Im Februar veröffentlichte der norwegische Verfassungsschutz einen Bericht, in dem festgestellt wurde, dass größere Aktivitäten von Rechtsextremisten in diesem Jahr zu erwarten seien. Der Bericht der Staatsschützer gipfelte in dem Fazit: "Norwegens Rechtsextreme stehen in Kontakt mit schwedischen Rechtsextremen, genauso wie mit anderen rechtsextremen Gruppen in Europa." Anders Behring Breivik, der Attentäter von Oslo, gehörte zwar aktuell keiner Extremistengruppe an. Allerdings machte er sich deren Parolen und Weltbild mit zu eigen und vermengte das Ganze zu einer abstrusen politischen Idee, die er am 23. Juli mit dem Massenmord in Oslo und auf der Ferieninsel Utoya umsetze.

"Anders Behring Breivik ist kein Nazi", sagt Daniel Poohl, Chefredakteur der linken schwedischen Zeitschrift "Expo", die massiv gegen faschistische Tendenzen kämpft.

Poohl sieht Breivik als Mitglied "einer antimuslimischen Bewegung, die es seit etwa zehn Jahren gibt. Berivik meint, das Volk solle aufwachen, solle sich gegen Multikulti wenden – und die jungen Sozialdemokraten seien das Symbol für die staatlichen Institutionen, die Norwegen zerstören. Breivik sieht sich als Tempelritter, er befindet sich im Krieg mit dem Islam. Er ist der erste antimuslimische Terrorist", so Poohl in einem Gespräch mit der SZ vom 25. Juli.

Nach Meinung des Journalisten ist die antimuslimische Bewegung in Skandinavien, aber nicht nur dort "sehr vital". Zu ihr gehören die "Fortschrittspartei" (Fremskrittspartiet) in Norwegen, die "Dänische Volkspartei" (Dansk Folkepart) und die "Schwedendemokraten" (Sverigedemokraterna). Die antimuslimische Bewegung soll sich vor etwa zehn Jahren von den Neonazis abgespalten haben. Propagandistisch existieren jedoch Gemeinsamkeiten: Hass auf Homosexuelle, auf Ausländer, Verherrlichung der Familie, eine sehr konservative Grundeinstellung. Offiziell jedoch wollen sie nichts miteinander zu tun haben. "Vor allem haben sie unterschiedliche Feinde", so Daniel Poohl: "Neonazis sind Antisemiten, sie hassen Israel. Die antimuslimische Bewegung ist pro Israel. Geert Wilders in Holland zum Beispiel: Er ist kein Nazi, aber er ist Teil der antimuslimischen Bewegung".

Überall in Skandinavien hat sich in den letzten Jahren das politische Klima verschärft. Nicht selten rücken die politischen Diskurse und Debatten nach rechts und gewinnen zunehmend an Schärfe.

Sicherheitsexperten in Deutschland und Europa bescheinigen der rechtsextremen Szene eine hohe Gewaltbereitschaft trotz ihrer relativ kleinen Mitgliederzahl. Schwerpunkt rechtsradikaler Propaganda und Aktionen ist jedoch nicht Norwegen, sondern Schweden. Bereits in den 1980er Jahren waren dort Neonazis aktiv. Aus ihren Reihen gingen rassistisch motivierte Attentäter hervor. Zwischen August 1991 und Januar 1992 schoss etwa John Ausonius elfmal auf tatsächliche oder vermeintliche Ausländer. Einer wurde getötet. 2009 und 2010 verübte ein weiterer Schwede in Raum Malmö eine Attentatserie aus dem Hinterhalt. Dabei wurde eine Frau getötet und mehr als ein Dutzend Menschen verletzt.

Die seit 2010 im Stockholmer Reichstag vertretenen "Schwedendemokraten" sind nach Einschätzung von Experten sogar aus dem Umfeld gewaltbereiter Gruppen wie "Blood and Honour" (Blut und Ehre) oder "Vit ariskt motstand" (Weißer arischer Widerstand) entstanden. Trotz aller Dementis pflegen die "Schwedendemokarten" weiterhin Kontakte zu extremistischen Kreisen.

In Dänemark nimmt die fremden- und islamfeindliche "Volkspartei" unter ihrer Führerin Pia Kjaersgaard bereits seit fast zehn Jahren erheblichen Einfluss auf die Ausländer- und Asylpolitik des Landes. Die Partei gilt nämlich als Mehrheitsbeschafferin der jeweiligen Mitte-Rechts-Regierung in unserem Nachbarland. Bei Wahlen liegt die Volkspartei stets über zehn Prozent.

Allerdings sind direkte Kontakte mit extremistischen und gewaltbereiten Gruppen bei dieser politischen Formation bisher nicht bekannt. Bei der Ideologie gibt es jedoch Überschneidungen. Dänische Neonazis und ihr Chef Jonni Hansen sollen auch in der deutschen rechtsextremen Szene aktiv sein.

Auch in Norwegen gibt es mit der "Fortschrittspartei" eine etablierte rechtspopulistische Kraft. Bei der Parlamentswahl 2009 fuhr sie mit 22,9 Prozent der Stimmen ein Rekordergebnis ein und landete auf dem zweiten Platz hinter der Arbeiterpartei. Die Fortschrittspartei agiert wie ihre Nachbarparteien gegen die "schleichende Islamisierung" des Landes. Zwar ist die Partei "nicht unmittelbar verantwortlich für Gewalttaten wie in Oslo und Utoya. Aber das kann das Klima anheizen", sagt Hajo Funke, Rechtsextremismus-Forscher an der Freien Universität Berlin. "Jede Form von Rechtspopulismus senkt die Hemmschwelle für solche vermutlichen Einzeltäter." Anders Behring Breivik war zwischen 1999 und 2006 Mitglied der Fortschrittspartei. Zwei Jahre lang hatte er eine verantwortliche Stellung innerhalb der Jugendorganisation . Breivik trat schließlich aus – die Partei war ihm nicht radikal genug. Stattdessen zimmerte er sich sein eigenes Wahngebilde – was schließlich zur Eruption blindwütigen Mordens auf der Ferieninsel Utoya und im Regierungsviertel von Oslo mündete. Genaueres erfährt der Leser im sogenannten "Manifest" von Breivik. Das mehr als 1500 Seiten Konvulut seiner kruden Thesen steht im Internet. Auch dort hat sich der Täter selbst inszeniert.