Kurzfristige Evakuierungsmaßnahmen aufgrund von Bomben- oder Blindgängerfunden – eine Herausforderung für Krisen-/Verwaltungsstäbe

In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Bomben- und Blindgängerfunde die Öffentlichkeit sehr sensibilisiert und Stadt- bzw. Kreisverwaltungen mitsamt ihren Krisen-/Verwaltungsstäben zu geplanten Evakuierungsmaßnahmen der anwohnenden Bevölkerung veranlasst. Die in NRW zuständigen fünf Bezirksregierungen haben die Vorschriften zur Entschärfung von Blindgängern verschärft.

Bei erheblicher Gefahr müsse unverzüglich die Entschärfung ausgeführt werden. Dies kann auch bedeuten, dass umgehend Aktionen zur Evakuierung und zur Entschärfung die Bewohner nachts treffen können. Damit sind die lokalen Verwaltungen und Behörden vor neue Planungsschwierigkeiten gestellt, die eine große logistische Herausforderung darstellen.

Viele Einsätze erforderlich
Pro Jahr entschärfen und sprengen die Kampfmittelräum- und -beseitigungsdienste in Deutschland rund 5.000 Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg. Experten gehen davon aus, dass noch weitere Hundertausende Bomben nicht detoniert als Bombenblindgänger im Boden liegen. In NRW wurden im Jahre 2013 mehr als 900 Blindgänger entschärft, eine Steigerung um gut 200 Stück gegenüber 2012 (706 Blindgänger). In der Mehrzahl der Fälle ging die Bombenentschärfung gut aus, d. h. die Zünder der Bomben konnten fachmännisch ausgebaut werden. In seltenen Fällen, wie in NRW im Jahre 2012, mussten wegen beschädigter oder sehr risikoreicher Langzeitzünder in sieben Fällen Bomben kontrolliert gesprengt werden.

Mehr als 69 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs haben diese Blindgänger nichts von ihrer Gefährlichkeit verloren; im Gegenteil: Untersuchungen an dem damals gebräuchlichsten Sprengstoff Trinitrotoluol (TNT) belegen, dass dieser im Laufe der Jahrzehnte immer schlag- und geräuschempfindlicher geworden ist. Dies kann dazu führen, dass bei mechanischer Belastung, oder aufgrund von Lärm, die Bombenblindgänger nicht nur über die Zündsysteme, sondern auch über die eingelagerten Explosivstoffe zur Zündung gelangen können. Bislang ging man davon aus, dass etwa ein bis zwei Bomben pro Jahr zur Selbstzündung gelangten. Diese Zahl wird in Zukunft sicherlich noch weiter ansteigen.

Im Viersen führte 2012 eine Bombenexplosion zu erheblichen Schäden an Gebäuden. Die Sprengung einer Bombe in München verursachte sogar Schäden in Millionenhöhe. Vor wenigen Monaten ist in Euskirchen eine Weltkriegsbombe explodiert und hat neben großen Gebäudeschäden auch ein Menschenleben gefordert. Die Druckwelle der Detonation war bis weit über den Raum Bonn noch zu spüren.

Eine der größten Bombenentschärfungsmaßnahmen wurde im Dezember 2011 in Koblenz durchgeführt. In Folge eines Niedrigwassers des Rheins war eine britische Luftmine mit ca. 1,8 Tonnen Gewicht (ca. 1,3 Tonnen Sprengstoff gefüllt, der eine hohe Druckwelle verursacht) im nahen Flussbett gefunden worden. Aufgrund der Gefährlichkeit der Luftmine und ihrer Nähe zur dichten Wohnbebauung im Stadtgebiet mussten rund 45.000 Menschen aus ihren Wohnungen evakuiert werden. Eine stabsmäßige Planungsarbeit in einer Größenordnung, wie sie bislang in Deutschland unbekannt war.

Zuletzt waren im November 2013 in Dortmund-Hombruch in einem Gebiet mit einem Radius von 1.500 Metern rund 20.000 Bewohner evakuiert worden. Während der Evakuierung waren bis zu 1.200 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei und Behörden im Einsatz. Schwerpunktarbeit des Krisen-/Verwaltungsstabes war neben der Koordination der o. g. Kräfte primär die umgehende Evakuierung und Notversorgung der betroffenen Anwohner, davon rund 2.000 Personen in Notunterkünften, und eine sachgerechte Bevölkerungsinformation, deren glücklicher Ausgang die Qualität der professionellen Arbeit der Stadtverwaltung und von Einsatzkräften zugleich verdeutlicht hat.

Neue Erkenntnisse
Müssen wir in den nächsten Jahren, trotz zahlreicher Bombenfunde und Entschärfungen in den letzten sechs Jahrzehnten mit weiteren solchen Funden und Aktionen wie in Koblenz rechnen? Diese Frage lässt sich leider eindeutig mit „ja“ beantworten, da ein Großteil der Bombenblindgänger noch im Untergrund versteckt liegt und bisher keine gezielt flächendeckend systematische Suche nach Blindgängern erfolgt ist. Bislang werden Blindgänger im Zuge von Baumaßnahmen im Erdreich entdeckt oder in Folge von Bauanfragen und zur Überprüfung der Kampfmittelfreiheit von Grundstücken (im Untergrund) durch die zuständigen Behörde des Kampfmittelbeseitigungs- und -räumdienstes aufgespürt.

Seit den 1980er-Jahren konnten aus britischen und amerikanischen Bildarchivbeständen zugängliche Aufklärungsfotos, d. h. „Kriegsluftbilder der alliierten Luftaufklärung“ aus dem Zweiten Weltkrieg den deutschen Innenministerien der Länder als Kopien zur Verfügung gestellt werden. Allein NRW erhielt seit 1988 mehr als 300.000 weitere Kriegsluftbilder, die im Zuge von Luftangriffen kurz vor und unmittelbar nach dem Luftangriff durch alliierte Luftaufklärer erstellt wurden. In diesen neu verfügbaren Luftbildern sind nahezu alle jemals durchgeführten Luftangriffe auf deutsche Städte und Industrieanlagen sowie wehrwirtschaftlich wichtige Einrichtungen dokumentiert und stellen somit eine der wichtigsten Quellen zum Aufspüren dieser Hinterlassenschaften dar. Voraussetzung dafür ist, dass in der Luftbildauswertung und in der Erfassung von Blindgängereinschlägen geschulte Bildauswerter diese Bilder systematisch auswerten. Erfahrungsgemäß geht man davon aus, dass nahezu jede fünfte bis achte abgeworfene Bombe nicht zur Detonation kam und als Blindgänger im Boden in Tiefen von wenigen Metern verblieb. Nur wenn die Luftaufnahmen unmittelbar nach dem Angriff bei guter Sicht (keine oder wenig Wolkenbedeckung über dem Bombenabwurfgebiet) aufgenommen wurden, besteht eine große Hoffnung, auch mögliche „frische“ Blindgängereinschläge von den deutlich größeren Bombenexplosionskratern zu unterscheiden.

Probleme bereiten solche Bomben, die in dichten Waldflächen oder in Gewässern eingeschlagen sind und nicht detonierten, da sie verdeckt durch Vegetation und Schattenwurf von Objekten nicht im Bild direkt zu erkennen sind. Ebenfalls können Bombenblindgängereinschläge im Zuge des Gebäudeschattens oder in landwirtschaftlich genutzten Feldern mit hohem Bewuchs (z. B. Korn- und Maisfelder) kaum ermittelt werden. Probleme bereiten auch Bombenabwürfe, die im Winter auf tief verschneiten Flächen erfolgten, sodass der relativ kleine Einschlagtrichter eines Blindgängers (ca. 50 bis 80 cm Durchmesser) unmittelbar danach von Schneefall oder -verwehungen verdeckt wurde. In diesen genannten Fällen wird auch eine Luftbildauswertung an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gelangen.

Erschwerend kommt hinzu, dass in den früheren Nachkriegsjahren, z. T. bis weit in die 1960er-Jahre die ermittelten Bombenblindgänger und ihre Entschärfung nicht immer vollständig und exakt in Lagekarten dokumentiert wurden. Dies führt heute dazu, dass damals bereits geräumte Bereiche aufgrund des Auftretens neuer Bildflugzeiten von weiteren Luftangriffen wiederholt zur systematischen Überprüfung wieder anstehen, was unweigerlich zu einer erheblichen Mehrarbeit der mehr als ausgelasteten Kampfmittelbeseitigungsdienste führt.

Schnelleres Handeln in NRW
Seit einigen Monaten wird von den für die Kampfmittelbeseitigung zuständigen Bezirksregierungen in NRW an Städte und Kreise die Erwartung vertreten, dass im Zuge von Baumaßnahmen gefundene Bombenblindgänger nunmehr kurzfristig einer Entschärfung zugeführt werden müssen, um die Gefahren erkannter Blindgänger zu minimieren. Dies bedeutet, dass nunmehr nicht mehr zwei bis drei Wochen Zeit für eine geordnete Evakuierungsplanung mit allen Fachbereichen einer Verwaltung ansteht, sondern dass nur wenige Tage Zeit bleiben, die Evakuierungsplanungen umzusetzen.

Für die Verwaltungen bedeutet dies eine hohe zeitliche Belastung, so dass vermehrt diese Aufgabe auf die sogenannten Krisen-/Verwaltungsstäbe übertragen wird, die in einigen Fällen rund um die Uhr für die Planung arbeiten müssen. Liegen Krankenhäuser und Altenheime, evtl. sogar Forensikeinrichtungen und Justizvollzugsanstalten im Evakuierungsradius eines möglichen Schadensbereiches (Druckwelle, Splitterwirkung) einer nicht im Vorfeld der Entschärfung auszuschließenden Bombenexplosion, dann kommen auf die Krisen-/Verwaltungsstäbe zahlreiche Sonderleistungen zur Ausplanung von Ersatzunterbringungs- und Versorgungsmaßnahmen hinzu, die unter hohem Zeitdruck zu erfolgen haben. So müssen aus den Wohnstraßen Personen ermittelt werden, die aufgrund einer Pflegestufe nicht mehr selbst den Evakuierungsort verlassen können. In den Fällen, bei denen größere kreisangehörige Städte und Gemeinden betroffen sind und die selber Rückgriff auf Verwaltungsleistungen der einzelnen Fachbereiche in Form von Stäben für Außergewöhnliche Leistungen (SAE) aufweisen, lassen sich solche Evakuierungsmaßnahmen deutlich effektiver ausführen, als wenn kein SAE einer Stadt oder Gemeinde zur Verfügung steht.

Probleme bei der Sicherung
Während der laufenden Evakuierungsmaßnahmen müssen neuerdings immer mehr Polizei- und Ordnungskräfte die leer gezogenen Wohn- und Geschäftshäuser vor Diebesbanden sichern. Neu ist auch das Auftreten eines sogenannten „Katastrophentourismus von Schaulustigen“ festzustellen, die bewaffnet mit Fotoapparaten und/oder Handys aktuelle Bilder/Fotos von leeren „Geisterstädten“ machen und sogar in unmittelbarer Nähe zum Entschärfungsort in Online-Portalen auftreten wollen. Vereinzelt wird sogar berichtet, dass sich Bürger vor der Polizei in unmittelbarer Nähe zum Entschärfungsort versteckt gehalten haben, weil diese die Sprengung aus unmittelbarer Nähe „live“ miterleben wollten. Je länger eine Bombenentschärfung dauert, desto ungeduldiger werden diese „neuen Schaulustigen“ und es steigern sich die Kommentare in den Online-Portalen.

Ist die Bombenentschärfung ausgeführt und der Blindgänger mit ausgebautem Zünder entweder zum Abtransport freigegeben oder musste er geplant gesprengt werden, so kommt auf die Krisen-/Verwaltungsstäbe die Arbeit der Rückführung der evakuierten Bürger zu. Die Rückführung einer Evakuierung ist eine sehr fordernde Aufgabe für die Krisen-/Verwaltungsstäbe, da in Plan-/Stabsübungen des Bevölkerungsschutzes dieses Thema kaum oder nur unzureichend geübt wurde (Anm.: Übungen weisen oftmals den Beginn einer Katastrophenlage auf, nicht aber der Rückführung in den ursprünglichen Orginalausgangszustand).

Die Forderung an die Ausbildung und Beübung von Krisen-/Verwaltungsstäben sowie SAE lautet daher, dass solche großflächigen Evakuierungsmaßnahmen regelmäßig geübt werden sollten. Dabei sollte großer Wert auf den hohen „Zeitdruck“ der Durchführung der Evakuierung binnen weniger Tage gelegt werden. Ebenso bietet es sich an, einmal ein Szenario zu üben, in dem die unkontrollierte Explosion eines Bombenblindgängers weitere Teile eines Stadtgebiets und seiner Infrastruktur zerstört. Nur wer sich dieser schwierigen Thematik annimmt wird auch in Zukunft gerüstet sein wenn es heißt, im Zuge einer Baumaßnahme wurde eine Weltkriegsbombe oder gar eine größere Luftmine aufgefunden. Die Zeit läuft.

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Autor des Security Explorers.
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