Aktuelle Chancen und Fallstricke in der Atomdiplomatie im Fall Nordkorea: Nordkoreas Moratorium

Dennoch spricht vieles für Kontinuität – in Bezug auf Nordkoreas zyklisches Taktieren zwischen Kooperation, Konfrontation und nuklearer Fortentwicklung ebenso wie auf die Konfliktlinien, die das diplomatische Auf und Ab seit jeher geprägt haben. Wobei das keineswegs bedeuten muss, dass für die internationale Gemeinschaft jenseits einer vollständigen "Entnuklearisierung" nichts zu gewinnen wäre.

Doch zunächst eine Rückblende:
Das diplomatische Pokern um Nordkoreas Atomwaffenprogramm hatte 2009, nach zweijähriger Kooperationsphase, ein jähes Ende gefunden. In jenem Jahr ließ Kim Jong-Il zum jeweils zweiten Mal eine Langstreckenrakete vom Typ Taeopodong-2 und eine Atombombe testen. Die damals an den Plutoniumanlagen in Yongbyon anwesenden Inspektoren der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) wurden des Landes verwiesen. Kims Führung gab ferner zu, sich auf einen zweiten (friedlichen) Nuklearweg begeben zu haben, auf den der Urananreicherung. Da Pjöngjang auch hernach kein Signal eines ernsthaften Kooperationswillens verlauten ließ, sich stattdessen gewaltsame Übergriffe auf den Bruderfeind im Süden leistete, verstummten in Washington, Seoul oder andernorts die Rufe nach diplomatischer Einbindung fast vollständig. Eiszeit zwischen dem Einsiedlerstaat und seiner Außenwelt war angebrochen – wieder einmal.

Nun ist abermals Tauwetter in Sicht. Der Tod des "geliebten Führers" Kim Jong-Il katapultierte seinen jungen und unerfahrenen Sohn Kim Jong-Un an die Spitze des Staates. Und der scheint äußerst bemüht, sich nicht nur im eigenen Land als neue Führergestalt zu profilieren, sondern auch außenpolitische Akzente zu setzen. Was Kims Diplomaten mit Vertretern der US-amerikanischen Regierung in Peking am 29. Februar unter Dach und Fach brachten, war zwar schon im letzten Jahr, noch vor dem Tod des Vaters, in bilateralen Unterredungen erörtert und verhandelt worden (weshalb das Abkommen im Übrigen nur sehr eingeschränkte Erkenntnisse über die neuen Machtverhältnisse in Pjöngjang widerspiegeln dürfte). Nichtsdestotrotz ist der Leap Day Deal, wie die Einigung in den USA bezeichnet wird, auf den ersten Blick beachtlich: ein Moratorium weiterer Langstreckenraketen- und Atomtests. Außerdem sagt Nordkorea zu, die Urananreicherung unter den Augen der IAEO auszusetzen und – der amerikanischen Abschlusserklärung zufolge jedenfalls – die Stilllegung des Plutoniumreaktors unter Beweis zu stellen. Das alles für (mindestens) 240.000 Tonnen Nahrungsergänzungsmittel und altbekannte Lippenbekenntnisse von Seiten der USA, die Beziehungen zwischen beiden Ländern in jeder Hinsicht verbessern zu wollen.

Die Pekinger Vereinbarung lässt aufhorchen und ist – zu Recht – in allen Hauptstädten der Welt, auch in Washington, als ein erster positiver Schritt begrüßt worden. Zugegeben: Nordkorea könnte jedes dieser Moratorien von heute auf morgen wieder rückgängig machen. Und es ist höchst zweifelhaft, ob Pjöngjang in nächster Zeit überhaupt einen Raketen- oder Atomtest geplant hat bzw. dazu derzeit überhaupt im Stande wäre. Außerdem könnte es an atomwaffenrelevanten Anlagen, die es womöglich außerhalb von Yongbyon an bislang völlig unbekannten Orten unterhält, in aller Ruhe weiter tüfteln.

Und dennoch wäre allerhand Wertvolles gewonnen, würde sich die Volksrepublik auf diese zugesagten Einschnitte tatsächlich einlassen: Nukleare Transparenz und etwas mehr Gewissheit, dass Pjöngjang sein Atomwaffenpotenzial – zumindest in Yongbyon – nicht weiter ausbaut. Man sollte nicht vergessen: Immer wenn Inspektoren vor Ort waren, hat sich Nordkorea damit zurückgehalten, sein Atompotenzial wesentlich auszubauen. In Phasen der Konfrontation mit den USA hingegen (1989 bis 1994 und 2002 bis 2006) hatten die Atomtechniker freie Hand, genügend Plutonium herzustellen, um zwei der mindestens sechs vorhandenen Atombomben zu testen. Angenommen also, das jüngst vereinbarte Moratorium läutet tatsächlich eine neue Kooperationsära ein, in der das Regime – freiwillig oder aus der Not heraus – von weiteren einschneidenden Entwicklungsschritten seiner Atom- und Raketenprogramme absieht. Zumindest würde dann der laut manchem Experten herannahende Zeitpunkt, an dem die Demokratische Volksrepublik Korea Mittel- und Langstreckenraketen mit miniaturisierten Atomsprengköpfen bestücken kann, aufgeschoben werden. Und damit auch der Zeitpunkt, an dem Nordkorea im Besitz von militärisch einsatzfähigen Kernwaffen wäre, die das Land entgegen den häufig alarmistischen  Meldungen westlicher Berichterstatter gegenwärtig wohl noch nicht besitzt.

Doch wie günstig stehen die Aussichten tatsächlich, ein nukleargerüstetes Nordkorea zu verhindern oder jedenfalls das derzeitige diplomatische Momentum aufrechtzuerhalten? Wer den Verlauf des Atomstreits, seine Analogien und Paradoxien kennt, dürfte es leicht haben, die Stolpersteine, die auf dem Weg in die diplomatische Sackgasse liegen, zu erkennen. Allzu oft steckte in vergangenen diplomatischen "Durchbrüchen" der Teufel im Detail, vor allem wenn es darum ging, Absichtserklärungen in konkrete Handlungsschritte zu überführen. Um nur einige offene Fragen aufzuwerfen, die in unmittelbarer Zukunft noch genauer zu klären sind:

  • Wann werden die Inspektoren wieder nach Yongbyon zurückkehren? Wird das Regime in den nun anstehenden, chronisch zähen Verhandlungen mit der verhassten IAEO weitere Bedingungen (jenseits von amerikanischen Nahrungslieferungen) stellen, die eine Rückkehr der Kontrolleure aufschieben?
  • In welchem Umfang werden die Wiener Atominspektoren tatsächlich ihre Arbeit machen dürfen? Dass sich Washington und Pjöngjang über die "Intrusivität" der Kontrollen rasch einigen werden, darf getrost bezweifelt (wenn nicht geradewegs ausgeschlossen) werden; geht es der US-Regierung um sehr tiefgründige Überprüfungen aller in Yongbyon befindlichen Fazilitäten, sieht das Regime den Sinn und Zweck rudimentärer Inspektorenbesuche wohl lediglich darin, die Außenwelt von seiner friedlichen und damit rechtmäßigen Kernenergiegewinnung zu überzeugen.
  • Wird Nordkorea seine Urananreicherung während der Anwesenheit der westlichen Atomphysiker vollständig lahmlegen (wie es die USA und Südkorea verlangen) oder die Zentrifugen im Rahmen einer „No load operation“ weiterhin in Betrieb lassen, ohne sie mit Brennstoff zu füllen (um das später nachzuholen)?

Die Wiederbelebung der längst totgesagten Sechsparteiengespräche wäre, sollte das Moratorium tatsächlich umgesetzt werden, der nächste, im Grunde folgerichtige Schritt. Doch auch hier lauern Tücken in großer Zahl, zum Beispiel: Wird Washington als Bedingung für multilaterale Verhandlungen weiterhin die Forderung nach Annäherung an den Bündnispartner Südkorea stellen oder diese zugunsten der Diplomatie – und auf Kosten Seouls – fallenlassen?

Seit 2003 haben Nord- und Südkorea, die USA, China, Japan und Russland in insgesamt sechs Runden über Pjöngjangs "Entnuklearisierung" verhandelt – mit in der Tat überschaubaren Ergebnissen, weil die Prioritäten der Parteien stets zu unterschiedlich, ihre Interessendivergenzen zu groß waren – und weil Nordkorea zu nachhaltigen, irreversiblen Einschnitten in sein Atomprogramm nicht bereit war. Das wird in Zukunft nicht anders sein. So macht Kim Jong-Uns Führung bereits in ihrer Moratoriumserklärung gar keinen Hehl daraus, was es sich Altbekanntes von neuen Sechsergesprächen erwartet: die Aufhebung von Sanktionen und die Lieferung von Leichtwasserreaktoren. Doch den Gegnern in Seoul und Washington ist die Rückkehr zu den Quid pro quos der 1990er-Jahre (Abrüstung für politische Annäherung und Energiehilfen) ein vor allem politischer Gräuel. Kaum vorstellbar, dass Lee Myung-bak und Barack Obama im Wahlkampfjahr 2012 allzu waghalsig das eisglatte Terrain des Atompokerns mit der nordkoreanischen Führung wieder betreten und sich hernach dem reflexartigen Vorwurf konservativer Hardliner auszusetzen, in unverantwortlicher und völlig naiver Geistesabwesenheit ein weiteres Mal "auf dasselbe falsche Pferd zu setzen".

Schließlich: Die alles entscheidende Variable in der Gleichung der Atomdiplomatie ist und bleibt das nordkoreanische Regime selbst. Was hat Kim Jong-Un und die ihn umgebene Regimeelite bewogen, nach Jahren wieder einen Schritt auf ihre feindliche Außenwelt zuzugehen? Allein die Aussicht auf schnelle Nahrungsgüter, um das hungernde Volk im wichtigen Jubiläumsjahr 2012 bei der Stange zu halten? Oder will er angesichts mangelnder Alternativen, für wirtschaftliche Sicherheit und Entwicklung zu sorgen, erst einmal schauen, welche Früchte eine neue Phase der Öffnung und Kooperation abwerfen wird, bevor er diesen Kurs fortsetzt? In letzterem Falle wären die USA und alle anderen Konfliktparteien gut beraten, dem Regime diese Früchte so schmackhaft wie möglich zu machen. Nur so können sie sich ein Mindestmaß an Kontrolle und Einfluss auf den renitenten Atomstaat Nordkorea vorbehalten.

Dieser Beitrag erschien erstmals im "Blog des Instituts für Demokratieforschung der Universität Göttingen"

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