingeteilt werden: Lokal, sprich im Irak und in Syrien, dienen die Anschläge als militärisches Mittel um Furcht und Panik zu erreichen und die Errichtung des Kalifats zu stärken. Regional, im weiteren Nahen und Mittleren Osten, möchte der IS die Gesellschafts- und Regierungsstrukturen zerstören, um dort seine Ideologie und Strukturen besser verbreiten zu können. Letztlich agiert der IS auf der Ebene des internationalen Terrorismus, wie die Anschläge in Paris zeigen. Hier ist das Verhalten der Gesellschaft als grundlegend für den Erfolg bzw. Misserfolg der Anschläge zu betrachten. Verunsicherung, permanente Angst und Überreaktionen in der Sicherheitspolitik sind Zustände, die der IS in den westlichen Demokratien erreichen möchte. Es ist höchst wahrscheinlich und bereits erkennbar, dass die Gesellschaft gespalten wird und die Widerstandskraft des Westens in Folge dessen geschwächt wird. Muslime und Nichtmuslime sollen durch Zwist, Misstrauen und Diskriminierung getrennt werden, was Ersteren letztlich keine Grauzone, sondern eine Entscheidung für oder gegen den Westen – und somit für den IS – abverlangen soll (49). Anzeichen dafür sind in Deutschland, wie in Frankreich und anderen europäischen Ländern, in politischen Wahlergebnissen und gesellschaftlichen Strömungen zu sehen. Politik und Zivilgesellschaft sollten vieles daran setzen, diese Entwicklungen zu minimieren, um den Erfolg des islamistischen Terrors zu verhindern.

Die Nutzung des Internets
Die Mitglieder des IS nutzen verschiedene Plattformen im Internet, um ihre Ziele zu erreichen. Videos extremer Gewalttaten, Ankündigungen und Drohungen werden auf Videoportalen wie YouTube publiziert oder in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter verbreitet. Bilder von posierenden Kämpfern mit Waffen und Opfern sowie bei der Einnahme von Territorien werden verbreitet, um die Stärke des IS zu untermalen. Gleichzeitig ist das Internet der Tunnel für die Rekrutierungsmaßnahmen des IS. Durch Musikvideos, beeinflussende Texte, Interviews mit Anführern und Mitgliedern sowie Chat-Gesprächen mit Kämpfern und Unterstützern des IS werden hauptsächliche junge Menschen angelockt und rekrutiert. Telegram und Twitter wurden unter anderem auch dafür genutzt, ein Bekennerschreiben zu den Pariser Anschlägen unter den Anhängern des IS zu verbreiten (50). Die Nutzung des Internets birgt allerdings auch Gefahren für den IS, da Geheimdienste oft in der Lage sind, Inhalte auf YouTube, Facebook und Twitter zurückzuverfolgen. Dadurch können Terroristen identifiziert werden, wie es im Fall des 28-jährigen Yamin A.-Z. aus Königswinter gelang (51). Außerdem können Hintergrundstrukturen erstellt werden, wodurch es den Geheimdiensten und Schutzbehörden möglich ist, die Wahrscheinlichkeit und den Zeitpunkt der Rückkehr westlicher Kämpfer einzuschätzen (52). Durch das Verbreiten von Fotografien oder das Rückverfolgen von Mobiltelefonen und Konten von sozialen Medien, geben Kämpfer oft unwissend ihren Aufenthaltsort preis. Dies hat in der Vergangenheit Drohnenangriffe und Festnahmen ermöglicht (53). Doch auch wenn nicht alle IS-Kämpfer gut über die Abhör- und Ausspähfähigkeiten der Geheimdienste informiert sind, ist insgesamt ein beunruhigender Trend zu beobachten (54): Viel der internen IS-Kommunikation findet in hochentwickelter Form der digitalen Kommunikation statt und IS-Interessierte werden nach anfänglichem Kontakt auf verschlüsselte Dienste verwiesen. Verschlüsselte Internetdienste und eine neue Generation von Messenger-Apps für Smartphones, wie der in Berlin ansässige Messengerdienst Telegram, stellen ernsthafte Hindernisse für die Geheimdienste dar, da diese nicht über das technische Know-how verfügen, die genutzte Verschlüsselung schnell zu entziffern (55). Der IS bedient sich an jungen Universitätsabsolventen und anderen Kennern, um das „Dark Web“ für die Kommunikation und Planung von Anschlägen zu nutzen (56). Aber auch allgemeine und dennoch schwer zu entschlüsselnde Kommunikationswege werden genutzt. So sind viele Computer- und Handyspiele mit der Funktion eines direkten Chats ausgestattet. Der belgische Innenminister Jan Jambon nannte insbesondere die Chat-Funktion der Sony PlayStation 4 (PS4) als besorgniserregend, da diese auch für internationale Geheimdienste schwer zu entziffern sei. Allerdings gäbe es momentan wenig Beweise für die Nutzung der PS4 Chat-Funktion durch Terroristen, informiert Berger, ein auswärtiger Experte des Brooking Institutes (57). Manche Politiker und Sicherheitsexperten geben den Enthüllungen Edward Snowdens die Schuld an dieser Entwicklung, da durch seine Enthüllungen bekannt wurde, welche Kompetenzen der amerikanische Geheimdienst besitzt und welche Kommunikationsmittel schwer zu überwachen sind. So haben seine Enthüllungen eine neue Generation an verschlüsselten Kommunikationsdiensten auf den Weg gebracht (58). Unabhängig von jeglicher Schuldzuweisung zeigen diese Entwicklungen jedoch, dass die Geheimdienste mit einer neuen Dimension im Kampf gegen den Terrorismus konfrontiert sind.

Quellen
(1) E. Lederer, UN report: More than 25,000 foreigners fight with terrorist, Associate Press, April ,2, 2015 http://bigstory.ap.org/article/cec52a0dbfab4c00b89bc543badf6c20/un-report-more-25000-foreigners-fight-terrorists
(2) Online Nachrichtendienst Focus Online, USA starten erste Luftangriffe auf IS in Syrien ,September, 24, 2014 http://www.focus.de/politik/videos/angriffe-auf-al-rakka-usa-starten-erste-luftangriffe-auf-is-in-syrien_id_4152697.html; ARD Online Tagesschau, Frankreich startet Luftangriffe gegen IS, September, 19, 2014 https://www.tagesschau.de/ausland/frankreich-fliegt-angriffe-gegen-is-100.html ; Deutscher Nachrichtendienst Süddeutsche, Großbritannien beschließt Luftangriffe auf IS im Irak, September,26, 2014 http://www.sueddeutsche.de/politik/unterstuetzung-fuer-us-militaer-grossbritannien-beschliesst-luftangriffe-auf-is-miliz-im-irak-1.2148448
(3) Online Nachrichtendienst Die Zeit, Russlands Luftangriffe sollen mehrere Monate dauern, Oktober, 2, 2015 http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-10/russland-syrien-militaereinsatz-dauer-islamischer-staat-assad
(4) P. Härle, Eine globale Strategie gegen den Islamischen Staat, Arbeitsapiere Sicherheitspolitik Ausgabe 6/2014, Bundesakademie für Sicherheitspolitik, 2014 https://www.baks.bund.de/sites/baks010/files/baks_arbeitspapier_6_2014.pdf; M. Gunter, Why can’t we defeat IS, Hurstpublishers, 2014, http://www.hurstpublishers.com/cant-defeat-isis/
(5) P. Härle (Anm. 4) S.5.
(6) Organisation The Fund for Peace, The Failed State Index 2013http://fsi.fundforpeace.org/rankings-2013-sortable
(7) K. Hirschman, Der Zerfall von Staaten und regionalen Krisen in Gloable Herausforderunegn, Chancen und Risiken für die Zukunft, Hrsg. S. Bisanz, U. Gerstenberg, (2013) Security Explorer, S. 247-204.
(8) Ebenda S. 161.
(9) Ebenda.
(10) S. Allison, The Islamic State, Why Africa should be worried, Institute for Security Studie, 68, 2014.
(11) M. Gunter (Anm. 4).
(12) Ebenda.
(13) Online Nachrichtendienst Zeit Online, Wie Abu Bakr al-Baghdadi zum Terrorchef wurde, Februar, 19, 2015 http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-02/is-chef-al-Baghdadi-vorleben ; L. Wurster, Wie in einem amerikanischen Gefängnis der IS-Terror geboren wurde, Security Explorer, Dezember, 1, 2014 http://www.security-explorer.de/index.php?id=20&tx_ttnews

[tt_news]=186&cHash=5b2f225a0f3155b908e9adfedaa04bc4 

(14) M. Gunter (Anm. 4).
(15) Y.Musharbash, Wo der Terror Staat macht, Die Zeit, 47, 2015, S. 5.
(16) R. Barrett, Foreign Fighters in Syria, The Soufan Group, 2014 http://soufangroup.com/wp-content/uploads/2014/06/TSG-Foreign-Fighters-in-Syria.pdf
(17) E. Lederer, (Anm. 1).
(18) Ebenda; Stanford University, Ahrar al-Sham.Mapping Militant Organizations, http://web.stanford.edu/group/mappingmilitants/cgi-bin/groups/view/523
(19) R. Barrett (Anm. 16); C. Evers, Going to fight and die: African fighters in the Syrian Civil War, Consultancy Africa Intelligence, Mai, 28. 2014 www.consultancyafrica.com/index.php?option=com_content&view=article&id=1686:going-to-fight-and-die-african-fightersin-the-syrian-civil-war&catid=60:conflictterrorism-discussion-papers&Itemid=265 ; M. Hashim, Iraq and Syria: who are the foreign fighters?, BBC, September,3, 2014 www.bbc.com/news/world-middle-east-29043331 ; A. Maher, Syria conflict: Why did my Tunisian son join the rebels?, BBC, Mai, 15, 2013 www.bbc.co.uk/news/world-africa-22529019?print=true
(20) D. Byman, J. Shapiro, Be a little afraid: The Threat from Terrorism from Western Foreign Fighters in Syria and Iraq, Foreign Policy at Brooking, 34, 2014 http://www.brookings.edu/~/media/research/files/papers/2014/11/western-foreign-fighters-in-syria-and-iraq-byman-shapiro/be-afraid–web.pdf ; Home Affairs Committe, Oral Evidence: Counter-Terrorism in Europe, HC 933. Beantragt von House of Commons, UK, Januar, 13, 2015 http://data.parliament.uk/writtenevidence/committeeevidence.svc/evidencedocument/home-affairs-committee/counterterrorism-in-europe/oral/17575.html
(21) T. Müller, Hauptlieferant für Dschihadisten, Zeit Online, Januar,16, 2015 http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-01/belgien-terrorismus-razzia
(22) Deutsche Bundesregierung, Drucksache 18/5351. Kämpfer aus Deutschland in islamistisch-motivierten Kriegen, Juni, 29, 2015, S.2 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/053/1805351.pdf
(23) G. Mayntz, Bundesweit 426 Personen mit „Terror-Potenzial“, Rheinische Post, November, 17, 2015, S. A3.
(24) PTI Kassel, Analyse der den deutschen Sicherheitsbehörden vorliegenden Informationen über die Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien ausgereist sind, Dezember, 1, 2014, S. 8 ,25 http://www.pti-kassel.de/institut/download/praeventionsnetzwerk_salafismus_analyse.pdf
(25) Ebenda S.9.
(26) Ebenda S.18.
(27) Ebenda S.9.
(28) G. Mayntz (Anm. 23)
(29) Ebenda.
(30) R. Scales, D. Ollivant, Terrorist armies fight smarter and deadlier than ever, Washington Post, August, 1, 2014 https://www.washingtonpost.com/opinions/terrorist-armies-are-fighting-smarter-and-deadlier-than-ever/2014/08/01/3998ae00-18db-11e4-9e3b-7f2f110c6265_story.html
(31) Ebenda.
(32) M. Gunter (Anm. 4).
(33) Ebenda.
(34) Ebenda.
(35) M. Knights, ISIL’s Political-Military Power in Iraq, Combating Terrorism Center, 2014 https://www.ctc.usma.edu/posts/isils-political-military-power-in-iraq ; K. Pollack, Iraq: Understanding the ISIS Offensive Against the Kurds, Brookings Institute, 2014 http://www.brookings.edu/blogs/markaz/posts/2014/08/11-pollack-isis-offensive-against-iraq-kurds
(36) M. Gunter (Anm. 4i).
(37) M. Knights (Anm. 35).
(38) Ebenda.
(39) Ebenda; R. Scales, D. Ollivant (Anm. 30).
(40) M. Knights (Anm. 35); K. Pollack, (Anm. 35); M. Gunter (Anm. 4).
(41) A. Posener, Raketen vom Schwarzmarkt, Internationale Politik, 5, September/Oktober, 2014, S.144.
(42) H. Friederichs, Syrien: Flucht vor deutschen Waffen, Die Zeit. Oktober, 1, 2015 http://www.zeit.de/2015/38/syrien-krieg-deutsche-waffen
(43) A. Posener (Anm. 41); H. Friedrichs (Anm. 42).
(44) R. Azoulay, Islamic State franchising. Tribes, transnational jihadi networks and generational shifts, CRU Report, Clingendael- Netherlands Institute of International Relations, 2015 http://www.clingendael.nl/sites/default/files/Rivka-Azoulay_Islamic_State_expansion_CRU_April2015.pdf
(45) A. Böhm, A. Bota, Y. Musharbash, G. von Randow „Ihr werdet getötet“. Die Zeit, 46, November, 12, 2015, S.12.
(46) Ebenda.
(47) Ebenda.
(48) A. Posener (Anm. 41); H. Friedrichs (Anm. 42).
(49) Y.Musharbash (Anm. 15).
(50) Ebenda.
(51) Onlinenachrichtendienst Merkur.de, Deutscher IS-Terrorist auf Tötungsvideo identifiziert, August, 13, 2015 http://www.merkur.de/politik/deutscher-is-terrorist-toetungsvideo-identifiziert-zr-5344680.html
(52) D. Byman, J. Shapiro (Anm. 20).
(53) A. Masi, Difference between al-Qaeda and ISIS: Senior AQAP leader holds ‚press
conference,‘ said beheadings are ‚big mistake‘, IB Times, 2014 http://www.ibtimes.com/isis-propaganda-campaign-did-islamic-state-group-unintentionally-provide-us-airstrike-1695083
(54) A. Spence, D. Gardham, How jihadists „go dark“ to avoid detection, POLITICO, November, 16, 2015 http://www.politico.eu/article/paris-how-jihadists-go-dark-to-avoid-detection-encryption-terrorists/
(55) Ebenda.
(56) R.Righter, Why Britain is Safer than France, POLITICO, November, 17, 2015 http://www.politico.eu/article/britain-safer-than-france-terrorism-threat-security/
(57) A. Spence, D. Gardham (Anm. 54).
(58) Ebenda.

Friederike Wegener
Friederike Wegener, freie Mitarbeiterin des Security Explorer. Friederike Wegener studierte European Studies in den Niederlanden und Süd-Korea und hat einen Masterabschluss der französischen Universität Sciences Po Paris in International Security mit Fokus auf den Nahen Osten und Intelligence. Sie sammelte bereits Arbeitserfahrung bei consulting plus, der Delegation der Europäischen Union zu den Vereinten Nationen in Wien und bei dem UN Flüchtlingshilfswerk für die Palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten. Derzeit arbeitet sie bei der Europäischen Kommission im Generaldirektorat Migration und Inneres, in der Unit Prävention von Radikalisierung als Policy Officer in Brüssel. Im August 2018 erschien ihr Buch „Quo Vadis Palästina“ bei consulting plus, in dem sie das Leben als deutsche Studentin im besetzten Gebiet beschreibt und Einblicke in die komplexe politische nationale und international Konfliktlage im Arabisch-Israelischen Konflikt gibt.
Scroll to top