Terrorismus und politische Gewalt in den Jahren 2000 bis 2009: Was war wichtig und welche Veränderungen waren zu beobachten? Für kein Jahrzehnt zuvor können diese Fragen so eindeutig beantwortet werden wie für das erste des neuen Jahrtausends. Der ethno-nationale Terrorismus starb langsam aus, während der religiös-ideologisch motivierte Terrorismus unter dem Dschihad-Banner eine enorme Expansion und Blütezeit erlebte, deren Ende nicht absehbar ist.

‚Ethno-nationaler Terrorismus‘ ist die Anwendung von terroristischer Gewalt, die nicht durch eine Weltanschauung oder Ideologie der Systemveränderung begründet ist, sondern im Rahmen des etablierten Systems regionale oder separatistische Forderungen erhebt, die von bestimmten Autonomierechten bis hin zu einem eigenen Staat reichen können. Von den einstmals bedeutenden Terrorgruppen in verschiedenen Ländern existieren nur noch zwei; oder besser gesagt: sie siechen dem Ende entgegen. Die ETA im Baskenland (trotz zahlreicher Auflösungsankündigungen) und die (wieder gegründete) PKK in der Türkei. Die nordirische IRA zum Beispiel hat ihren Kampf 2005 beendet, die palästinensischen säkularen Gruppen, allen voran die PLO, bereits Mitte der 1980er Jahre und die tamilische LTTE (‚Tamil Tigers‘) wurde bis 2009 de facto aufgerieben. Größere Aktionen waren ohnehin immer seltener geworden; nur die LTTE brachte es noch auf eine gewisse ‚Terrorismus-Kontinuität‘. Sie überließen das Feld dem ‚ religiös-ideologischen Terrorismus‘, der entweder in sektenartigen Gruppierungen Buchreligionen missbräuchlich interpretiert oder pseudo-religiöse Heilslehren zur Legitimation von Gewalt heranzieht. Allen voran der weltweite ‚Dschihad-Terrorismus‘, der den Islam für eigene politische Ansichten bzw. Ziele missbraucht und zur mit Abstand bedeutendsten terroristischen Strömung in der Geschichte avancierte.

1. Veränderungen im Terrorismus
Das Bild des internationalen Terrorismus gewinnt durch die Anschläge in den USA am 11.September 2001 in seinen Dimensionen und in seinem Täterprofil völlig neue Konturen. Denn der nationale und internationale Terrorismus, sein Erscheinungsbild und seine Akteure sind seit Anfang der 1990er Jahre einem radikalen Umbruch unterworfen. So genannte ‚klassische‘ Terroristen der 1970er und 1980er Jahre sind längst Geschichte. Das Image des Revolutionärs, wie es noch der Guerrillero Che Guevara einst pflegte, ist aus der Mode gekommen. Auch die berüchtigte deutsche Rote Armee Fraktion (RAF) existiert nicht mehr. Die ‚alte‘ PLO der Arafat-Ära gibt sich heute moderat und sucht den Ausgleich mit Israel. Und für Auftragskiller wie den Venezolaner Illjich Ramirez Sanchez, genannt ‚Carlos‘, fehlen heute Anlehnungsmächte und Sponsoren.

Ein Spruch allerdings hält sich beständig: "Des einen Terroristen ist des anderen Freiheitskämpfer"; von Jassir Arafat Anfang der 1970er Jahre in die politische Debatte geworfen. Diese populäre Aussage wird zwar immer wieder zitiert, ist aber falsch, weil Äpfel mit Birnen verglichen werden. Der Begriff ‚Freiheitskampf‘ bezeichnet ein Ziel, nämlich ‚Freiheit‘ (Sturz eines Regimes, Durchsetzung von Rechten etc.) sowie eine darauf gerichtete starke Anstrengung (Kampf). Damit ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, mit welchen Methoden dieser Kampf stattfinden soll. Grundsätzlich sind drei Methoden denkbar: Erstens ein friedlicher Freiheitskampf (z.B. Ghandi vs. Großbritannien, Mandela vs. Südafrika), zweitens ein Guerilla-Kampf (u.a. räumliche Strategie gegen den Gegner) oder drittens terroristische Methoden (z.B. Gewalt gegen Unbeteiligte, Massenmord). Terrorismus ist eine Methode zur Zielerreichung und sagt nichts über das politische Ziel an sich oder dessen Legitimität aus.

Terroristen wurden zunehmend Teil des Medien- und Informationszeitalters, dessen Mechanismen sie skrupellos nutzen. Der postmoderne Terrorist transportiert seine Nachricht schlagzeilengerecht über Print- und elektronische Medien – so wird der Anschlag an sich zur Botschaft an die geschockte Weltöffentlichkeit. Zwar ist weltweit in den letzten Jahren ein zahlenmäßiger Rückgang der Anschläge zu verzeichnen, dafür jedoch ein sprunghaftes Ansteigen bei den Zahlen der Toten und Verletzten. Denn Terroristen und politisch motivierte Extremisten sind auf größtmögliche Wirkung ihrer Attentate programmiert. Der ’neue Terrorismus‘ will den ‚bodycount‘, er will, wie es der Attentäter von Oklahoma City (168 Tote), Timothy McVeigh, gestand, "möglichst viele Menschen töten".

Es handelt sich um eine Gewaltmethode mit einer billigen Kosten-Nutzen-Rechnung, die die Menschen, ihre Schalt- und Machtzentralen ins Mark trifft. Es ist ein Angriff aus dem Dunkeln, völlig unberechenbar, denn jeder kann Opfer werden. Ob als Tourist im Tal der Könige bei Luxor/Ägypten 1997 (58 Tote) oder 1998 in den US-Botschaften von Nairobi und Daressalam (221 Tote, 5.000 Verletzte). Ob im Jahr 2000 an Bord des Zerstörers ‚USS Cole‘ im Hafen von Aden/Jemen (17 Tote Seeleute), ob in London (2005) oder Madrid (2004) oder in den Twin Towers von New York, die zu einer tödlichen Falle wurden. Für die RAF oder die Brigate Rosse in Italien waren Repräsentanten des Staates oder der Wirtschaft die Zielscheiben; man ’selektierte‘ die Opfer und optierte gegen Massenmord. Den Tod von Kindern beispielsweise hätte die RAF dem sympathisierenden Umfeld niemals vermitteln können. Zudem präsentierten sich RAF und Rote Brigaden als relativ kleine, streng hierarchisch strukturierte Gruppen. Die Fahnder wussten, wer sie waren und was sie wollten. Auch das hat sich inzwischen längst geändert. Die postmodernen Terroristen sind oft Einzeltäter, religiös hoch motiviert, verbunden nur durch eine gemeinsame Lehre, einen Auftrag und ein gemeinsames Ziel.

Wenn sie in Gruppen agieren, so existieren häufig keine traditionellen Hierarchien oder Befehlsstränge. Konventionelle terroristische Infrastrukturen sind aufgelöst. Die Kommandos haben keine Zentrale, nur eine lose Zellenstruktur, was demzufolge Abwehr und Bekämpfung erschwert. Die Planung eines Anschlags vollzieht sich jedoch oft generalstabsmäßig. Die Logistik potentieller Tätergruppen wird immer perfekter, das Know-how professioneller und nicht selten von militärischer Qualität gekennzeichnet. Hochsensible Bomben, von Experten geschickt zusammengebastelt, haben die Selbstlaborate früherer Tage ersetzt. Die Vorgehensweise mancher Terroreinheiten trägt die Handschrift von Fachleuten. Sie operieren streng konspirativ und abgeschottet. Die Stärke der Kommandos liegt oft nur bei vier bis fünf Mann.

Ein Blick auf die Szene des postmodernen Terrorismus wäre unvollständig ohne die Instrumentarien des Terrors, die neuen Arsenale einer künftigen Gewalt, zu berücksichtigen. Waren in der Vergangenheit – und sie sind es auch in der Regel heute noch – Flugzeugentführungen, Attentate auf Personen, Sprengstoffanschläge und Drohungen probate Mittel terroristischer Gruppierungen, so haben sich inzwischen durch einen technologischen Quantensprung die technischen Möglichkeiten für extremistische Akteure schlagartig erhöht. Hinzu kommt eine Veränderung in der Motivation und Vorgehensweise einzelner Terrorgruppen bis hin zu einem ‚apokalyptischen Fanatismus‘.

Neben der Horrorvision von NBC-Waffen in den Händen von Terroristen taucht noch ein weiteres Schreckensbild auf: Angriffe auf hoch komplizierte Computersysteme und Lahmlegung kompletter Institutionen, Behörden und Militäreinrichtungen durch intelligente Hacker im Dienste von Terroristen. Auch für dieses Szenario sind die Begriffe bereits vorhanden: Man spricht von Computerterrorismus oder Cyberwar bzw. Netwar. Und das Medium schlechthin, einen solchen Krieg zu führen, ideal ob ihrer Anonymität, sind der PC und das Internet. Der elektronische Dschihad ist die neue Waffe der ‚Gotteskrieger‘, das Internet die ‚Universität des Dschihad‘ – Kommunikations- und Vorbereitungsplattform für operative Aktionen des Terrorismus in einem. Der Terrorist von Morgen könnte unter Umständen mit einer Tastatur und einem entsprechenden Tastendruck mehr Schaden anrichten als mit einer Bombe.

Die Zerstörung des World Trade Center hat jedoch gezeigt, dass fanatische Täter durchaus noch mit einem ‚klassischen Instrumentarium‘, einem entführten Flugzeug als fliegender Bombe ihr Ziel erreichen können – wenn sie bereit sind, sich in einem als heilig deklarierten Inferno selbst zu opfern. Denn das Phänomen des Selbstmord-Terroristen hat in den letzten zwanzig Jahren eine wachsende Popularität unter islamischfundamentalistischen Terrorgruppierungen erlangt. Besonders im Nahen Osten wurden und werden Ansätze zum Frieden immer wieder durch die ‚lebenden Bomben‘ der Hamas oder des ‚Islamischen Dschihad‘ zerfetzt. Selbstmord-Terrorismus ist ein perfides, kaum zu verhinderndes taktisches Einsatzmittel.

2. Die Hydra des global vernetzten Terrorismus – ein Ausblick
Neun Jahre nach 9/11 – und immer noch bombt Al-Qaida. Dies bestätigt der jüngste Bericht des US-Außenministeriums "Country Reports on Terrorism 2009", in dem unter anderem die bittere Bilanz gezogen wird, "die aktuell größte Bedrohung für die USA bleibt der transnationale Terrorismus". Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Entwicklung in Pakistan und Afghanistan gewidmet. Auch im vergangenen Jahr sei von Al-Qaida die größte Gefahr für Angriffe auf die USA ausgegangen. Aber nicht nur die USA stehen im Fokus des militant-islamistischen Terrors. Zudem beobachten internationale Nachrichtendienste eine flächendeckende interkontinentale Ausbreitung des Dschihad-Terrorismus. Rekruten des Terrors werden in westeuropäischen Ländern, unter anderem in Deutschland, und zunehmend auch in den Vereinigten Staaten angeworben.

Trotz massiver Rückschläge im vergangenen Jahr durch verdeckte Operationen am Boden und mittels der gefürchteten Drohnenangriffe der US-Luftwaffe im pakistanischafghanischen Grenzgebiet gelang es dem dort sitzenden so genannten Kern Al-Qaida, sich immer wieder in operative Planungen, Training und Know-how für Terroranschläge weltweit einzuschalten. In den berüchtigten Grenzgebieten zu Afghanistan fällt langfristig auch die Entscheidung über Sieg oder Niederlage des ISAF-Engagements im Kampf gegen die Taliban in Afghanistan. Inzwischen spannt sich nämlich ein breites Band der Kollaboration von Al-Qaida mit pakistanischen Taliban-Gruppen (TTP) und jenen Kommandos der "Gotteskrieger" in Afghanistan, in deren Kreuzfeuer auch die Soldaten der Bundeswehr im Raum Kunduz immer öfter geraten.

Angesichts gefallener und verwundeter deutscher Soldaten mehren sich Stimmen in der Bevölkerung und in der deutschen Politik, das Engagement der Bundeswehr in diesem Land abrupt zu beenden. Eine kurzsichtige Beurteilung der Lage, denn die Kritiker des Einsatzes lassen fundamentale Folgen einer überhasteten Rückzugsentscheidung außer Acht. Da wäre zunächst einmal die psychologische Wirkung: Taliban und Al-Qaida würden den Abzug der fremden Truppen in einen riesigen Propagandaerfolg ummünzen. Gewaltszenarien auch gegen die eigene afghanische Bevölkerung und die schwache und teils korrupte Regierung Karzai würden eskalieren. Rückzug wäre ein Triumph der Guerilla und des Terrors. In der Wahrnehmung der Aufständischen käme ein Abzug der ISAF-Kontingente ohne eine vertretbare Stabilisierung des Landes einer Niederlage gleich. Zumal die Guerilla den Rückzug westlicher Truppen mit dem Abzug und der Niederlage der Roten Armee der ehemaligen Sowjetunion (1989) vergleichen würden – ein erneuter Triumph der Mujaheddin nähme Einzug in die Annalen der unsäglichen Kriege am Hindukusch.

Diese Denkweise der Aufständischen gilt es, all jenen zu vermitteln, die derzeit für einen schnellen Abzug der Bundeswehr plädieren. Neue Terrorlager in dieser Region wie vor dem 11. September 2001 wären die Folge und angesichts der ethnisch aufgesplitterten afghanischen Gesellschaft könnten erneut Inseln und Biotope des Terrors entstehen, die attraktive Anziehungspunkte sein würden für islamistische Glaubenskrieger aus der ganzen Welt. In Anbetracht dieser nicht nur potenziellen Szenarien kommt Daniel Brössler in seinem Leitartikel "Krieg im Nebel", erschienen in der Süddeutschen Zeitung vom 4./5.September 2010, wohl zu der derzeit einzig richtigen Bewertung, wenn er schreibt: " … Zugleich steht von Washington über London bis Berlin die Einsicht, dass die Mission mit Waffengewalt nicht zum Erfolg gebracht werden kann, ja der Erfolg überhaupt in Frage steht. Es beginnt nun der langsame Rückzug, langsam genug, um den staatlichen Strukturen in Afghanistan zumindest eine Chance zu geben, sich zu behaupten. Es folgen auch Verhandlungen mit jenen, die eigentlich besiegt werden sollten. Am Ende wird bestenfalls ein Afghanistan stehen, in dem nicht die Willkür herrscht und das kein sicherer Hafen ist für den Terror. Das ist wenig, sehr wenig gemessen an den ursprünglichen Zielen." Erschwerend kommt noch hinzu, dass nach fast neunjährigem Krieg am Hindukusch sich der islamistische Terrorismus, auch zur Überraschung westlicher Nachrichtendienste und Terrorismusexperten, als ein höchst wandlungsfähiges Phänomen entpuppt hat, das seine Rekrutierungsbasis und Stoßrichtung flexibel gestaltet und erneuert.

Denn manche der Aufständischen, dies gilt besonders für Al-Qaida-Kader, haben sich einer grenzüberschreitenden globalisierten Dschihad-Agenda verschrieben. Langfristiges Ziel ist es, Afghanistan und die benachbarten Staaten von Pakistan bis zu den zentralasiatischen Republiken durch Terror in ein sunnitisch-extremistisches Kalifat umzugestalten. Kern des Aufstandes gegen die Nato-Schutztruppen bilden starke Kräfte der paschtunischen Taliban, das Terrornetzwerk der Haqqani-Gruppe und die Hezb-i-Islami-Miliz des früheren Warlords Gulbuddin Hekmatyar. Außerdem werden große Teile der afghanischen Taliban-Bewegung nach wie vor von ihrem früheren Chef während der Taliban-Herrschaft über Afghanistan (1995 – 2001), Mullah Omar, gesteuert. Der einäugige Kriegsherr beherbergte einst Osama bin Laden und seine Terrorcamps und sitzt heute in der Grenzstadt Quetta, mit seiner Quetta-Shura (Ratsversammlung) auf pakistanischer Seite, beobachtet und geduldet vom legendären Militärgeheimdienst des Landes ISI, einst Partner und Förderer des früheren Taliban-Regimes. Überraschend kommt diese Konstellation nicht: Nach wie vor halten sich hartnäckige Gerüchte, aber auch diese stützend handfeste Beweise, dass es offizielle ISI-Politik ist, zum afghanischen Aufstand Kontakte zu unterhalten. Verbindungspersonen sind ehemalige, aber auch aktive Offiziere des pakistanischen Nachrichtendienstes. Pakistan, als ehemaliger Unterstützer der Taliban, will auch nach dem Abzug der ISAF-Kontingente einen politischen Fuß in der Tür zu Afghanistan haben – strategische Option gegenüber dem Erzfeind Indien. Zwar gibt es zwischen den einzelnen Guerilla- und Terrorgruppierungen weder eine zentrale Kommandostruktur, noch eine gemeinsame taktisch-strategische Vorgehensweise. Gemeinsam aber ist allen militanten Kerngruppen des Aufstandes, sogar trotz mancher Rivalitäten, die Gewaltbereitschaft gegen die "Fremden" im Land.

Anschläge aus dem Hinterhalt, Sprengfallen, Selbstmordattentate, oft mit einer hohen Zahl ziviler Opfer, aber auch professionell vorgetragene Angriffe gegen ISAF-Verbände und afghanische Sicherheitskräfte prägen den Modus Operandi der Taliban und mit ihnen verbündeter Al-Qaida-Kräfte. Personelle und ideologische Verflechtungen mit Al-Qaida und anderen mit ihr verknüpften Organisationen verstärken die operative Schlagkraft der Aufständischen. Man kennt sich zudem und tauscht terroristisches Know-how aus. So verfestigt sich die "Internationale" des militant-islamistischen Terrorismus, denn Al-Qaida ist auch bestrebt, die Aufstandsbewegung am Hindukusch weiter zu tragen und im Sinne einer globalen Dschihad-Agenda zu internationalisieren. Dieser Intention entspricht die Anwerbung neuer Rekruten aus muslimischen Staaten wie auch in Europa. Diese sollen für den Kampf in der Region sowie die Planung weiterer Anschläge in den westlichen Ländern gedrillt und danach entsprechend eingesetzt werden. Hierzu sagt der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: "Schon ein kampferprobter Rückkehrer kann zum Nukleus einer neuen Terrorzelle werden, wenn es ihm gelingt, neue Rekruten zu gewinnen und sie in terroristischen Taktiken zu schulen". Männer wie der aus Pakistan stammende Faisal Shahzad, der die Autobombe auf dem Times Square in New York platzierte, sind immer in der Lage, Panik, Schrecken und Tod zu verbreiten. Solche Tätertypen sind, wie auch die so genannten Kofferbomber von Köln, oft Einzelkämpfer, ohne Konturen auf den Bildschirmen der Anti-Terrorfahnder, von daher schwer zu orten, operativ autonom handelnd und nicht integriert in das Netzwerk einer größeren Organisation.
Gerade dieser Tätertyp erschwert den Sicherheitsbehörden oft die effiziente Entdeckung und Verfolgung. Denn Attentäter, die im westlichen Kulturkreis sozialisiert wurden, durchlaufen häufig unerkannt (!) einen Radikalisierungsprozess, der sich in schnellen Schüben vollzieht. Daher sind sie in der Lage, mit relativ geringem Aufwand und ohne große Vorwarnzeit "weiche Ziele" wie belebte Plätze in Großstädten, U-Bahnen, Einkaufszentren oder sensible Punkte einer städtischen Infrastruktur zu treffen.

Der militant-islamistische Terrorismus des 21. Jahrhundert zielt nämlich mit seinen Anschlägen auf überdimensionale Wirkung. Es ist die Philosophie des Massenmordes, den die Kommandos des Terrors intendieren – tödliches Fanal, kaum noch zu überbieten, ist hier der 11. September 2001. Zwar ist das islamistische Terrornetz durch den zunehmenden anhaltenden Verfolgungsdruck der vergangenen Jahre nach Einschätzung vieler Geheimdienste derzeit nur eingeschränkt zu massiven Anschlägen fähig. Allerdings kann diese Bewertung sich durchaus künftig ändern, denn die militante, durch das Internet vielfach potenzierte Dschihad-Ideologie von Al-Qaida erzielt permanent eine breitflächige Wirkung, die von Asien über den Mittleren und Nahen Osten bis in die Einwanderergesellschaften Europas und Nordamerikas reicht. Für islamistische Attentäter ist Al-Qaida ein wichtiger ideologischer Bezugspunkt, der sie inspiriert und daher zur Selbstradikalisierung maßgeblich beiträgt.
Dennoch hat es seit den Anschlägen in Madrid und London 2004 und 2005 keinen islamistischen Terrorangriff mehr in Europa gegeben. Dies hängt unter anderem, wie westliche Geheimdienste aufgeklärt haben, mit oft unprofessionellen und überhasteten Ausbildungsprozeduren im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet zusammen. Denn die lange Zeit als ungestörtes Terrorterrain beschriebene Region gerät immer stärker unter den Druck durch die Drohnenangriffe der CIA, durch die Greifkommandos amerikanischer und afghanischer Spezialeinheiten sowie durch Informationen gekaufter Spitzel.
Der permanente Verfolgungsdruck schwächt die Kampfmoral. Mehrere deutsche Kämpfer, Behörden sprechen von mindestens vier, wurden in den vergangenen Monaten erschossen, der Bekannteste unter den selbsternannten "Gotteskriegern" war der Saarländer Eric Breininger. Die Szene im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet wird für Islamisten aus Deutschland grundsätzlich immer schwieriger: die Kern-Al-Qaida nimmt keine Deutschen aufgrund der extremen Abschottung und Eigensicherung, die Taliban sind von Grund auf misstrauisch gegen die Fremden, denn die Furcht vor eingeschleusten Spitzeln und Agenten der Nachrichtendienste prägt ihr Verhalten. Bleibt weitgehend als Anlaufstelle für Terrortraining und Aufenthalt in der zerklüfteten Bergregion nur die Islamische Dschihad Union (IJU), die auch die Sauerland-Gruppe anheuerte und für Anschläge in Deutschland ausbildete. Wenngleich die Konstellation für die Reisenden des militanten islamistischen Terrors in die Terrorcamps von Pakistan schwieriger wird, können die Sicherheitsbehörden keine Entwarnung geben, denn der Fokus der Islamisten liegt auf allen Staaten, die sich militärisch am Hindukusch engagieren. Terrorbekämpfung steht nach wie vor ganz oben auf der Prioritätenliste westlicher, auch deutscher Sicherheitsbehörden.

Der Terrorismus nutzt nämlich die Technologie des 21. Jahrhunderts, passt sie an sein Vorgehen an und entwickelt so eine Eigendynamik und Inspiration, die seine Anhänger immer wieder mit neuen Impulsen versorgt. Diese Lernfähigkeit der Terrorkader überrascht nicht selten die Sicherheitsbehörden (Polizei, Geheimdienste, Militärs) der herausgeforderten Staaten und zwingt die Abwehrorgane zum ständigen Nachdenken über neue Strategien im Sinne der Guerilla- und Terrorbekämpfung. Gerade die Vielfalt der Erscheinungsformen stellt die Fahnder vor immer neue, überraschende Erkenntnisse, denn der Gegner arbeitet mit zunehmend professionellen Methoden und ist zudem äußerst innovativ und flexibel.

Herausforderungen im Sicherheitsbereich erfordern eine Auseinandersetzung mit den Antriebskräften, Taktiken und Strategien des Gegners. Wenn gemeinhin von den internationalen Fachleuten in Regierungs- und Sicherheitsbehörden der militantislamistische Terrorismus als die derzeit größte Gefahr für die Weltgemeinschaft interpretiert wird, müssen die herausgeforderten Staaten dieses "Gegenüber" kennen, seine Denkkategorien studieren und analysieren, um effiziente Abwehrarbeit leisten zu können. Personelles und technisches Auf- und Nachrüsten bei Polizeien, Militärs und Nachrichtendiensten allein genügt nicht. Gedankliche Auseinandersetzung ist geboten, verbunden mit Konfliktlösungen in jenen Regionen (z.B. Afghanistan, Irak, Tschetschenien, Balkan, Nahost), wo schon jahrelange Konflikte schwelen und/oder immer wieder erneut gewaltsam ausgetragen werden. Terroristen besetzen und instrumentalisieren solche Konfliktherde, die dann immer wieder als Nährböden für neue Eruptionen der Gewalt und des Terrors dienen.

Trotz aller Anstrengungen nationaler und internationaler Terrorismusfahnder, trotz spektakulärer Erfolge gegen Akteure und Drahtzieher des global vernetzten Terrorismus der Gegenwart gibt es immer wieder Grenzen und Rückschläge für die Frauen und Männer an der Front im Kampf gegen diese Hydra. Und so stellt ein Experte des Pentagon mit einem gewissen Recht fest: "Das Frustrierende bei der Terrorismusbekämpfung liegt darin: Es ist wie ein Wettrennen, nur gibt es dabei keine Ziellinie". Fazit dieser Aussage ist auch: Es gibt bis heute keinen Königsweg im Kampf gegen das terroristische Phänomen!

Quelle: Kai Hirschmann/Rolf Tophoven: Das Jahrzehnt des Terrorismus. Security Explorer 2010. S. 11 – 58.