Gut zwei Jahre nachdem der "Aufstand der Anständigen" gegen rechtsextremistische Aktivitäten erklärt worden war, rief die Nachricht aus München das alsbald in Vergessenheit geratene Problem Rechtsextremismus in Erinnerung. Könnte eine "Braune Armee Fraktion" entstehen, die dem linksextremistischen Terror der 70er- und 80er-Jahre oder dem islamistischen Terror vergleichbar ist? Fragen wie diese standen im Raum.

Tatsächlich gibt die Lage, in der sich der deutsche Rechtsextremismus zurzeit befindet, keinen Anlass zu kurzfristigem Alarmismus – und schon gar nicht zur Beruhigung. Dauerhafte rechtsterroristische Strukturen, die einer von militanten Rechtsextremisten vor Jahren großspurig angekündigten "Braune Armee Fraktion" entsprächen, sind zurzeit nicht erkennbar. Gleichzeitig nimmt die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten zu. Für das Jahr 2002 beziffert das Bundesamt für Verfassungsschutz dieses Potenzial auf 10.700 Personen (2001: 10.400), zum Großteil handelt es sich um rechtsextremistische Skinheads. Waffenfunde sind in diesen Kreisen nicht selten, zudem kursieren dort seit geraumer Zeit Konzepte für einen Kampf im Untergrund. In aller Regel aber entspringt heutige rechtsextremistische Gewalt nicht terroristischer Planung, sondern einer Mischung aus Vorbereitung und Spontaneität.

Die neue Rechte organisiert sich in intellektuellen Zirkeln
Misst man die Bedeutung des Problems Rechtsextremismus allein am Umfang rechtsterroristischen Strukturen oder an der Zahl der Straf- bzw. Gewalttaten, entsteht ein verzerrter Eindruck. Schleichende und damit wenig augenfällige Prozesse geraten aus dem Blick. Schwerer erkennbare Pfade hat insbesondere die Neue Rechte eingeschlagen: Diese intellektuelle Strömung organisiert sich in informellen Zirkeln, häufig im Umfeld von Zeitungen und Zeitschriften wie der Berliner Wochenzeitung "Junge Freiheit" (JF): Sie tritt keineswegs durch Gewalt in Erscheinung, kokettiert nicht mit nationalsozialistischer Symbolik und hält keine mediengerecht inszenierten Aufmärsche ab. Vielmehr dient sie dem Rechtsextremismus als Stichwort- und Ideologieschmiede. Sie macht wenig Hehl daraus, dass ihr Ziel weitreichend und langfristig ist: die Meinungsführerschaft in Deutschland, die "kulturelle Hegemonie". Ihr Aktionsfeld ist weder die Straße, noch sind es die Parlamente, sondern die Diskurse, in die die Neue Rechte eingreifen möchte, um einen politischen Klimawandel vorzubereiten. Wer oder was ist die Neue Rechte? Auf diese Frage geben Wissenschaftler und Verfassungsschützer unterschiedliche Antworten. Wolfgang Gessenharter, Professor an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, sieht sie als eine intellektuelle Strömung zwischen Rechtsextremismus und demokratischer Gesellschaft: nicht eindeutig rechtsextremistisch, nicht eindeutig demokratisch.

Nicht eindeutig rechtsextremistisch, nicht eindeutig demokratisch
Vielmehr wirke sie wie ein Scharnier zwischen beiden Spektren und verkoppele sie. Scharniere trennten schließlich zwei Gegenstände voneinander, verbänden sie aber auch beweglich miteinander. Für den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen, der einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten legt, ist sie eine Teilmenge des rechtsextremistischen Spektrums. Er zählt nur intellektuelle Gruppen und Medien hinzu, die auch Beobachtungsobjekte der Behörde sind, also tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen aufweisen, wie es im Verfassungsschutzgesetz für NRW heißt. Das gilt beispielsweise für die Zeitung "Junge Freiheit", das Magazin "Signal" (Köln), den Theoriezirkel "Thule-Seminar" (Kassel) oder das "Deutsche Kolleg" (Berlin/Würzburg). Letzteres verbreitet im Internet skurrile Schulungsmaterialien für die rechtsextremistische Szene. Zu seinen Köpfen gehört der ehemalige RAF Terrorist und NPD-Anwalt im Karlsruher Verbotsverfahren Horst Mahler. Die offene und aggressive rassistische Propaganda macht diesen Zirkel eher zu einer Ausnahme der neurechten Szenerie: Typischer ist die intellektuelle Ummantelung ihrer Positionen. Einer der Protagonisten, Karlheinz Weißmann, hat diese sprachliche Tarnung als "politische Mimikry" bezeichnet.

Nicht der Nationalsozialismus ist das Leitbild der Neuen Rechten. Vielmehr sind es die Vertreter der so genannten Konservativen Revolution, Intellektuelle der Weimarer Zeit, die die junge deutsche Demokratie vehement bekämpft haben. Vor allem das Gleichheitsprinzip der Weimarer Verfassung, das jeder Bürgerin und jedem Bürger dieselbe Wahlstimme garantierte, war den Anhängern der Konservativen Revolution zuwider.

Für den Münchner Politikwissenschaftler Kurt Sontheimer waren antidemokratische Publizisten und Wissenschaftler wie Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler oder Carl Schmitt die Wegbereiter des Nationalsozialismus: Ohne ihre "geistige Aufwühlarbeit" wäre Hitler "nicht allzu weit gekommen". Für die Neue Rechte dagegen sind sie eine ideologische Quelle und Persönlichkeiten, auf die man sich gern bezieht. Besonders deutlich hat dies die Zeitung JF in den frühen 90er-Jahren getan, als sie in einer Werbekampagne für sich reklamierte: "Jedes Abo eine Konservative Revolution". Ein heutiger Redakteur antwortete auf die Frage, was er in seinem Leben bewirken möchte: "eine kleine ‚konservative Revolution’". Auch strategisch hat die Neue Rechte eigene Akzente gesetzt. Vom italienischen Marxisten Antonio Gramsci (1891-1937) hat sie das Konzept der "kulturellen Hegemonie" aufgegriffen. Gramsci ging davon aus, dass eine politische Strömung nur dann die Macht im Staate übernehmen könne, wenn sie zuvor die Meinungsführerschaft errungen, Themen und Begriffe besetzt habe. Anschließend würden ihr Parlamentsmehrheiten und Regierungsverantwortung in den Schoß fallen. Daher konzentriert sich die Neue Rechte auf publizistische Arbeit; Wahlkämpfe und Parlamentsarbeit interessieren sie nur am Rande. Der Versuch, Meinung zu prägen, zielt in erster Linie auf Elitendiskurse, erstreckt sich mitunter aber auch auf die Jugendkultur. Ein Mittel ist das recht breite Spektrum der Stimmen, die beispielsweise in der neurechten Zeitung "Junge Freiheit" zu Wort kommen: Dazu zählen etwa Interviews mit ausgewiesenen Demokraten, gleichzeitig "bietet die JF aber unverändert auch rechtsextremistischen Autoren ein Forum", so das Bundesamt für Verfassungsschutz. Mitunter bedienten sich Redakteure und Stammautoren "gängiger rechtsextremistischer Argumentationsmuster". Offenbar strategisch genutzte Sammelbegriffe integrieren die Bandbreite vom Rechtsextremismus bis zu demokratischen Organisationen: "national" und "konservativ". Mit solchen Bezeichnungen versieht die JF nicht nur die Unionsparteien, sondern auch die "Republikaner", manchmal sogar die NPD. Gleichzeitig betont die Zeitung ihre demokratische Ausrichtung und verweist auf reputierliche Interviewpartner wie den Brandenburger Innenminister Jörg Schönbohm. Sie verschweigt jedoch, dass sich dieser inzwischen recht deutlich von dem Berliner Blatt distanziert hat, nachdem er mit Zitaten aus der JF konfrontiert worden war. Unter diesen Bedingungen, sagte Schönbohm, werde er der Zeitung kein Interview mehr geben. Medien sind das zentrale Instrument der Neuen Rechten. Der Medienmix umfasst Printmedien wie Bücher und Zeitschriften, zunehmend aber auch Internet-Seiten. Unter dem Pseudonym "Esclarmonde" verbreitet eine neurechte Aktivistin ihre umfangreiche Homepage, die den Besucher mit einem Foto des Obergruppenführersaals der Wewelsburg bei Paderborn begrüßt. Während des Nationalsozialismus sollte die Burg zur zentralen Kult- und Schulungsstätte der SS werden. Im Obergruppenführersaal befindet sich ein Bodenmosaik des 12-speichigen Sonnenrads, das als Abbildung der legendären "Schwarzen Sonne" verstanden wird. Dieses Symbol ist nicht nur für Neonazis, sondern auch für Teile der Neuen Rechten ein magisches Zeichen. So ist es das Emblem des rechtsesoterischen "Thule-Seminars". "Esclarmonde" bekennt sich zu einer metapolitischen Strategie im Sinne Gramscis – ihr Credo: "Unsere Waffe ist das Wort und nichts als das Wort / Unsere Schlacht ist der Diskurs und nichts als der Diskurs."

Die weitaus meisten der 42 organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Buchverlage und -vertriebe in Deutschland verbreiten auch Publikationen der Neuen Rechten. Die wichtigsten Foren des neurechten Spektrums aber sind Zeitungen und Zeitschriften. Sie zählen mitunter zu den professionellsten Organen des deutschen Rechtsextremismus und suchen ihre Leserschaft auch und gerade jenseits des Rechtsextremismus. So möchte die "Junge Freiheit" offenbar eine publizistische Nische besetzen, die ein Leserbriefschreiber der Zeitung skizziert hat: Die Zeitung sei ein Ansatz, "um die gewaltige Marktlücke zwischen Bayernkurier/ Rheinischer Merkur einerseits und Frey-Presse andererseits zu füllen." Gemeint war die Zeitungspalette desrechtsextremistischen Verlegers und Kopfs der Partei "Deutsche Volksunion", Gerhard Frey ("National-Zeitung"). Nach wie vor fischt die "Junge Freiheit" am Zusammenfluss von Rechtsextremismus und demokratischem Konservatismus um akademisch gebildete Leser, vorzugsweise in der ersten Lebenshälfte. Die Auflagen solcher Publikationen sind überschaubar: Der Verfassungsschutz NRW schätzt, dass monatlich rund 5.000 Exemplare von "Signal", und wöchentlich 10.000 der JF verkauft werden. Teils prominente Autoren und Interviewpartner verleihen Letzterer allerdings eine Bedeutung, die über diese Zahl hinausgeht.

"Die Neue Rechte – eine Gefahr für die Demokratie?"
Um welche Inhalte geht es der Neuen Rechten? Im Zentrum stehen die mal mehr mal minder offensiv vorgetragene Behauptung, Menschen seien von Natur aus ungleich, und die Forderung, daraus politische Konsequenzen zu ziehen. Schon der Konservative Revolutionär Carl Schmitt hatte dies auf die plakative Formel gebracht: "Wer Menschheit sagt, will betrügen", und die allgemeinen Menschenrechte als "unveräußerliche Eselsrechte" verhöhnt. Kritik an der Idee der allgemeinen Menschenrechte taucht in der Neuen Rechten bis heute immer wieder auf. Identität könnten die Menschen nur innerhalb ihrer eigenen ethnischen Gruppe finden, die möglichst homogen bleiben solle. Damit geht die Neue Rechte nicht von der nationalsozialistischen Vorstellung höher- und minderwertiger Rassen aus, wohl aber vom Ziel, dass ethnische Vermischung – folglich auch die Integration von ethnisch nicht Deutschen – prinzipiell falsch und zu beenden sei.

Sie greift auf das Konzept des neurechten Vordenkers Henning Eichberg (alias "Hartwig Singer") zurück, der diesen Ansatz als "Ethnopluralismus" bezeichnet hatte. Typisch für die verbalen Verwirrspiele dieser Strömung sprach Alain de Benoist, der Kopf der französischen Nouvelle Droite – Vorbild der Neuen Rechten in Deutschland -, von "differenzialistischem Antirassismus" oder "gemäßigtem Multikulturalismus". Als "universalistischen Rassismus" bezeichnete er Positionen, die die Gleichheit von Menschen betonen und den "Rassen" somit ihre Identität nähmen.

Tritt die Neue Rechte auch selten durch spektakuläre Aktionen hervor, weist sie doch eine Vielzahl von Erscheinungsformen auf: Hierzu zählen neben ihren Medien lose strukturierte Gruppen und Organisationen, Schulungsarbeit sowie öffentlichkeitswirksame Appelle. Solche Petitionen werden häufig in großen demokratischen Tageszeitungen als Anzeigen platziert, vorzugsweise in der wertkonservativen FAZ. Mit einiger Beharrlichkeit bemüht sich die Neue Rechte, Zielgruppen außerhalb der eigenen Reihen zu erreichen. Solche Versuche hat der Verfassungsschutz NRW in einer kürzlich veröffentlichten Studie an zwei Beispielen dokumentiert: den Bemühungen der Neuen Rechten um Einfluss auf studentische Verbindungen, insbesondere Burschenschaften, und auf den rechten Rand der Gothic-Subkultur.

Die Neue Rechte mag eine eher kleine Strömung, ihre Breitenwirkung begrenzt sein – für den deutschen Rechtsextremismus erfüllt sie eine doppelte Funktion: Sie dient einerseits als Avantgarde und damit Ideenschmiede. Gelegentlich wandern ideologische und strategische Elemente, die in der Neuen Rechten ihren Ursprung haben, von dort bis in große Teile des Rechtsextremismus hinein. Diese Strömung soll andererseits Brücken zur gesellschaftlichen Mitte schlagen. Einer intellektuellen Strömung, die die sprachliche Tarnung beherrscht, könnte dies eher gelingen als plumpen Neonazis oder gesellschaftlichen Randgruppen wie den Skinheads. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen sieht in der Neue Rechten daher eine "häufig unterschätzte Gefahr für die demokratische Kultur". Die "Sorge vor einer schleichenden Aushöhlung demokratischer Positionen" erscheint ihm berechtigt. Um staatliche Verbote geht es allerdings auch den Verfassungsschützern nicht, sondern um gesellschaftliche Wachsamkeit.

Autor: Thomas Pfeiffer