Eiszeit zwischen Washington und Islamabad

Milliarden von Dollar pumpten die USA seitdem in das fragile Staatsgebilde in unmittelbarer Nachbarschaft zu Afghanistan. Washingtons Militärhilfe sollte Pakistan zusätzlich befeuern, im eigenen Land gegen militante islamistische Kader vorzugehen, die pakistanischen Taliban Stränge zu kontrollieren und den Kommandos von al Qaida, dem al Haqqani Netzwerk und den in die Terrorcamps ins Grenzgebiet zu Afghanistan strömenden westlichen, auch deutschen Konvertiten und sonstigen "Heiligen Kriegern" die Trainingsbasen in Nord- und Südwasiristan zu entziehen.

Halbherziges gegen den Terrorismus
Nach allem, was man bis heute weiß, ging die pakistanische Armee mehr oder weniger halbherzig gegen Terrorismus und Gewalt in den Stammesgebieten vor. Permanenter Vorwurf daher aus den USA: Pakistan täte nicht genug im Kampf gegen das Krebsübel Terrorismus. Das Gegenargument aus Islamabad dagegen lautete stets: Tausende pakistanische Soldaten hätten in den letzten zehn Jahren im Kampf gegen al Qaida und den mit bin Ladens Organisation verbündeten anderer terroristischen Gruppierungen ihr Leben gelassen.

Nato-Truppen töten 24 Soldaten der pakistanischen Grenztruppe
Doch in den letzten Monaten steuerten die Belastungen Pakistans zum westlichen Bündnis, besonders zu ihrem mächtigsten Alliierten USA einem bis dahin nicht gekannten Höhepunkt zu. Die Eskalation lässt sich an einem Datum exakt festmachen: Am 26 November werden beim einem Helikopterangriff von Nato-Truppen auf einen pakistanischen Grenzposten im Distrikt Mohmand 24 Soldaten der pakistanischen Grenztruppe getötet. Letzte Hintergründe, wie es zu dem Beschuss der Militärbasis durch Nato-Truppen kommen konnte, liegen noch im Dunkeln. Doch offenbar hatte eine us/afghanische Kommandotruppe von Afghanistan aus die Grenze nach Pakistan überquert, sei von dort – wie die Nato sagt – von Taliban beschossen worden. Nach dem Beschuss hätten die Koalitionstruppen Luftunterstützung angefordert. Danach sei der Stützpunkt in der Annahme, Taliban hätten sich dort versteckt, mit AH 64 Apache Kampfhubschraubern angegriffen worden. Von der Anwesenheit pakistanischer Truppen sei man nicht ausgegangen. Pakistans Regierung stellt den Vorfall indes anders dar: Die Nato-Truppen, so Armeesprecher Athar Abbas, seien nicht von pakistanischer Seite beschossen worden, dennoch hätten ihre Helikopter die Basis angegriffen. Der Luftangriff habe zwei Stunden gedauert. Zahlreiche Aufforderungen von pakistanischer Seite an die Adresse der Nato, die Luftoperation zu beenden, seien nicht beantwortet worden.

Straßenproteste nach Vorfall
Was immer die anstehenden Untersuchungen zutage bringen werden, durch den Tod seiner 24 Soldaten, die im "friendly fire" starben, hat Pakistan derzeit gegenüber seinem amerikanischen Alliierten moralisch eine Trumpfkarte in der Hand. Schon lieferte der tragische Zwischenfall die Initialzündung für den Protest der Straße. Islamisten und gemäßigte Pakistaner fanden sich zu einer Einheit des nationalen Konsens. US- Flaggen brannten und lautstark erschallte der Ruf nach einer Beendigung der strategischen Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten.

Regierung spielt Trümpfe aus
Geschickte nutzte die oft ob der geheimen Kooperation ihres Geheimdienstes ISI mit Taliban und al Qaida Kräften sowie dem Haqani Netzwerk kritisierte Regierung die Gunst der Stunde und die aufbrandende Welle des Volkszorns. Nach dem ersten Schock über die Tragödie im Grenzgebiet zu Afghanistan spielte Islamabad seine vermeintlichen Trümpfe aus.

Als erstes wurden zwei wichtige Nachschubrouten für die Nato-Truppen geschlossen. Ca. 300 Lastwagen mit Versorgungsgütern für Soldaten in Afghanistan saßen in Pakistan fest. Die wichtigen Nachschubwege bei Torkham am Khyber-Pass und der Übergang Chaman im Süden wurden blockiert. Die Routen für die Koalitionstruppen sollen erst wieder geöffnet werden, wenn die Nato sich offiziell entschuldigt und besonders die USA die Verantwortlichen für den Tod von verbündeten Soldaten hart bestrafe.

Als nächstes wurde dem US-Geheimdienst CIA zwei Wochen Zeit gegeben, die Luftwaffenbasis Shamsi in der Provinz Balutschistan zu räumen. Von dort waren in der Vergangenheit, im Kontext des Antiterror-Krieges der USA gegen führende Köpfe militanter Islamisten, immer wieder unbemannte Drohnen abgeschossen worden. Besonders der Personal sparende Drohnenkrieg führte nicht zuletzt auch aufgrund ziviler Opfer in Pakistan zu heftigen Zornausbrüchen und massiver Kritik der Regierung gegenüber den USA. Verletzung pakistanischer Staatssouveränität lautete der Vorwurf. Indes ist es ein offenes Geheimnis, dass die Drohnen über Pakistans Himmel wohl mit stillschweigender Billigung der Machthaber in Islamabad kreisten.

Amerikanisch-pakistanisches Verhältnis tief zerrüttet
Derzeit ist angesichts des jüngsten Vorfalls das amerikanisch-pakistanische Verhältnis tief zerrüttet. Ministerpräsident Rousaf Raz Gilani formulierte es so: "Eine Rückkehr zur Normalität wird es nicht geben!"

Als weitere Reaktion auf den Tod seiner Soldaten boykottierte die Regierung dann auch die Afghanistan-Konferenz in Bonn. Gewiss eine starke Geste, denn ohne Pakistan gilt eine politisch-diplomatische Befriedigung in seinem Nachbarland Afghanistan erst Recht nach dem angedachten Truppenabzug der ISAF-Kontingente im Jahre 2014 als wenig aussichtsreich.

Nicht die erste Belastungsprobe
Der Luftangriff auf die Position der afghanischen Grenztruppen ist allerdings nicht die erste Belastungsprobe für das Verhältnis zwischen Pakistan und den USA in diesem Jahr. Die Masse der Bevölkerung in Pakistan wirft den Vereinigten Staaten eine rücksichtslose Politik auf dem Boden des Partnerlandes vor. Im Januar hatte ein Mitarbeiter der CIA in Lahore auf offener Straße zwei Männer erschossen. Der Täter wurde zwar verhaftet, nach massivem Druck aus Washington aber freigelassen, nachdem zuvor noch ein Blutgeld gezahlt worden war. Die vor dem jüngsten Zwischenfall mit der Tötung von 24 Grenzsoldaten schwerste Krise erfuhr das amerikanisch-pakistanische Bündnis im Anfang Mai, als ein Spezialkommando der Navy Seals in der pakistanischen Garnisonstadt Abbottabad al Qaida-Chef Osama bin Laden in seinem Versteck aufspürte und tötete. Seit 2005 hatte dort der Führer der militanten Islamisten vermeintlich unentdeckt vor den Augen pakistanischer Sicherheitsbehörden gelebt. Doch diese Version zerplatzte recht schnell, als Einzelheiten nach der US-Kommandoaktion an die Öffentlichkeit kamen. Internationale Nachrichtendienste gehen von sicheren Informationen aus, die besagen, dass der berüchtigte pakistanische Militärgeheimnis ISI von der Anwesenheit bin Ladens in Abbottabad permanent informiert war und den al Qaida Führer unter Kontrolle hatte. "Hätte der ISI nichts vom Aufenthalt bin Ladens gewusst, wäre er einer der schlechtesten Geheimdienste – doch das ist er nicht", kommentierte eine hochrangige westliche Geheimdienstquelle das damalige Geschehen. Demnach soll ein ganz kleiner Zirkel, eine handvoll Leuten, um den derzeitigen ISI-Chef Generalleutnant Ahmad Shuja Pascha vom Aufenthalt bin Ladens in der Garnisonsstadt bis zuletzt gewusst haben.

Tiefes Zerwürfnis
Das tiefe Zerwürfnis zwischen Washington und Islamabad nach der US-Aktion gegen bin Laden war vor allem der Tatsache geschuldet, dass die USA ihren Bündnispartner nicht vorab über den geplanten Zugriff informiert hatten. Erst als die Militäroperation schon lief, wurde Pakistan kurz in Kenntnis gesetzt. Verletzung der Souveränität Pakistans lautete dann auch prompt der Vorwurf aus pakistanischen Regierungskreisen. Doch CIA und US-Militär hatten gute Gründe für ihre Geheimhaltung – sie befürchteten undichte Stellen im ISI und somit Verrat der Aktion an die Islamisten von al Qaida.

Die Entscheidung der Regierung in Islamabad, der Bonner Afghanistan-Konferenz fernzubleiben, war ein wohlüberlegtes Kalkül, die aufgeheizte Stimmung im Lande nach dem Tod der Soldaten herunterzukühlen. Zwar ist der amerikanische Alliierte schon seit langem extrem unbeliebt, aber völlig ohne finanzielle und militärische Hilfe aus den USA kann das Land nicht auskommen – derzeit noch nicht. Dennoch könnte es mittelfristig zu einer Verschiebung der Mächtekonstellation in dieser Region kommen. China steht bereits in der Tür und ist gewillt, die pakistanisch-amerikanische Verwerfungen für seine Zwecke zu nutzen. Nach dem Tod der Grenzsoldaten schickte Peking prompt ein Beileidstelegramm nach Islamabad. Man sei, so hieß es darin, zutiefst schockiert über den folgenschweren Nato-Angriff. Ein klarer Beweis, dass China die Gunst der Stunde nutzen will, zumal die Zusammenarbeit der beiden Staaten gerade in den letzten Monaten militärisch immer enger geworden ist. So kaufte beispielsweise Premierminister Gilani Ende Mai in China Kampfjets.

Ärger zwischen den USA und Pakistan hatte sich auch angehäuft, als das pakistanische Militär nach dem Zugriff auf bin Laden chinesische Experten zu den Trümmern eines bis dato hochgeheimen US-Helikopters führten, den die Seals bei der Aktion fluguntauglich zurücklassen mussten.

Die sich häufenden Störungen im Verhältnis Pakistans zu den USA sind klare Indikatoren, wie blank die Nerven auf beiden Seiten liegen. In ein dadurch entstehendes Vakuum könnte China hineinstoßen, denn Peking und Washington wetteifern um langfristig strategischen Einfluss in dieser Region. Wie Ernst das Weiße Haus die Konsequenzen aus dem tragischen Zwischenfall mit dem Tod von 24 pakistanischen Grenzsoldaten nimmt, zeigen erste Reaktionen der USA – der von Pakistan geforderten Räumung der von den USA betriebenen US-Luftwaffenbasis Shamsi wurde bereits nachgekommen.

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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