Der Ausbruch des "arabischen Frühlings", in den  Medien auch "Rebellion"  genannt, heizt Spannungen, Erwartungen und Spekulationen im Nahen Osten täglich neu an. Zwar ist die jüngste Entwicklung nicht unmittelbar mit der Lösung des israelisch/palästinensischen Konflikts verknüpft, dennoch steigen Sorgen und Befürchtungen in Israel.

Der bisher einzige demokratische Staat in dieser Region sieht plötzlich die Gefahr durch die eruptiven Freiheitsbestrebungen der vorwiegend jungen arabischen "Revolutionäre": Sie gefährden das bisher durch autoritäre Regime wie Ägypten unter Mubarak und Syrien unter Assad stabil gehaltene Gleichgewicht. Über Nacht gibt es eventuell neue "Demokratien" und damit steigen, es klingt absurd, die Sorgen in Israel. Der Fall Tunesiens, das Ende Gaddafis, die Unruhen im Jemen, der Shoot Out in Syrien sowie aufflammende Proteste in Jordanien sind elementare Umwälzungen, die weltweite Folgen haben könnten.

Neue Machtverhältnisse im Nahen Osten zeigen, wie zerbrechlich das Abkommen zwischen Ägypten und Israel ist
Jahrzehntelang hielt Mubarak mit autoritären Methoden den "kalten Frieden", noch von seinem Vorgänger Sadat geschlossen, mit Israel aufrecht. Jetzt, nach dem Sturz des lange auch vom Westen protegierten Pharaos am Nil, kommen schon andere Töne aus Kairo, die auch schon mal den Friedensvertrag mit Israel hinterfragen. Einen Vorgeschmack wie zerbrechlich auch das bislang als stabil geltende Arrangement mit Ägypten unter den neuen Machtverhältnissen sein kann, gab es, als kürzlich ein aufgewühlter Mob in Kairo Israels Botschaft stürmte, die Fahne herunterriss und die Diplomaten zu einer überstürzten Flucht nach Israel zwang. Anlass der Gewaltaktion: Vom Sinai aus waren Terroristen in den Süden Israels eingesickert und hatten in einem massiven Anschlag mehrere Israelis getötet und verletzt. Beim anschließenden Schusswechsel mit der israelischen Armee gab es auch unter ägyptischem Sicherheitspersonal Tote. Dieser Vorfall führte schließlich zur Eskalation der Gewalt gegen Israels Vertretung in Kairo. Hintergrund dieser Terroraktion ist die Tatsache, dass die radikal-islamische Hamas den Gaza-Streifen domestiziert, die Grenze zum Sinai von dort aus nicht mehr intensiv durch Ägypten bewacht wird und sich so Terrorgruppen in der Weite der Sinai-Halbinsel tummeln und relativ ungestört in den Süden Israels in Richtung der Urlaubszentren, wie die Hafenstadt Eilat, einsickern können.

Ein Regime- und Machtwechsel in Syrien könnte Israel größere Probleme bereiten als der noch regierende Machtapparat
Die Situation in Syrien ist im Vergleich zur Lage in Ägypten revolutionär noch nicht zu Ende. Noch gelingt es dem Machtapparat des Präsidenten Baschir Assad die Protestbewegung in seinem Land brutal niederzuknüppeln. Dennoch sagen die Zeichen an der Wand, auch das System der Alawiten-Clique in Syrien wankt – offen ist derzeit noch, wann es fällt. Sollte dies geschehen, bräche ein weiterer für Israel bisher berechenbarer Faktor weg. So absurd es klingen mag: Ein Regime- und Machtwechsel in Damaskus könnte Israel größere Probleme bereiten als der noch regierende Assad-Clan. Denn seit 1973 gab es auf den im Sechs-Tage-Krieg von Israel besetzten Golanhöhen keine bewaffnete Auseinandersetzung mehr. Bislang galt der Golan als Israels ruhigste und sicherste Grenze. Diese trügerische Ruhe wurde allerdings am 5. Juni 2011 massiv gestört.
Um von eigenen Schwierigkeiten abzulenken, schickte das Regime in Damaskus unter Führung  ergebener palästinensischer Funktionäre Männer aus den palästinensischen Flüchtlingslagern in Syrien zur Demonstration an die syrisch/israelische Demarkationslinie auf dem Golan. Die Demonstranten durchbrachen Absperrungen. Israelische Grenztruppen schossen scharf zurück. Im Feuer der Soldaten wurden 23 Palästinenser getötet, weitere 50 wurden verletzt. Der Vorfall zeigte, wie nervös das Assad-Regime ist angesichts eines drohenden Machtverlustes, wenn es schon Palästinenser zwecks Demonstration gegen Israel instrumentalisiert. Fällt das Assad-Regime, fiele auch die Achse Teheran – Damaskus – Hisbollah im Libanon. Erneut wären Unwägbarkeiten die Folgen. Israels Grenze zum Libanon zählt, seit sich die Hisbollah auf libanesischer Seite eingenistet hat, eh zu den fragilsten Punkten in dieser Konfliktregion.

Hatte sich Israel in seinen bisherigen Kriegen stets auf die stärkste Militärmaschinerie des gesamten Nahen Osten verlassen können, unterstützt durch einen effizienten Geheimdienst- und Nachrichtenapparat, so bekam dieser Mythos der Unbesiegbarkeit erste Risse in den asymmetrisch geführten Auseinandersetzungen mit der Hamas im Gazastreifen und dem Krieg im Libanon gegen die Hisbollah. Weder konnte Zahal (israelische Armee) die nach Guerilla- und Terrortaktik operierenden islamistischen Kader völlig ausschalten, noch ein negatives Image in der Weltöffentlichkeit vermeiden. Letzteres war den zahlreichen zivilen Opfern unter den Palästinensern geschuldet.

Die Anerkennung Palästinas als Staat: Es ist fraglich, ob sie dem Frieden in Nahost förderlich ist
Zwar hat die um den Jahreswechsel 2010/2011 entbrannte Protestbewegung in den arabischen Staaten keinen unmittelbaren Bezug zum ungelösten Nahostkonflikt in seiner Gesamtheit, dennoch ist seit der diesjährigen UN-Vollversammlung eine neue Lunte an dieses Pulverfass gelegt worden. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas beantragte vor den Vereinten Nationen die Anerkennung Palästinas als Staat. Eine besonders von den USA und Israel missbilligte Initiative. Für die Palästinenser mag dieser Schritt eine historische Dimension haben, fraglich ist jedoch, ob er dem Frieden in Nahost förderlich ist. US-Präsident Obama hat sich vor der UNO-Vollversammlung für Israel positioniert und sein Veto im Sicherheitsrat schon angekündigt. Wie die USA befürwortet auch die Bundesrepublik Deutschland  die UNO-Initiative der Palästinenser nicht, sondern setzt auf direkte Verhandlungen der beiden Konfliktpartner mit dem Ziel, am Ende eine Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen.
Parallel zum Antrag der Palästinenser und unabhängig vom Sicherheitsrat wird ein neuer Versuch für direkte politische Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern unter Führung des Nahost-Quartetts unternommen. Das Quartett, bestehend aus der EU, Russland, den UN und den USA schlägt mehrere Etappen auf dem Weg zu einer Friedenslösung vor und erhofft sich konkrete Ergebnisse, d. h. einen friedensfähigen Entwurf bis zum Jahresende 2012. Realistisch oder Illusion ist hier wohl die Frage!

Israelische Politiker und Militärs sehen in den Veränderungen der Nachbarstaaten sicherheitspolitische Risiken
Zusammenfassend ergibt sich auf Israel angesichts des Umbruchs in der arabischen Welt folgendes Bild: Politiker und Militärs sehen in den Veränderungen bei den Nachbarstaaten zum Teil erhebliche sicherheitspolitische Risiken. Die Grenze zu Syrien auf dem Golan gilt – abgesehen von den hier aufgeführten Protestaktionen – seit 1973 als ruhig. Die Friedensverträge mit Ägypten (1979) und Jordanien (1994) entschärften die Spannungen mit diesen Ländern. Kürzere militärische Konfrontationen gab es mit der Hisbollah im Libanon und mit den Kommandos der Hamas im Gazastreifen. Mit Blick auf kommende Entwicklungen befürchten Israels Geheimdienste israelfeindliche und palästinenserfreundliche Regierungen in Kairo und Amman. Horrorgespenst wäre die Aufkündigung der Friedensverträge und Duldung feindlicher Operationen gegen Israel.
Angesichts des "arabischen Frühlings" brodelt es einmal mehr im Nahen Osten. Israel fühlt sich von manchen allein gelassen und isoliert. Die immerwährende Frage lautet heute dringender denn je: Wer durchschlägt endlich den gordischen Knoten dieses unsäglichen Konflikts?