Wagner: Absturz einer Söldnertruppe

Wagner: Absturz einer Söldnertruppe

Am Ende stürzte er ab! Sein Flugzeug zerschellte am Boden. Genau zwei Monate nach seinem vermeintlichen Putsch starb Söldnerführer Jewgeni Prigoschin in den Trümmern seiner Privatmaschine. Eine der schillerndsten Figuren im Kontext russischer Militäroperation in der Ukraine oder im afrikanischen Raum war tot. Es war nicht nur ein physischer Absturz. Mit dem Tod ihres Anführers wurde auch ein gefährlicher innerrussischer Sprengkörper, ein zuletzt schwer zu kalkulierendes Drohpotenzial für Putin selbst entschärft. Für dieses Szenario greift das Bild der griechischen Sage: Ikarus kam der Sonne zu nahe und stürzte ab, Prigoschin kam seinem Gönner zu nahe und stürzte ebenfalls ab oder wurde vermeintlich von diesem abgeschossen!

Ein Beitrag von Rolf Tophoven.

Prigoschin galt seit Beginn seiner Karriere als Favorit Putins – mit anscheinend unbegrenzten Möglichkeiten. Bis zu jenem 24. Juni 2023. Damals hielt die Welt den Atem an, glaubte einen Wimpernschlag lang an einen innerrussischen Aufstand gegen Putin, initiiert durch das Wagner-Kommando unter seinem Anführer Jewgeni Prigoschin. Am Ende war es weniger eine echte Meuterei einer Truppe abseits der regulären Streitkräfte, wohl eher ein Operettenputsch! Was in der internationalen Presse zum Teil schon als geschichtsträchtiger „Marsch auf Moskau“ stilisiert wurde, entpuppte sich als ein bis heute schwer zu durchschauendes Manöver einer Söldnertruppe.

Schon während des Ukraine-Krieges lag der Wagner Chef mit der offiziellen russischen Militärführung im Streit. Prigoschin warf dem Verteidigungsministerium in Moskau schlechte Taktik und Strategie vor. Die Vorwürfe gipfelten darin, die Militärführung habe Wagner-Söldner bombardiert und viele von ihnen getötet. Prigoschin forderte die Absetzung von Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Gerassimow. Diese Forderung erfüllte sich nicht. Schließlich begann er den „Marsch auf Moskau“. Die Söldner nahmen mehrere russische Orte ein, besetzten das Hauptquartier der Armee in Rostow am Don. Erst 200 Kilometer vor Moskau blies Prigoschin die Aktion ab. Belarus´ Diktator Lukaschenko soll vermittelt haben.

Putin sprach anfangs von Verrat, korrigierte sich dann, die Söldner durften mit Prigoschin nach Belarus ausreisen. Angeblich verzieh der Kremlchef seinem Ziehsohn, weinte auch nach dessen Tod „Krokodilstränen“, als er über ihn von einem „talentierten Mann“ sprach, der aber „schwere Fehler“ gemacht habe.

Nach dem Überfall des Kremls auf die Ukraine im Februar 2022 füllte die Gruppe Wagner die Schlagzeilen.

Der Kader ist eine Söldnertruppe, ein privates Militärunternehmen – von der russischen Regierung inoffiziell beauftragt, verdeckte, „dreckige“ Operationen durchzuführen. Lange hat der Kreml die Existenz der Truppe geleugnet, doch ihr brutales Vorgehen mit Mord, Vergewaltigung und Plünderungen während des Ukraine – Kriegs rissen den Schleier von dieser Soldateska und enthüllten das wahre Gesicht der Akteure wie in der Ukraine,aber auch in Syrien oder in Afrika. Russland, so britische Experten, sponsorte mit fast 1 Milliarde Euro die Killer - Truppe.

Alles begann an der Newa in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts Der spätere Söldnerchef Jewgeni Prigoschin hofierte Putin in seinen Edelrestaurants (Putins Koch) in St. Petersburg, erhielt lukrative Aufträge und reüssierte auch später in Moskau dank Putin, der ihm dicke Aufträge für Gaststätten, Armee, Schulen und Bankette im Kreml zuschanzte. Bald zählte der ehemalige Strafgefangene zur milliardenschweren Oligarchie des postsowjetischen Russlands. Prigoschin und sein Aufstieg sind ein klassisches Beispiel für das System Putin, das auf einer Verzahnung von Wirtschaft, Politik, Militär und der damit verbundenen Macht beruht.

2013 gilt als Gründungsjahr der Wagner Truppe. Prigoschin kaufte sich schnell in die schon existierende Miliz ein. Er verdrängte den ersten Führer der Truppe, Dmitri Utkin, der auch beim Absturz der Prigoschin-Maschine starb. Utkin, glühender Bewunderer Hitlers, gab der Gruppe den Namen Wagner als Hommage an den Komponisten und dessen Bewunderer.

Zuletzt war Dmitri Utkin nur noch zuständig für das operative Geschäft.

Das Kernelement der Wagner-Truppe bilden ehemalige Kämpfer der russischen Armee, Spezialisten von Sondereinheiten, die schon bei der Eroberung der Krim 2014 aktiv dabei waren. Auch Freiwillige meldeten sich für die Wagner-Truppe. Angelockt wurden die Kämpfer durch gutes Geld, denn Prigoschin bezahlte besser als die reguläre russische Armee.

Aus Personalgründen wurden anfangs bei Wagner aus russischen Haftanstalten massenhaft Gefangene angeworben. Nach US-Angaben sollen ca. 50.000 Wagner-Söldner in der Ukraine im Einsatz sein, darunter 40.000 Strafgefangene – überprüfen lässt sich das alles nicht. Anderes dagegen ist belegbar: Viele wurden nach ihrer Haftentlassung unvorbereitet direkt an die Front und die meisten direkt in den Tod geschickt. Wagner-Truppen sind Kanonenfutter! Dies bestätigten ehemalige Kämpfer in einem Interview bei CNN. Sie seien mit 90 Mann ins Gefecht geschickt worden. Sechzig starben sofort durch Mörsertreffer. Eine Handvoll blieb verwundet zurück.

Eine Analyse des britischen Militärgeheimdienstes beschreibt die Taktik und das Vorgehen der Wagner-Kämpfer wie folgt: Die ehemaligen Gefangenen erhalten ein Tablet, auf dem die Route markiert ist, der sie folgen müssen – auch, wenn sie unter ukrainischen Beschuss geraten. Aus sicherer Entfernung überwachen die Kommandeure mit Drohnen den Angriff. Wer vom Kurs abweicht, riskiert, hingerichtet zu werden.

Ukrainische Journalisten an der Front beobachten ähnlich verlustreiche Aktionen. Demnach greift die Söldnerarmee in Formation von zwölf Männern an. Von diesen Kadern wird eine Welle nach der anderen ins Gefecht geschickt, bis zu acht am Tag. Danach rücken besser ausgebildete Infanteristen nach.

Ein ähnliches operatives Verhalten praktiziert vermehrt auch die reguläre russische Armee. Die Adaption der Wagner-Taktik fanden ukrainische Beobachter in einem russischen Militärhandbuch. Außer in der Ukraine waren Wagner-Söldner in Syrien und zunehmend in Afrfika im Einsatz. Die Befreiung des antiken Kulturerbes Palmyra von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) schrieb die Privatarmee auf ihre Fahnen.

Bereits 2017 hatten sich die Aktionen des Militärunternehmens zunehmend auf den afrikanischen Kontinent verlagert. Militärisch, wirtschaftlich und politisch sollte die Söldnertruppe die langfristigen strategischen Interessen Russlands auf dem Kontinent verstärken und von innen heraus, unterwandernd Einfluss nehmen. So wurde der „Fußabdruck“ Russlands in Afrika auch durch die Präsenz und Ambitionen der Wagner-Gruppe in manchen afrikanischen Ländern immer breiter, denn der Söldnerchef war die treibende Kraft hinter den Aktionen der Gruppe auf dem Kontinent.

Die operativen Ziele des Kremls zielen nach US-Experten auf die Torpedierung der Beziehungen westlicher Staaten und ihrer demokratischen Systeme zu den afrikanischen Partnern. So übernehmen Wagner-Söldner wichtige Sicherheitsfunktionen für Regime im Sudan, Südsudan oder besonders in der Zentralafrikanischen Republik. Dort ist die Situation besonders krass: Das gesamte Sicherheitssystem, vom Personenschutz an, liegt in den Händen der Söldnertruppe.

Auch in Mali ist die Situation explosiv! 2020 putschte die Armee. Für die neue Militärjunta war Frankreich plötzlich unerwünscht. Nach fast neun Jahren zogen die Truppen der ehemaligen Kolonialmacht ab. Operation „Bahame“ war beendet. Auch die Bundeswehr wird sich Ende des Jahres 2023 aus Mali zurückziehen. Damit ist die UNO-Mission „Minusma“ als Friedensmission gescheitert. Die neuen Machthaber setzen auf die Söldner der Wagner-Truppe als „Stellvertreter“ russischer Interessen.

Wenn es um Schmuggel, Waffenschieberei, Drogen- und Menschenhandel geht, spielen Wagner-Söldner oft eine Schlüsselrolle bei der Sicherung der Transportwege oder dem Schutz von Diamantenminen. Auch in den Handel mit Gold und Diamanten sind die Söldner im Auftrag des Kremls verstrickt – und die Söldnertruppe verdiente kräftig mit, da Prigoschin oft abseits russischer diplomatischer Kanäle ein eigenes Geschäftsmodell aufbaute. Er erhielt von den jeweiligen Potentaten Bezüge in Form von Rohstoffen, Förderlizenzen, etwa für Gas und Gold. Nach Prigoschins Tod wird der Kreml die Hand auf diese Pfründe legen.

Welche Perspektiven eröffnen sich nun für die kopflose Wagner-Truppe selbst? Die Söldnerarmee als solche ist enthauptet. Möglich, dass der Name Wagner aus dem Ranking der verschiedenen russischen Milizen ganz getilgt wird. Letzte Meldungen aus dem Kreml besagen, dass Andrej Troschew, ein ehemaliger Kommandeur der Söldnertruppe, im Auftrag Putins „Freiwilligeneinheiten“ aufbauen soll – für den Einsatz in der Ukraine. Konkret heißt das: Die ehemalige Wagner-Truppe arbeitet jetzt für das Verteidigungsministerium in Moskau.

Aber es gibt auch andere Entwicklungen. Viele ehemalige Kämpfer – ca. 1.000 – bleiben wohl in Belarus, vermutlich zum Training der dortigen Militärs. Andere, ca. 5.000, haben Belarus verlassen, sich der regulären Armee Russlands angeschlossen oder heuern bei verschiedenen anderen russischen Milizen an. Spektakulär in diesem Kontext ist die Redut-Miliz, die von Prigoschins Erzfeind Sergej Schoigu geführt wird. Ein weiterer Teil der zersplitterten Truppe könnte sich afrikanischen Machthabern anschließen und alte Seilschaften aus Prigoschins Zeiten aktivieren. Eine letzte Gruppe wird im Sinne echter Söldnermentalität angesichts drohender dürrer finanzieller Zeiten in Kreisen der organisierten Kriminalität oder bei terroristischen Gruppen anheuern, denn in diesen wird oft üppig gezahlt.

Eine brisante Information lieferte zu diesem Szenario Pawel Latuschko, einer der führenden belarussischen Exil-Politiker. In einem Interview mit der polnischen Agentur PAP sagte er, ihm lägen Informationen vor, dass Wagner-Kämpfer echte belarussische Pässe erhielten, mit unechten Vor- und Familiennamen. Diese Söldner könnten auf das Gebiet der EU gelangen, an der Grenze Unruhen auslösen und sogar Anschläge verüben.

Was bleibt von der Episode Putins mit Prigoschin? Letzterer ist von seinem Ziehvater aus dem Spiel genommen. Sein Sponsor dagegen ist aktuell noch im Spiel – trotz anderslautender Medieneuphorie wohl nicht geschwächt oder angeschlagen. Solange die ihn tragenden Eliten Russlands – und das ist eine Clique von Oligarchen aus Geheimdienst, Politik, Militär und Business – und die mit Putin sympathisierende Bevölkerung nicht aufbegehren, steht Putins Machtapparat (noch) in festen Fugen. Auch ein „Judas“ ist nicht in Sicht – denn fiele Putin, würden die ihn tragenden Säulen mit ihm fallen, und die aktuelle Konstellation sichert noch Herrschaft und Einfluss für beide.

Dieser Text ist in der November-Ausgabe im Magazin für Sicherheitspolitik „.loyal“ erstmals erschienen.

Quellenangaben
Bild von Mohammad - Generiert mit KI – stock.adobe.com

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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