Schneechaos und Ausfall „kritischer Infrastrukturen“ – ein wichtiges Übungsthema für Krisenstäbe

Das Schneechaos im nordwestlichen Münsterland Ende 2005 führte zu teilweise nachhaltigem Ausfall der Stromversorgung und unmittelbaren Auswirkungen auf die „Kritische Infrastruktur“ (KRITIS) von drei Kreisgebieten. Auch das Schneechaos mit Sturmfront über mehrere Tage im Januar 2010 (das Tiefdruckgebiet „Daisy“) schnitt ganze Ortschaften in Norddeutschland mehrere Tage von der Versorgung ab.

Unter anderem kämpfte die Ostseeinsel Fehmarn gegen starke Schneefälle und den eisigen Nordoststurm. Damals bezeichnete der Bürgermeister von Fehmarn, Otto-Uwe Schmiedt, die Lage als katastrophal. All dies sind alarmierende Belege, dass Naturkatastrophen uns regelmäßig heimsuchen und unsere Infrastruktur nachhaltig gefährden können.

Eine im März 2012 vorgestellte Analyse des renommierten Rückversicherers Munich Re zeigt auf, dass sich die Zahl verheerender Stürme, Regenfälle und anderer wetterbedingter Naturkatastrophen in Deutschland seit den 1970er-Jahren mehr als verdreifacht hat. Für die nächsten 30 Jahre rechnet Peter Höppe (Leiter der Munich Re-Georisikoforschung) in Deutschland vor allem mit einer Zunahme der Sturmintensität und mit erhöhten Starkniederschlägen, die zu Überschwemmungen führen.

Übungsschwerpunkte
Für den Bevölkerungsschutz und die Katastrophenhilfe bedeutet dies, dass solche Szenarien verstärkt in den Fokus von Ausbildungen und Übungen der zuständigen Krisen-/Verwaltungs- und Katastrophenschutzstäbe („Krisenstäbe“) bei Kreisverwaltungen und kreisfreien Städten und beteiligten Einsatzleitungen von Feuerwehren und anderen Hilfsorganisationen rücken müssen. Übungen mit dem Schwerpunkt „lang anhaltendes Schneechaos“ sollten daher regelmäßig durchgeführt werden. Geübt werden sollten dabei nicht nur die auf Autobahnabschnitten und Bundesstraßen verunfallten und festliegenden Pkws und Lkws, wie im Frühjahr 2013, als in einem Schneeschauer über 100 Pkws und Lkws auf der Autobahn A 45 in Hessen einen Massenunfall verursachten.

Ein Schwerpunkt sollte auch die Versorgung der eingeschneiten (teilweise bis zu 20 Stunden) Pkws und Lkws mit Insassen sein, die an Unterkühlung leiden und die schnellstens in Wärmehallen und zu Behandlungs-/Betreuungsplätzen transportiert werden sollten. Gewaltige logistische Aufgaben für Krisenstäbe, die hier ihrer Kompetenz als administrativ-organisatorisch handelnde Einrichtungen im Auftrag des zuständigen Landrats bzw. Oberbürgermeisters nachkommen müssen.

Bedeutung von KRITIS-Ausfällen
Hinzu kommen in Trainings und Stabsübungen solche Schadenslagen, die mittelbar durch ein Schneechaos ausgelöst werden, wie z. B. der Ausfall von „kritischen Infrastrukturen“ und deren direkte Auswirkungen auf die Gesellschaft. Bereits am 17. Juni 2009 wurde auf Vorschlag des Bundesministers des Innern die „Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen“ beschlossen, die eine umsichtigen Umsetzung des vorgelegten konzeptionellen Rahmens zum Schutz von den für die Versorgung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zentralen Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen vorsieht.

Erfahrungen aus Übungen vom Institut FIRMITAS aus den letzten drei Jahren, zuletzt mit der Übung POLARIS im März 2013 (siehe hierzu auch den Presseinformation Nr. 39/2013 der Kreisverwaltung Olpe vom 2. April 2013), weisen darauf hin, wie wichtig das Üben solcher Szenarien ist. Eine möglichst über mehrere Tage (Dauer) angelegte Übung behandelt dann nicht nur Verkehrsunfälle und Straßensperrungen, sondern sie sieht neben dem gespielten Einsturz von Flachdächern öffentlicher Gebäude aufgrund von Schneedachlasten mit einem hohen Verletztenaufkommen, auch ganz gezielt einzelne KRITIS-Themen im Rahmen einer Flächenlage vor. Dabei stoßen die gut ausgeprägten überörtlichen Hilfen in Form von Leitstellenverbünden rasch an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.

Krisenstäbe sollten sich stufenweise an die Thematik Ausfall der Strom- und Wasserversorgung heranwagen. Zunächst nur begrenzt für einzelne Stadtteile, weiten sich die Stromausfälle bis hin zu regionalen kreisübergreifenden großflächigen Stromausfällen aus. Diese Schadenslagen führen dann zwangsläufig zu weiteren KRITIS-Szenarien.

Probleme durch Stromausfälle
Hierbei kann der über mehrere Tage betreffende Ausfall der Wasserversorgung und natürlich auch der Abwasserentsorgung durchgespielt werden. Besonders nachhaltig betroffen sind hiervon Krankenhäuser, deren Notstromversorgung, so die Erkenntnisse aus Fachgesprächen und Übungen, i. d. R. nur eingeschränkt über Notstromaggregate für einzelnen Krankenstationen und Etagen ausgelegt sind. Noch schwieriger gestaltet sich die Versorgung von Alten- und Pflegeeinrichtungen, die nicht allesamt mit Notstromaggregaten ausgerüstet sind. Eine mögliche Evakuierung von Krankenhäusern und Altenheimen im Rahmen von winterlichen Temperaturen stellt sowohl die administrativ organisatorisch ausgerichteten Krisenstäbe als auch die taktisch operativ agierenden Einsatzleitungen/Technische Einsatzleitungen der Feuerwehren vor große Handlungsprobleme. Vergessen wird häufig in solchen Schadenslagen die Auswirkungen einer fehlenden Stromversorgung für die Bürger und einzelnen Haushalte. Ohne Strom funktionieren weder Heizungsanlagen in Gebäuden, noch Aufzüge, Schließsysteme und Beleuchtungen und spätestens bei Kaufgeschäften vor Ort fällt auf, dass Bezahlungen mit EC und/oder Kreditkarten oder Online-Banking nicht mehr möglich sind. Ein Schadenszenario am Monatsende würde die Gesellschaft sehr treffen.

Schadenszenarien mit lang anhaltendem Stromausfall betreffen auch die Informations- und Kommunikationsmedien. Neben dem Ausfall von Festnetztelefon, Mobiltelefone und Internet und die Kommunikation mit Betriebsrechenzentren versagen innerhalb von 12 bis 24 Stunden auch der Betriebsfunk und der BOS-Digitalfunk.

Welche Auswirkungen kommen außerdem auf den Bereich Transport und Verkehr zu? Diese Frage prüfend zeigen Übungen, dass neben dem Ausfall von Ampeln, Verkehrsleitsystemen und der Straßenbeleuchtung der gesamte Straßenverkehr mit Individualverkehr und ÖPNV zusammenbricht und somit ein verheerender Verkehrskollaps entsteht. Spätestens wenn die Tanks der PKW und LKW leergefahren sind und man gedenkt zur Tankstelle zu gelangen, steht man vor geschlossen Tankstellen, die weder Sprit fördern noch einem Preis für Super- und Dieselkraftstoff ausdeklarieren können.

Störungen der Wasserversorgung
Was bewirkt ein langanhaltender Stromausfall auf die Wasser- und Abwasserversorgung der Bevölkerung? Die Wassergewinnung (Brauchwasser, Trinkwasser) sowie die Möglichkeiten der Wasserspeicherung, Wasserverteilung und der Wasserversorgung über Leitungsnetze werden nachhaltig betroffen sein und zum Erliegen kommen. Gleiches gilt für den Ausfall der Abwasserableitung mit einem gestörten Abwassernetz und still liegenden Kläranlagen und ausgefallenen Pumpstationen. Bergsenkungs- (z. B. weite Teile des Ruhrgebiets) und Poldergebiete werden innerhalb weniger Tages ohne Einsatz autarker Pumpenanlagen weitgehend unter Wasser stehen, was die Problematik noch erschweren dürfte.

Kann die Wasserversorgung eines Stadtteiles über ein bis zwei Tage noch begrenzt ersetzt werden, so zeigen die Übungsergebnisse, dass eine Großstadt oder ein ganzes Kreisgebiet nicht mittel- und langfristig von außen (z. B. durch Tankwagen für Wasser) zu versorgen ist.

Eingeschränkte Lebensmittelversorgung
Nachhaltige Auswirkungen hat ein langfristiger Stromausfall besonders auf die Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung. Ohne Strom aus leistungsstarken eigenen Notstromaggregaten fällt die Tierhaltung (z.B. Schweine, Geflügel, Rinder) aus, da eine Energie zur Wärme- und Luftversorgung der Ställe nicht mehr gegeben ist. Die Milchwirtschaft wird Probleme mit dem Melken bekommen, da elektrische Melkpumpen nicht mehr laufen und ein Melken von Hand heute kaum noch möglich ist.

Der Lebensmittelhandel bzw. der gesamte Logistikhandel, der heute nahezu im Just-in-Time-Verfahren täglich beliefert wird, kommt unmittelbar nach 24 bis 48 Stunden zum Erliegen. Als Folge dieser Engpässe werden innerhalb weniger Stunden Plünderungen und Diebstähle an der Tagesordnung sein, die von den ebenso an Stromausfall leidenden Polizei- und Ordnungskräften nicht mehr ausreichend eingedämmt und aufgeklärt werden können.

Beeinträchtigung des Gesundheits- und Rettungswesens
Darüber hinaus zeigen die Übungen die Auswirkungen eines lang anhaltenden großflächigen Stromausfalles auf das Gesundheitswesen, dass neben Krankenhäusern und Alten- und Pflegeheimen auch alle Apotheken, Arztpraxen, Speziallabore (hier besonders die Sicherheitsschleusen) wie auch sämtliche Dialyseeinrichtungen und Patienten, deren Leben z. B. von der dauerhaften Funktion von Beatmungsgeräten oder Notrufsystemen abhängig ist, betroffen sein werden.

Weitere Auswirkungen eines dauerhaften Stromausfalls betreffen die Ordnungs- und Rettungskräfte selber. Feuerwehr und Rettungsdienste, Polizei und Ordnungskräfte werden in ihrer Kommunikations- und Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt sein. Gleiches gilt auch auf die Hilfsorganisationen (z. B. Malteser Hilfsdienste, Johanniter Unfallhilfe, DLRG, Deutsches Rotes Kreuz etc.) und die Bundeswehr mit Ihren wenigen Standorten, die heute weit verstreut liegen, wird Prioritäten in der Stromverteilung zu setzen haben.

Lösungsansätze
Heißt dies nun, dass wenn solche „Horrorszenarien“ eintreten, diese insgesamt nicht mehr beherrschbar werden und Präventionsmaßnahmen möglichweise auch im Vorfeld sinnlos sind? Die Lösung liegt vielmehr in einer detailliert geplanten Prioritätensetzung mit einer Vorrangverteilung der begrenzten Stromversorgung für sogenannte Schlüsselfunktionen, die es zu sichern gilt. Hierzu gehören primär die internen Kommunikationseinrichtungen der Behörden/Verwaltungen mit ihren Leitstellen, Krisenstäben und Einsatzzentralen sowie die Stellen, die für eine Information der Bevölkerung und für psychosoziale Aspekte erforderlich sein werden. Daneben sollten wichtige große Tankstellen mit Stromaggregaten ausgestattet werden, um die Einsatz- und Rettungskräfte mit Betriebsstoff zu versorgen.

Weitere Überlegungen der Krisenstäbe gehen in Richtung Erhaltung und  Schaffung von Inseln mit autarker Stromversorgung, das Vorausplanen von sogenannten Wärmeinseln (beheizbare Gebäude für Teile der Bevölkerung). Krisenstäbe werden Anträge auf logistische Unterstützungsleitungen nächst höherer Krisenstäbe von Bezirks- und/oder Landeskrisenstäbe stellen, die dann, nach Abwägung der Möglichkeiten, eine zeitlich befristete Zuführung von Gütern (Lebensmittel, Notstromaggregate, Medikamente etc.) aus nicht betroffenen Nachbarländern veranlassen.

Vorrangige Maßnahmen
Für die wichtigsten kritische Infrastrukturen wie die Strom-, Gas-, Fernwärme-, Trinkwasser- und Abwassernetze, Verkehrsleitsysteme und Kommunikationssysteme sollten im Rahmen einer Prävention Krisenstäbe rechtzeitig ein abgestuftes Vorsorgenotfallkonzept erstellen. Diese Präventionsmaßnahmen eines Krisenmanagements „KRITIS-Lagen“ müssen dann regelmäßig geübt werden.

Ein besonderes Augenmerk sollte auch auf die Kommunikation und Dokumentation von Meldungsein- und -ausgänge sowie auf Entscheidungsfindung des Krisenstabes liegen. Die Stabsgebäude von Krisenstäben bedürfen einer stabilen autarken Stromversorgung. Die Stäbe und Einsatzkräfte sollten – beim Ausfall des Funks – ggf. über Satellitentelefone miteinander in Kommunikation stehen können. So können auch Melder mit voll geländegängigen Fahrzeugen eine sinnvolle Alternative zur Übertragung von Botschaften (Meldungen) sein.

Zuletzt haben Übungen immer wieder gezeigt, dass sich die Datenflut für Stäbe nur sehr schwer über Papiervordrucke bewältigen lässt. Meldungen gehen verloren bzw. werden nicht oder zu spät beachtet! Zur Lösung dieses Problems bietet der Markt eine Vielzahl von EDV-Systemen im Sinne von Krisenstabssoftware an. Was heute allerdings noch fehlt, sind brauchbare Stabsentscheidungssysteme, nach denen Führungskräfte nach vorbewerteten Kriterien ihre Entscheidungen treffen können.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es in den nächsten Jahren unerlässlich sein wird, vorranging die o. g. Szenarien zu üben, da die Abhängigkeit der Gesellschaft von „Kritischen Infrastrukturen“ weiter zunimmt. Die vorhandenen Gefahrenabwehrplanungen müssen auf diese neuen Gefahrenbereiche ausgelegt werden und es wird darauf ankommen, solche Szenarien vorrangig zu üben, auch wenn die Ergebnisse teilweise ein erschreckendes Ausmaß annehmen werden.

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Autor des Security Explorers.
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