Die Piraterie vor Somalia bekämpfen – dem Staatszerfall entgegenwirken

Piraterie in den Gewässern vor Somalia

Der Zerfall Somalias seit der Entmachtung des Diktators Siad Barre 1991, die gescheiterte UNOSOM (United Nations Operation in Somalia) und das Debakel der US-amerikanischen Intervention im Rahmen der UNITAF (Unified Task Force) ließen das Land in ein Gewaltoligopol zerfallen. Die Trias staatlicher Ordnung: Sicherheit-Wohlfahrt-Legitimation/Rechtsstaatlichkeit, auf somalischem Territorium ist zusammengebrochen, eine weitgehend machtlose Regierung agiert aus dem Exil. Das Land ist in drei Einflusssphären zerbrochen: Somaliland im Norden, Puntland im Nordosten und ein von der islamistischen Organisation al-Schabaab größtenteils kontrolliertes Süd-Zentralsomalia. Armut, Perspektivlosigkeit und die Erfahrungen aus beinahe 20 Jahren Bürgerkrieg bildeten den Nährboden für Piraterie.

Piraterie ereignet sich heute im Besonderen entlang des Krisenbogens von Südostasien über den Nahen Osten bis hin zum Golf von Aden. Auch die westafrikanischen Gewässer zählen ebenso wie die lateinamerikanischen zum Operationsgebiet modernen Seeräubertums. Eine einheitliche Verteilung der Piraterie ist weltweit nicht erkennbar, sie ist jedoch kein regionales, sondern ein globales Problem. Insbesondere entlang der Küstenlinien fragiler oder zerfallener Staaten oder der Gebiete, in denen ein umfassender Schutz der Schifffahrtswege aufgrund geographischer Gegebenheiten, mangelnden politischen Willens oder schwacher maritimer Fähigkeiten der Anrainerstaaten derzeit nicht gewährleistet werden kann, tritt Piraterie in Erscheinung. Korruption, ethnische, religiöse und soziale Spannungen sowie zwischenstaatliche Konflikte sind weitere Faktoren, die die Sicherung der Seewege erschweren.

Entlang der Küstenlinie des Horns von Afrika verläuft eine der weltweit wichtigsten seewärtigen Handelsstraßen. Sie verbindet Europa mit der arabischen Halbinsel und ist zugleich Ausgangspunkt für die Kaproute, welche die arabische Welt mit den USA verbindet. Weiterhin ist sie für den Warentransport von Europa in die asiatischen Staaten unerlässlich. Rund 20.000 Schiffe nutzen diese "Sea line of Communication" jährlich, nahezu 12 Prozent des seegestützten Öltransports verlaufen entlang dieser Wasserstraße, die hierbei über den Suezkanal, das "Tor der Tränen" – den Bab el-Mandeb am südlichen Ausgang des Roten Meeres – sowie den Golf von Aden verläuft. Die 3.300 Kilometer Küstenlinie Somalias eröffnen Piraten ein Operationsgebiet von 2,5 Millionen Quadratkilometern.

Entwicklung der Piraterie

Die Entwicklung der Piraterie in den Gewässern vor Somalia ging einher mit der Destabilisierung und dem Zerfall des Landes. Seit der Zeitenwende 1989/90 fanden sich die somalischen Gewässer regelmäßig in den Piraterie-Warnungen des International Maritime Bureau (IMB) wieder. In Küstennähe oder in den Hafenanlagen von Mogadischu wurden Schiffe, oftmals ausländische Fischtrawler, angegriffen und geplündert. Denn die Subsistenzwirtschaft Somalias ist im Besonderen von der Fischerei abhängig.

Infolge des Zusammenbruchs ab 1991 und der Auflösung staatlicher Exekutivorgane wurden die fischreichen somalischen Gewässer zum beliebten Ziel ausländischer Fangflotten. So mussten somalische Fischer hilflos mit ansehen, wie modern ausgerüstete Fangflotten aus Europa, Pakistan, Japan, Taiwan und dem Jemen, um nur einige zu nennen, illegal in den Gewässern fischten und ihnen die Nahrungs- und Erwerbsgrundlage entzogen. Es kam vermehrt zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen somalischen Fischern und den ausländischen Trawlern. So wurden beispielsweise 2005 drei taiwanesische Trawler von einer selbsternannten ‚Somali Volunteer National Coast Guard‘ geentert und festgehalten. Für die 48 Besatzungsmitglieder wurde ein Lösegeld von je 5.000 US-Dollar gefordert. In der Folge setzte ein Wandel von der Abwehr der ausländischen Fischer hin zum Angriff und Kidnapping ein. Ein, wie sich zeigen sollte, durchaus lukratives Geschäft. Seit Ende der 1990er-Jahre warnt das ‚International Maritime Bureau‘ vor der Piraterie in den somalischen Gewässern und empfahl, diese im Abstand von 50 Seemeilen zu umfahren. Der versuchte Überfall auf den US-Luxuskreuzer Seaborne Spirit im Juni 2005 brachte das Phänomen der Piraterie an der Küste Somalias auch in den Blickpunkt der westlichen Medien. Rund 25 Piraten beschossen den Luxuskreuzer etwa 100 Seemeilen vor der somalischen Küstenlinie mit AK-47-Gewehren und RPGs. Der Überfall scheiterte, doch zeigte er deutlich auf, dass das Operationsgebiet somalischer Piraten schon damals bis weit über die 50-Seemeilengrenze hinausging. Im Jahr 2005 wurde das Gebiet auf 200 Seemeilen ausgeweitet, mittlerweile empfiehlt das IMB, die Gewässer weitestgehend zu meiden und Somalia im Abstand von mindestens 600 Seemeilen zu umfahren.

Interessen der internationalen Staatengemeinschaft

Das Engagement der internationalen Staatenwelt vor der Küste Somalias verdeutlicht, welche Bedeutung der Sicherheit der Seewege beigemessen wird. Denn die Auswirkungen der somalischen Piraterie erstrecken sich über mehrere Ebenen. So ist erstens die Versorgung der rund drei Millionen Flüchtlinge durch die Piraterie betroffen, zweitens trägt die Piraterie zu einer weiteren Destabilisierung des Landes bei, festigt die Einflussgebiete von Warlords und Clanführern und begünstigt somit auch spill-over-Effekte der schwachen Staatlichkeit in die Region. Drittens betrifft die Piraterie auch die Interessen der Industrienationen, etwa im Lichte der Sicherheit der Seewege und, besonders in dieser Region, auf die Versorgungssicherheit mit Öl. So berührte die Situation vor Somalia spanische und französische Fischereiinteressen, da die Fangflotten beider Staaten die Gewässer der Seychellen vor Somalia regelmäßig auf der Jagd nach Thunfisch anlaufen. Zudem wurde das Gebiet von den Versicherungen entsprechend eingestuft, so dass die Versicherungsprämien rapide anstiegen, was im Besonderen die deutschen Reeder traf, die die weltweit größte Containerflotte führen und im internationalen Ranking den dritten Platz der Seefahrernationen einnehmen. Entsprechend sind auch die Außenhandelsinteressen des Exportweltmeisters Deutschland betroffen.

Weiterhin wird auch die Versorgungssicherheit beispielsweise der USA mit arabischem Öl und der Handel mit der arabischen Welt durch die Piraterie berührt. Die Alternativroute etwa für kleinere Tanker aus dem Persischen Golf zu jener durch den Golf von Aden und den Suezkanal verläuft entlang der afrikanischen Küste hin zum "Kap der Guten Hoffnung" an der Südspitze Afrikas und dann in die USA. Diese Route ist im Vergleich zu der durch den Suezkanal und das Mittelmeer um 2.700 Seemeilen länger und würde die Betriebskosten der Schiffe erheblich steigern. Bei einer jährlichen Kapazität von sechs Törns via Suezkanal und Mittelmeer in die USA würde die Kaproute einen Törn im Jahr kosten, so das US-Departement of Transportation.

Militärische Bekämpfungsstrategien zu Wasser

Im Jahr 2008 wurden die Gewässer vor Somalia zur ‚Piracy Prone Area‘ schlechthin, und dies trotz der in diesen Gewässern operierenden internationalen Kriegsschiffe der Combined Task Force 150 (CTF 150) im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF). Die Implikationen der Piraterie vor Somalia veranlasste die Industrienationen im Frühjahr 2008, im UN-Sicherheitsrat auf ein Mandat zur Bekämpfung der Piraterie hinzuwirken, um später entsprechend Kriegsschiffe in die Region entsenden zu können. Mit diesen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates wurde der Tatsache in Somalia Rechnung getragen, dass ein Failed State seine eigenen hoheitlichen Rechte aufgrund des de facto nichtexistenten Gewaltmonopols zu Lande, zu Wasser und in der Luft nicht länger wahrnehmen kann. Auf Grundlage der Sicherheitsratsresolutionen wurden verschiedene Maßnahmen getroffen, die die Piraterie in den Gewässern Somalias eindämmen und die Sicherheit der Seewege gewährleisten sollen. So wurde zunächst der Aufgabenbereich der CTF 150 ausgeweitet.

Am 22. August 2008 wurde durch die USA eine ‚Maritime Security Patrol Area‘ (MSPA) eingerichtet, in der die Handelsschiffe durch die Kräfte der CTF 150 verstärkt beobachtet wurden. Rund 90 Prozent aller Transits zum Suezkanal liefen durch diesen ersten Sicherheitskorridor entlang des Golfs von Aden. Seitens der Europäischen Union wurde im Sommer 2008 erwogen, eine maritime Operation im Golf von Aden zum Schutz der humanitären Hilfe durch das WFP und der Handelsschifffahrt durchzuführen. Dänemark und die Niederlande hatten neben anderen Staaten bereits eigene maritime Kräfte in die Region gesandt und den Schiffen Geleitschutz geboten. Diesen Geleitschutz führte die NATO-Operation "Allied Provider" seit Oktober 2008 fort, bis die im Herbst beschlossene europäische NAVFORSomalia, ATALANTA, im Dezember 2008 implementiert wurde, deren Mandat jüngst am 15. Juni verlängert wurde. Derzeit operieren im Rahmen der ATALANTA-Mission dreizehn Kriegs schiffe sowie drei Luftaufkläreinheiten.

Die USA implementierten im Januar 2009 die Combined Task Force 151, die wie die NATO Operation Allied Protector (zukünftig OCEAN SHIELD) in Abstimmung mit den beiden Missionen operiert. Zudem können einzelne Staaten, etwa Russland, Japan oder China auf Grundlage der Sicherheitsratsresolutionen in der Region operieren und auch in die somalischen Hoheitsgewässer eindringen. Doch trotz des Engagements der internationalen Staatenwelt wider die Piraterie gingen die Überfälle nicht zurück. Mehr noch wurde die Überfallrate des Jahres 2008 mit 111 gemeldeten Übergriffen bereits im Juni dieses Jahres überschritten.

Akteuranalyse

Die Piraten Somalias sind ein Gemisch aus einfachen Familienclans, losen Gruppen und organisierten Banden. Zu den organisierten Gruppen zählen neben Fischern auch Angehörige der Küstenwache und der Marine, die im Zerfallsprozess ihre Einkommensgrundlage verloren und in ihre Dörfer zurückkehrten. Entsprechend verfügen diese Gruppen über ein hohes Maß maritimer Kenntnisse, etwa bezüglich der Eigenheiten der regionalen Gewässer, der Navigation und der taktischen Erfordernisse auf See. Der Erfolg der Piraten in den letzten Monaten sowie der Versuch einer Eindämmung durch die maritime Präsenz der Handelsnationen führte zu einem Wandel im Piraterie-Business:

Erstens professionalisieren sich die Gruppen zusehends. Regionale Warlords und Clanführer stehen einem Netzwerk vor, an dessen Ende die somalischen Fischer die Überfälle ausführen. Von Mutterschiffen aus operieren die Piraten in einem Radius von bis zu 800 Seemeilen. Diese Syndikate verfügen über das nötige Equipment, einen Supertanker wie den VLCC Sirius Star zu orten und zu boarden, und über die Fähigkeit, ein solches Schiff in den Zielhafen zu segeln. Um ein Schiff wie die Sirius Star mit einem Gegenwert von mehreren Milliarden Dollar in punkto Lösegeldforderungen zu betreiben, sind entsprechende Strukturen an Land von Nöten. Zudem benötigen die Piraten zum Unterhalt ihrer Mutterschiffe Financiers, sofern sie die Logistik nicht mit vorhergehenden Überfällen bezahlen.

Zweitens wird die Piraterie aufgrund ihrer gewinnbringenden Möglichkeiten zu einem Wirtschaftszweig, dem sich nicht nur die Fischer und ehemaligen Angehörigen der Marine bzw. Küstenwache verschrieben haben. Die ‚Piratenstädte‘ Eyl und Hobyo sind, im somalischen Sinne, Boomtowns. Piraten haben Schätzungen zufolge im Jahr 2008 durch Lösegelder rund 30 Millionen US-Dollar eingenommen. Das Geschäft der Piraterie floriert und so drängen immer mehr junge Männer aus dem Landesinneren an die Küste, um sich den Piraten anzuschließen – ähnlich wie in den frühen 90er-Jahren die Mooryaan in ihrer Gier nach Sex, der Droge Khat und Geld in Mogadischu.

Drittens verdeutlichen die Überfälle, dass die somalischen Piraten sich taktisch den Gegebenheiten angepasst haben. Denn trotz des Umstandes, dass ausländische Kriegsschiffe in der Region patrouillieren und gezielt gegen Piraten vorgehen, gelingt es den somalischen Seeräubern immer wieder, spektakuläre Überfälle durchzuführen. So werden Ablenkungsmanöver ausgeführt, um die Kriegsschiffe der internationalen Staatengemeinschaft aus der eigentlichen Angriffszone herauszulocken und das Operationsgebiet wird – das zeigen die Überfälle im ersten Quartal 2009 – deutlich über die 800-Seemeilengrenze ausgeweitet.

Viertens besteht die Gefahr, dass sich somalische Piraten und deren Clans im Süden der islamistischen Gruppe al-Shabaab annähern oder zumindest mit ihr kooperieren. Je weiter die Möglichkeiten zur Piraterie durch die maritime Präsenz ausländischer Staaten eingeschränkt werden, desto mehr könnten sich die Piraten anderen Einkommensquellen zuwenden, etwa dem Menschen- und Waffenschmuggel. Auch warnt ‚Jane´s Intelligence‘ vor einer Kooperation von al-Shabaab und Gruppen der Piraterie etwa im Hinblick auf eine Bekämpfung von landgestützten Operationen der Staatengemeinschaft wider die Piraterie.

Fazit

Erst wenn die Ursachen der Piraterie von den Handelsnationen auf der politischen Ebene bekämpft werden, kann sich die Lage entlang der Seewege entspannen. Marineoperationen wie die europäische Mission ATALANTA, die Combined Task Force 151 der USA oder die NATO Mission Allied Protector alleine, so notwendig sie auch sind, reichen im Kampf gegen die Piraterie nicht aus. Wie lange die Staaten zudem bereit sind, die kostenintensiven Marineoperationen weiter durchzuführen, bleibt abzuwarten.

Eine wirksame, nachhaltige Bekämpfung der Piraterie muss erstens auf die Ursachen abzielen, das heißt dem Staatszerfall entgegenwirken. Die von der EU zugesagten Mittel sind ein Anfang, reichen aber bei Weitem nicht aus – denn die Sicherheitslage bleibt, das verdeutlichen insbesondere die Kämpfe der letzten Tage in Mogadischu, angespannt. Alleine wird Somalia aus dem Strudel des beinahe 20jährigen Bürgerkrieges nicht herausfinden! Besonderes Augenmerk ist auf die weitere Entwicklung der islamistischen al-Shabaab zu richten, die weite Teile Süd-Zentralsomalias kontrolliert. Eine islamistische Terrororganisation mit maritimen Fähigkeiten in dieser strategisch bedeutsamen Region würde die internationale Staatenwelt in besonderer Weise gefährden und herausfordern. Erinnert sei an dieser Stelle an den Anschlag auf den Tanker Limburg 2002 oder den gescheiterten Anschlag auf die Takasuza 2004, die sich zum Angriffszeitpunkt am irakischen Öl-Terminal al-Basra zu einem Beladevorgang aufhielt. Im Beziehungsgeflecht zwischen Somalia, Äthiopien, Eritrea und Kenia hätte die Destabilisierung der Region globale Auswirkungen, einerseits im Hinblick auf die Sicherheit der Seewege, andererseits mit Blick auf die terroristische Gefahr.

Zweitens müssten einerseits zwingend Operationen gegen die Mutterschiffe, andererseits Operationen zu Lande durchgeführt werden. So könnte das Operationsgebiet der Piraten eingeengt und das Land zumindest lokal stabilisiert werden. Schon Pompeius bekämpfte die Auswüchse der Piraterie im Jahre 67 vor Christus an der kilikischen Küste erfolgreich mit der gesamten römischen sowie bundesgenössischen Flotte zu Wasser (300 – 500 Schiffe) und besetzte das Land mit den entsprechenden Legionen (rund 120.000 Mann). Rom hatte durch diese beispiellose Aktion zur See und auch an Land der Piraterie in der gesamten Mittelmeerregion zunächst ein Ende gesetzt. Der kurze Blick in die Geschichte zeigt, dass die wirksame Bekämpfung der Piraterie auf See beginnt und sich zu Lande fortsetzt.

Quelle: David Petrovic: Piraterie in den Gewässern vor Somalia. In: Kai Hirschmann/Rolf Tophoven: Das Jahrzehnt des Terrorismus. Security Explorer 2010. S. 247 – 250.

Autor: David Petrovic ist Herausgeber und Mitglied der leitenden Redaktion der Zeitschrift ‚IMS – Internationales Magazin für Sicherheit‘.

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