Geheimmissionen am Hindukusch

Im Kampf gegen Aufständische

Sie kämpfen an drei unterschiedlichen Fronten gegen Terror und Guerilla! Lautlos sich annähernde unbemannte Drohnen feuern ihre Raketen auf Top-Funktionäre der Taliban im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet. Pakistanische Truppen zum Teil unterstützt von geheim mit ihnen operierenden Special Forces der CIA jagen Dschihad-Kämpfer am Boden. Die dritte Front im Kampf gegen Aufständische ist der lautlose Krieg der Geheimdienste. Der gefürchtete pakistanische ISI im Bunde mit US-Agenten infiltriert die großen Städte des Landes auf der Suche nach Taliban- und Al-Qaida-Nestern. Taktgeber für Strategie und Taktik war überwölbend der Kommandeur der ISAF-Truppen in Afghanistan: Viersterne-General Stanley McChrystal.

Im Juni 2010 wurde McChrystal dann wegen massiver Kritik an der Obama-Administration abgelöst. Nachfolger ist General David Petraeus, bislang Kommandeur Centcom, zuständig für Nahost und Südasien. Petraeus entwickelte die Afghanistan-Strategie mit und daher wird kein großer Bruch am Vorgehen der ISAF-Truppen am Hindukusch erwartet. Das Credo für Afghanistan, aber auch mit Blickrichtung Pakistan lautet, mehr Truppen, dadurch größere Absicherung ziviler Projekte und weitgehende Vermeidung ziviler Opfer. Trotz zunehmender Aktivitäten der Taliban-Kräfte in Afghanistan ebenso wie im Grenzsektor auf pakistanischer Seite definierte McChrystal noch zu Amtszeiten in Zeitungsinterviews das Konzept, wie der Kampf am Hindukusch zu gewinnen sei: "Der Aufstand ist grundsätzlich nur erfolgreich unter den Paschtunen (Hauptreservoir der Taliban, d.Red.). Der wichtige Teil der Bevölkerung ist da, wo das Wasser und die Straßen sind. Wenn man diese Gebiete sichert, dann dreht man dem Aufstand den Sauerstoff ab!"

Die neue Militärstrategie

Operativ wurde die neue Militärstrategie erstmals in Marjah, einem Zentrum des Drogenhandels und Taliban Stützpunkt in der Provinz Helmand, angewandt. 15.000 westliche Truppen und afghanische Soldaten säuberten den Ort von den Aufständischen. Allerdings kamen manche von ihnen nachts zurück, bedrohten die Bevölkerung, warnten vor Kollaboration mit den "Ungläubigen" und versteckten Sprengfallen am Straßenrand.

Doch trotz immer wieder explodierender Bomben, trotz des Terrors mit Selbstmordattentäter, die ihre Sprenggürtel zünden, haben in den letzten Wochen und Monaten Drohnenangriffe, Militär- und Geheimdienstoperationen Lücken in die Kommandostrukturen von pakistanisch-afghanischen Taliban gerissen.

Den Antiterrorkampf mit bewaffneten Aufklärungsdrohnen im Nordwesten Pakistans in Grenznähe zu Afghanistan praktizieren die USA seit 2008 mit jährlich zunehmender Intensität. Die Luftschläge erfolgen, trotz aller Dementis aus Islamabad, in stillschweigender Kooperation mit pakistanischen Militärs. Hochrangige Mitglieder der Taliban und "Al- Qaidas" sind diesen gezielten Liquidierungen zum Opfer gefallen. Erst jüngst schaltete ein Drohnenangriff den Afghanistan-Chef und Mitbegründer "Al-Qaidas", Mustafa Abu al-Yasid, aus. Er galt als Finanzchef und Topmanager des Terror-Netzwerkes. Bereits im August letzten Jahres hatte die Rakete einer unbemannten Drohne den Führer aller pakistanischen Taliban (TTP), Baitullah Mehsud, getötet. Seither ringen verschiedene Führer um Einfluss in der Hierarchie der Teerek-e-Taliban.

Auch und besonders der operative und Ausbildungsbereich der Dschihad-Fanatiker erlitt durch die Schläge der US-Luftangriffe zum Teil herbe Verluste. Dies führte zu Einbrüchen im Personalbereich, häufig stiegen nur bedingt geeignete Personen in Führungspositionen auf. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass trotz partieller Schwächung der internationale Dschihad nach wie vor erste Option und grundlegende Strategie der Fortschrittsgegner bleibt.

Regionale Schwerpunkte

Neben den Stammesgebieten zu Afghanistan und dem dortigen Schlachtfeld konzentrierten sich die Nachrichtendienste zuletzt schwerpunktmäßig auf die heimliche Hauptstadt der pakistanischen Taliban, den 15 Millionen Moloch Karatschi. Die pakistanische Hafenstadt ist zu einem Rückzugsort für die Gotteskrieger – auch jene aus Afghanistan – geworden. Karatschis Polizei geht von mehr als 5000 bewaffneten Milizen (die Dunkelziffer liegt weit höher) der verschiedenen Dschihadisten-Gruppen aus, die in Elendsquartieren, Madrassen (Religionsschulen) und Geheimverstecken untergekommen sind. Diese bewaffneten Kommandos strömten zusätzlich zu den geschätzten sechs Millionen pakistanischen und afghanischen Paschtunen in die Megacity. Der Grund für die Attraktivität Karatschi aus Rückzugsraum liegt auf der Hand: die Dschihad- Terroristen betrachten die Stadt als sicheren Hafen vor größeren Militäroperationen und Angriffen aus der Luft mit unbemannten Drohnen. Für Pakistans Sicherheit braut sich dagegen in Karatschi ein gefährliches Gebräu zusammen, das jederzeit explodieren kann. Destabilisierung ist bereits jetzt angesagt!

Westliche Geheimdienste und Militärs haben die Millionenstadt schon lange im Focus. So ist es inzwischen kein Geheimnis, dass die "Quetta- Shura", jener oberste Rat der in Afghanistan kämpfenden Taliban um den legendären einäugigen Führer Mullah Omar, einen Großteil ihrer Familien und auch Kämpfer nach Karatschi verlegt hat. Auch die Führungsriege der Taliban trifft sich regelmäßig im Dunstkreis Karatschis und verlagert ihre Meetings dorthin.

Statt Luftschläge durch US-Drohnen müssen Taliban und Al-Qaida-Funktionäre allerdings die Greifkommandos des pakistanischen ISI und geheime CIA Operationen fürchten. Besonders die USA haben inzwischen innerhalb Pakistans ein gut funktionierendes Netz an Informanten aufgezogen, nicht immer vom Beifall ihrer pakistanischen Partner begleitet. So liegt auch nach wie vor ein Schleier der Geheimhaltung über einen der spektakulärsten Zugriffe auf Top-Kader der afghanischen Taliban in den verwinkelten Gassen Karatschis. Am 15. Februar 2010 meldeten die Agenturen, dass bereits Ende Januar Mullah Abdul Ghani Baradar dem ISI und der CIA ins Netz gegangen ist. Dies war der bislang schwerste Schlag gegen die Taliban seit 2001. Denn Baradar war die Nummer zwei der afghanischen Taliban hinter deren Symbolfigur Mullah Omar. Baradar galt zudem als Chef aller militärischer Operationen.

Im Zuge der Festnahme des Topterroristen kam es zu weiteren Verhaftungen führender Kommandeure der Taliban. Die "Schattengouverneure" der Provinzen Kunduz und Baghlan, Mullah Abdul Salam und Mullah Mir Mohammed verfingen sich ebenfalls im Netz der Geheimdienste. Durch die Ausschaltung dieser Figuren erfuhr die "Quetta- Shura" erhebliche Einbrüche mit deutlicher Signalwirkung nach Afghanistan. Salam zog im nördlichen Bereich um Kunduz die Fäden bei Anschlägen auf Soldaten der Bundeswehr. Mohammed war nach geheimdienstlichen Erkenntnissen in der Nachbarprovinz Baghlan verantwortlich für Guerilla-Operationen.

Die jüngsten Schläge und Festnahmen gegen Taliban Strukturen bestätigen erneut die Einschätzung westlicher Nachrichtendienste, wo – nach Pakistan nach wie vor als Gravitationszentrum des internationalen islamistisch geprägten Terrorismus zu betrachten ist. Die Stammesgebiete im Nordwesten des Landes spielen dabei gleichsam die Impulsgeber für die interne Bedrohung Pakistans, ebenso jedoch für das Nachbarland Afghanistan sowie für die westliche Welt. Zudem bilden sie einen Anziehungspunkt für militant islamistische Reisegruppen aus Europa. Neben den pakistanischen Taliban (TTP = Terek-e-Taliban Pakistan) tummeln sich in diesem schwer zugänglichen Gebiet Reste der ‚Al-Qaida‘. In diesem Gebiet fallen Entscheidungen und operative Planungen der Organisationen. Terrordrill erfahren militant islamistische Kader in konspirativen, oft blitzartig auf- und abgebrochenen Camps. Allerdings vollzieht sich Ausbildung im Vergleich zum Schliff in den früheren Lager "Al-Qaidas" vor 2002 auf deutlich niedrigerem Niveau. Zahlenmäßig dominant in den Terrorcamps sind Rekruten aus der Region und arabischen Ländern (Usbeken, Tschetschenen, Jemeniten, Saudis). Teilnehmer aus westlichen, europäischen Ländern sind relativ gering. Deutsche Sicherheitskreise sprechen von ca. 30-40 deutschen Islamisten, darunter einige Konvertiten.

Ein Schlüsseljahr am Hindukusch

Nach wie vor herrscht unterschwelliges  Misstrauen unter den Alliierten, denn zu lange – so die USA – haben die Pakistanis gezögert, massiv gegen die Taliban- und Dschihad- Schlupfwinkel in ihrem Land vorzugehen. Aus gutem Grund – so wird vermutet, denn einst hob der Geheimdienst ISI die Taliban in Afghanistan in den Sattel und nach wie vor sind Taliban-Gruppen im Nachbarland für Pakistan langfristig eine politische Option gegen indische Einflüsse im Land am Hindukusch.

ISAF und die Führungsnation USA stehen vor einem Schlüsseljahr in Afghanistan und Pakistan. Bei der Bekämpfung der aufständischen Taliban und der militanten Dschihadisten erinnert vieles in den kommenden Monaten an "High Noon". High Noon ist die Stunde der Entscheidung; "Zwölf Uhr mittags!" Wie einst Gary Cooper als einsamer Sheriff allein auf der Dorfstraße einer Übermacht von Gangstern trotzte, so will auch ISAF den Widerstand der Taliban bis zu einem gewissen Grade zurückdrängen oder brechen. Der Unterschied zum Film liegt in der Realität. "High Noon" liegt nicht auf dem Filmgelände von Hollywood, die Stunde der Entscheidung fällt in den Weiten des Hindukusch. Bis heute bleibt das Ende offen, und das trotz der 25 Milliarden US-Dollar, die bisher in den Aufbau der nationalen Sicherheit in Afghanistan geflossen sind. Im Film übrigens hat Gary Cooper gewonnen!

Quelle: Rolf Tophoven: Geheimmissionen am Hindukusch. In: Kai Hirschmann/Rolf Tophoven: Das Jahrzehnt des Terrorismus. Security Explorer 2010. S. 279 – 282

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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