Thema: Terror und Gewalt im Heiligen Land

Terror und Gewalt im Heiligen Land

Terroristische Anschläge in und gegen Israel erschütterten an den Ostertagen die Lage im Nahen Osten und führten wieder einmal zu einer Eskalation. Besonders brisant und permanent explosiv ist zudem seit Wochen die Lage in den von Israel seit dem Sechs-Tage-Krieg von l967 besetzten Westjordanland.

Auf der Basis von Hintergrundinformationen analysiert Rolf Tophoven für den Security Explorer die Situation.

Unruhen im Westjordanland – Israels Antwort

Die West Bank kocht! Fast täglich kommt es in den seit 1967 von Israel besetzten Regionen des Westjordanlandes zu Operationen der israelischen Armee gegen palästinensische Terroristen. Es gibt Schießereien, Gewaltexzesse von israelischen Siedlern gegen die palästinensische Zivilgesellschaft, Zerstörungen von Häusern geflüchteter Attentäter.

Razzien der israelischen Armee sind an der Tagesordnung. Ein Szenario der Gewalt seit Jahresbeginn. Fast 70 Palästinenser sind seit Jahresbeginn getötet worden. Dagegen stehen ca. 15 getötete Israelis, durch Bombenattentate, Messerangriffe oder Angriffe mit Autos. Die Zahlen von Toten und Verwundeten auf beiden Seiten steigen.

Israels Anti-Terror-Experten registrieren besonders unter palästinensischen Jugendlichen eine zunehmende Gewaltbereitschaft. Eine alarmierende Entwicklung! Zwar noch keine dritte Intifada – doch auf dem Weg dahin, befürchten Sicherheitskreise. Denn die junge Generation der Palästinenser wirft angesichts wachsender Perspektivlosigkeit traditionelle Normen über Bord – der Respekt vor dem Patriarchat wackelt. Die politische Führung in Ramallah unter dem greisen Präsidenten Abbas gilt ihnen als korrupt und als „Kollaborateur“ der Israelis. Dieser Vorwurf resultiert aus der Zusammenarbeit palästinensischer Sicherheitskräfte mit denen Israels. „Zwischen den Eliten an der Spitze der Autonomiebehörde und den Gruppen am Boden klafft eine große Lücke“, sagte Tahani Mustafa, palästinensischer Analyst bei der „International Crisis Group“. Die neuen Helden der palästinensischen Jugend sind die Toten im Widerstand gegen die israelischen Streitkräfte – der Selbstmordattentäter zum Beispiel. In Jaba, einem kleinen Dorf bei Jenin, verehren sie Izz a-Din Basem, den Gründer einer neuen Terrorgruppe, erschossen von den Israelis.

Die neuen jungen Protestler nennen sich „Löwengrube“ oder geben sich andere symbolische Namen. Die Jaba-Gruppe wurde im letzten September gegründet. Sie ist inzwischen auf geschätzte 40 bis 50 Mitglieder angewachsen. Es gibt keine Führer oder eine klare Ideologie. Kommandostrukturen traditioneller Art gibt es nicht. Verbale Unterstützung erhalten die aufbegehrenden Jugendlichen von den etablierten Terrorgruppen Hamas aus dem Gazastreifen oder dem Islamischen Dschihad.

Diese neue Jugendbewegung breitet sich überall in der Westbank aus. In den nördlichen Städten Jenin, Nablus und Talkarem bis hinunter nach Hebron im Süden. Die „Löwen-Bewegung“ entwickelt sich langsam zu einer Idee. Besonders die Stadt Jenin gilt den israelischen Fachleuten als Hotspot des Terrors. Selbst die abgezockten Profis des israelischen Geheimdienstes Shin Beth haben Probleme, verwertbare Erkenntnisse über die kleinen und lose organisierten Terrorgruppen zu erhalten. Und diese scheuen immer weniger die offene Konfrontation mit den überlegenen Israelis. Statt wie so oft Steine und Brandsätze gegen anrückende Truppen zu verwenden, wird jetzt geschossen. Ausgerüstet mit M-16 Sturmgewehren agt man den Feuerkampf. Die Waffen werden entweder aus Jordanien geschmuggelt oder von israelischen Militärbasen gestohlen.

Israels Armee geht mit aller Härte gegen den Widerstand vor. Bei einer Antiterror-Razzia Anfang März in der Stadt Nablus gegen Führungsmitglieder der dortigen „Löwengrube“ wurden 10 Mitglieder der Gruppe getötet. Das israelische Vorgehen als Reaktion auf Terrorangriffe wird taktisch und operativ von einem kombinierten Vorgehen von Geheimdienstarbeit, Spezialeinheiten der Armee und der Grenzpolizei geprägt.

In der Geschichte der Armee Israels (Zahal) hat seit ihrer Gründung immer ein wesentliches Momentum die Lage geprägt: Aufklärung – Intelligence – Gewinnung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse über den Gegner. Ob in den regulären Kriegen gegen seine arabischen Nachbarn oder gegen Guerillas und Terroristen – immer profitierte der Staat von seiner exzellenten Geheimdienst- und Aufklärungsarbeit. Dabei stützt sich der jüdische Staat auf den legendären Auslandsgeheimdienst Mossad, den Inlandsdienst Shin Beth (Schabak) sowie den militärischen Abschirmdienst Aman.

Operativ der schwierigste Job für Israels Sicherheitskräfte ist die Verfolgung, Festnahme oder Tötung palästinensischer Terroristen in den Regionen des besetzten Westjordanlandes. Dabei spielt der Inlandsgeheimdienst, Shin Beth, die erste und wichtigste Rolle. Bevor das Militär in die offene Konfrontation mit bewaffneten Terroristen eintritt, arbeiten die Undercover-Agenten des Shin Beth. Sie haben ein Netz von Informanten über das Westjordanland gelegt. Diese sammeln die Infos über Fluchtwege oder Verstecke von Terroristen oder kennen geheime Waffenlager oder Sprengstoffdepots, zum Beispiel in den Flüchtlingslagern. Das Gesamtbild der nachrichtendienstlichen Aufklärung und ihre Auswertung sind das Kernelement für die anschließende Operation. Hierbei kommen dann die Undercover-Spezialisten der israelischen Grenzpolizei und des Militärs ins Spiel. Bei den Grenzpolizisten handelt es sich u. a. um die Antiterror-Einheit Yamam. Sie ist mit ihrer deutschen Partnereinheit, der GSG 9, besonders eng verbunden.

Die Eliteeinheit der israelischen Armee für Operationen im Untergrund ist die Duvdevan-Einheit. Die Duvdevan-Soldaten sind eine der geheimsten Gruppen der Armee. Extrem hart ausgebildet, in ihrem Habitus, in der arabischen Sprache, in ihrem Verhalten leben sie unter der arabischen Bevölkerung „wie ein Fisch im Wasser“. Sie kennen oft jeden Winkel in den Flüchtlingscamps. Ihre Fahrzeuge – mit unsichtbarer Panzerung – tragen palästinensische Kennzeichen. Sie kennen die Shops, die Maßnahmen der palästinensischen Lager-Sicherheit, die einheimischen Familien und wissen oft sogar, wer gerade geheiratet hat. Die Duvdevan-Experten sind die geheime Speerspitze jeder Antiterror-Operation. Ihre Waffen tragen Sie verdeckt. Die Identität der Duvdevan-Einheit ist komplett „arabisch“. Eine Elite für absolute Untergrundarbeit.

Wenn die verdeckte Mission der Israelis beendet ist, die geflüchteten Terroristen lokalisiert sind, beginnt die offen geführte Operation der IDF (israelische Armee). Soldaten in Uniform besetzen getarnte Fahrzeuge. Agenten des Shin Beth geben technische Unterstützung und begleiten die Aktion. Das finale Stadium der Operation beginnt!

Alles muss schnell gehen, denn die Gesuchten könnten entkommen und einen Gegenangriff planen. Das Finale einer solchen Jagd auf Terroristen sieht einen massiven Einsatz israelischer Kommandos in gepanzerten Fahrzeugen vor, die Abriegelung ganzer Straßenviertel in palästinensischen Städten oder in Flüchtlingscamps das Durchkämmen des Gebiets, um Flucht und bewaffneten Widerstand zu verhindern.

Aber nicht nur die geheimen und offenen Operationen von Zahal prägen das tägliche Bild in den Städten, Dörfern und Flüchtlingslagern der West Bank. Auch Palästinenser haben inzwischen Israels Methoden erkundet und versuchen, Gegenmaßnahmen zu treffen. Kameras wurden an neuralgischen Punkten in den Städten und Lagern installiert. Zufahrten zu den Flüchtlingslagern zum Teil mit LKW blockiert. Undercover-Aktionen der Israelis wurden entdeckt, gefilmt und in die sozialen Netze gestellt. Wie groß die Angst und Furcht vor den Geheimagenten der Israelis besonders in den Flüchtlingslagern ist, zeigen Vorfälle in Nablus und Jenin: Dort wurden palästinensische Sicherheitskräfte für israelische Undercover-Agenten gehalten und angegriffen.

Geheime und offene Konfrontation – tagtäglich in der Westbank. Eine unendliche Geschichte auf dem Konfliktfeld Nahost – seit nun mehr als 55 Jahren.

Quellenangaben
Bild von pomphotothailand – stock.adobe.com

Weitere Veröffentlichungen zum Thema

Quo Vadis »Palästina«?

Quo Vadis »Palästina«?

Ein differenzierter und pointierter Blick auf ein politisch aufregendes und emotional bewegendes besetztes Land. Aus der Perspektive einer deutschen Studentin in Ramallah.

Herausgeber: Uwe Gerstenberg
Autorin: Friederike Wegener

» Mehr Informationen

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
Scroll to top