Konfliktinseln im Südchinesischen Meer

Konfliktinseln im Südchinesischen Meer

China streitet sich im Südchinesischen Meer mit einer Handvoll Staaten um Gebiete und Inseln. Die Regierung in Peking beansprucht den Großteil der Region und übt Druck auf die Anrainer aus. China hat zudem im Südchinesischen Meer Riffe und Sandbänke besetzt und diese zu Inseln erklärt. Die Philippinen haben 2013 vor einem internationalen Gericht dagegen geklagt, um ihre maritimen Rechte in der umstrittenen Region gegenüber den Ansprüchen Chinas klären zu lassen.1 Das Urteil 2016 zugunsten der Philippinen wird von China ignoriert, könnte alte Konflikte festigen und neue Streitigkeiten in einer ohnehin instabilen Region hervorrufen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Sieg über Japan deklarierte die damalige Republik China 1947 eine „Elf-Punkte-Linie“, welche die chinesischen Ansprüche im Südchinesischen Meer formalisierte. Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949 wurde das Format auf neun Punkte reduziert, was dem bis heute geltenden chinesischen Anspruch entspricht – die Spratly-Inseln, die Paracel-Inseln und das Scarborough-Riff würden dementsprechend unter chinesische Hoheit fallen.2 Diese Ansprüche wurden von den Nachbarstaaten allerdings von Anfang an in Frage gestellt.

Anfang der 1990er Jahre avancierte das Südchinesische Meer dann zu einem global beachteten Konfliktherd. Jetzt prallten die territorialen und maritimen Ansprüche von bis zu sieben Staaten massiv aufeinander. Was in früheren Jahrzehnten auf kleine Territorien beschränkte Konflikte waren, wandelte sich in den 1980er Jahren zu einer Auseinandersetzung um die Kontrolle des größten Teils des Südchinesischen Meeres. Auslöser hierfür war die 1982 verabschiedete und 1994 in Kraft getretene Seerechtskonvention (United Nations Convention on the Law of the Sea; UNCLOS). Sie ermöglichte es Küstenstaaten, alle unterseeischen Ressourcen in einer bis zu 200 Seemeilen breiten Zone vor ihren Küsten zu kontrollieren. Die „Festlandssockelregelung“ erlaubte zudem eine Ausdehnung entsprechender Anrechte bis zu insgesamt 350 Seemeilen ins Meer.3

Im Südchinesischen Meer führte dies zu einer Vielzahl überlappender Ansprüche, weil auch kleine Inseln entsprechende ausschließliche Wirtschaftszonen generierten, deren Ausbeutung den Küstenstaaten zugutekam. In etwa zur gleichen Zeit änderte sich die Perspektive lokaler und externer Akteure mit strategischen Interessen im Südchinesischen Meer. Schon in den 1970er und 1980er Jahre hatten die Konfliktparteien, allen voran Vietnam und die Philippinen und schließlich auch China, eine Reihe von Inseln und Atollen militärisch besetzt. Zwischen Vietnam und China war es bereits zweimal zu militärischen Auseinandersetzungen gekommen, die jedoch auf der internationalen Ebene weitgehend unbeachtet blieben. Als China 1994 ein weiteres von Vietnam und den Philippinen beanspruchtes Riff besetzte, wurde dieser Vorstoß weniger als Herausforderung Vietnams verstanden denn als Gefahr für die regionale Ordnung und die dominante sicherheitspolitische Position der USA in dieser Region.4

Noch bis in die 1970er Jahre war das Gebiet um die „Hauptzankäpfel“, die Spratly- und Paracelinseln international weitgehend unbekannt. Heute zählen beide Archipele zu den umstrittensten Gebieten weltweit und stellen einen hohen Unsicherheitsfaktor in Südostasien dar: Auf die Spratly-Inselgruppe, die nur zu einer Fläche von fünf Quadratkilometern aus dem Wasser ragt, erheben neben der Volksrepublik China und Taiwan ebenso die ASEAN-Staaten Malaysia, Vietnam, Brunei und die Philippinen Anspruch.5 Viel entscheidender als historische Beweggründe scheint im Konflikt die Tatsache zu sein, dass das unterhalb des Meeresspiegels liegende Areal von 180.000 km² riesige Erdöl-, Erz- und Fischvorkommen birgt sowie machtstrategisch aufgrund der zentralen Lage im Südchinesischen Meer reizvoll scheint: So führen 25 Prozent aller weltweiten Transportschifffahrtsrouten durch das Gebiet, ebenso kreuzen sich hier wichtige Flugverkehrsstraßen und Kommunikationskabelsysteme.6

Neben der zentralen strategischen Verkehrslage wird vermutet, dass das Südchinesische Meer etwa eine Milliarden Fass an bewiesenen Erdölreserven (U.S. Energy Information Administration) birgt. Nach chinesischen Angaben sollen dort sogar bis zu 130 Milliarden Fass Erdöl gefördert werden können.7 Dies würde das Südchinesischen Meer nach Saudi Arabien zur zweitgrößten Erdölregion weltweit machen. Neben den vermuteten Erdölreserven sind außerdem etwa 60 bis 70 % der geschätzten Kohlewasserstoffe im Südchinesischen Meer in Form von Erdgas vorhanden. Eine Zugehörigkeit allein des Territoriums der Spratly-Inseln zu China würde bedeuten8:

  • Besitz erdöl-/erdgasreicher Gebiete mit geschätzten Reserven von 25 Mrd. m3 Erdgas und 105 Mrd. Barrel Erdöl,
  • Zugriff auf schätzungsweise 370.000 t mariner Phosphor-Lagerstätten,
  • Kontrolle über die artenreichsten Fischgründe weltweit mit geschätzten Fangmengen von 2,5 bis 30 Mio. t jährlich, sowie
  • Kontrolle über die Tanker-Hauptrouten zwischen Nahem Osten/Südostasien und Taiwan, Japan und Südkorea.

Sollten die chinesischen Schätzungen tatsächlich zutreffen, hätte China wenigstens teilweise sein „Malakka-Dilemma“ gelöst, nämlich die Abhängigkeit vom verletzlichen Transportweg von Ressourcen durch die Malakka-Strasse (Indonesien). Die China National Offshore Oil Corporation hat deshalb kürzlich über 20 Milliarden US-Dollar für die Erdölprospektion im Südchinesischen Meer bereitgestellt. China braucht dringend neue Energiequellen, denn die aktuellen Erdölreserven der Volksrepublik betragen zwischen 1 und 2% der Weltgesamtmenge bei einem Konsum von über 10% der globalen Förderquote.9

Rechtlich gesehen gewährt die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen (UNCLOS) für ein Riff, das bei Flut unter Wasser liegt, gar keinen territorialen Anspruch. Ragt ein Felsen aus dem Wasser heraus, ergibt sich ein 12-Seemeilen-Anspruch (entspricht 22 Kilometern) auf territoriale Gewässer. Eine bewohnte Insel kann zudem eine bis zu 200 Seemeilen breite „exklusive Wirtschaftszone“ für sich beanspruchen.10 Damit war für China klar, was zu tun war: Die Felsen und Riffe zu bewohnten Inseln ausbauen und sie mit militärischer Gewalt schützen. China begann die Aktivitäten zur Landgewinnung und Bauarbeiten auf sieben Korallenriffen (Erhebungen bei Niedrigwasser und Felsen) im Gebiet der Spratly-Inseln. Der Prozess der Erweiterung und Militarisierung der künstlichen Inseln beinhaltet das Ausbaggern vom Sand aus dem Meeresboden und dessen Aufschüttung auf den Riffen, um sie zu Inseln zu verwandeln. Danach hat China Häfen, Hubschrauberlandeplätze, militärische und zivile Einrichtungen einschließlich Start- und Landebahnen auf künstlichen Inseln geschaffen. China baut auch auf den Paracel-Inseln. Auf der seit 1956 von China besetzten Woody-Insel fand ein umfassender Neubau von Start- und Landebahnen inklusive Luftwaffenbasis statt. Die im Jahr 1974 von China beschlagnahmte Duncan-Insel ist ebenfalls mit Geländeauffüllung erweitert worden.11

Chinas Erschaffung von künstlichen Inseln untergräbt die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen (UNCLOS), denn der Bau von künstlichen Inseln gibt China die Möglichkeit, seine Ansprüche auf 90% des Südchinesischen Meeres durchzusetzen.12 China stellt bereits die Navigationsfreiheit von Kriegsschiffen, den Überflug von Flugzeugen, sowie die Fischereirechte im Südchinesischen Meer infrage. Chinas Aktivitäten gefährden regionalen Frieden und Stabilität. Seit China im Mai 2014 die Tiefseebohrinsel Haiyang Shiyou in den umstrittenen Gewässern um die Paracel-Inseln stationiert hat, ist es wiederholt zu Zwischenfällen mit vietnamesischen Fischerbooten und chinesischen Küstenwachtschiffen gekommen.13

China hat also in den vergangenen Jahren seine Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer immer aggressiver geltend gemacht. Daher hatten die Philippinen 2013 den Schiedsgerichtshof in Den Haag (Niederlande) angerufen. Mitte Juli 2016 hat er nunmehr entschieden: Für die chinesischen Ansprüche gibt es keine rechtliche Grundlage. Die fünf Richter gaben den Philippinen in den meisten Punkten Recht. Überraschend deutlich äußerte sich das Gericht zu der von China definierten „Neun-Striche-Linie“, welche die Ansprüche definiert: Die Richter sagten, sie sähen keine rechtliche Grundlage, auf deren Basis China das Gebiet beanspruchen könnte.14 Das Gericht entschied außerdem, dass China für keine der Inseln, die es in den ver-gangenen Jahren mit Tonnen von Sand aufgeschüttet hat, eine ausschließliche Wirtschaftszone beanspruchen kann. Demnach hat China die Rechte der Philippinen verletzt, in den betroffenen Gebieten Rohstoffe auszubeuten.15

Die Volksrepublik China hat das Verfahren als „Farce“ und den Schiedsspruch für „null und nichtig“ erklärt. Sie hat daher angekündigt, den Schiedsspruch nicht anzuerkennen und ihre Interessen im Südchinesischen Meer notfalls militärisch zu schützen und durchzusetzen. Zudem hat China 2017 weitere Fakten geschaffen und offenbar seine Militärstützpunkte in der Region weiter ausgebaut. Auf Satellitenbildern sind neue Flugzeughangar, unterirdische Lager, Radaranlagen und andere Einrichtungen zu erkennen. 28 Hektar sind zudem 2017 auf den Spratly- und Paracel-Inseln mit zusätzlicher Infrastruktur bebaut worden.16 Mit den Aktivitäten wird zunehmend eine rote Linie der USA als Schutzmacht in der Region überschritten. Zwei militärische Zwischenfälle sorgten bereits Mitte 2017 für verbale Schlagabtäusche: Zunächst überflogen zwei Langstreckenbomber der US-Luftwaffe das umstrittene Gebiet. China sah dadurch seine Sicherheit gefährdet und legte scharfen Protest ein. Dann fuhr ein US-Kriegsschiff nahe an einer von China beanspruchten Insel vorbeigefahren und stellte damit Pekings dortige Gebietsansprüche erneut in Frage: Der Zerstörer „USS Stethem“ ist in einem Abstand von weniger als zwölf Seemeilen an der Triton-Insel vorbeigefahren, sagte ein US-Vertreter der Nachrichtenagentur AFP. China kritisierte die Operation scharf. Das Eindringen in chinesische Hoheitsgewässer sei eine „ernsthafte politische und militärische Provokation“, hieß es in einer Mitteilung des Pekinger Außenministeriums.17

Auf den ersten Blick geht es nur um ein paar Miniinseln, Felsen und dreieinhalb Millionen Quadratkilometer Meer. Doch die Region hat eine große strategische Bedeutung. Sie liegt an einer der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt. Hinzu kommen vermutet große Erdöl- und Erdgasvorkommen. Wer die Spratly-Inseln besitzt, kontrolliert den Schiffsverkehr, erweitert den Aktionsradius seiner Streitkräfte und kann die Bodenschätze ausbeuten.18 Die Zeichen stehen daher in absehbarer Zukunft auf (politischem) Konflikt, nicht auf Einigung.


  • 1 Vgl. Steffen Richter, Eine Insel - oder nur ein Stein?; in: Zeit online, 10. Juli 2016.
  • 2 Vgl. Walter Stocker, Erdöl und Seewege in Chinas Hinterhof - Die geostrategische Bedeutung des Südchinesischen Meeres, http://aspo.ch/wp-content/uploads/2015/09/NS_97.pdf.
  • 3 Vgl. Peter Kreuzer, Konfliktherd Südchinesisches Meer, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, HSFK-Report Nr. 2/2014, S. 1.
  • 4 Ebenda, S. 1f.
  • 5 Vgl. Christian Sören Beyer, Einen China-ASEAN Konflikt überwinden: Die Spratly-Inseln, Universität Trier, Paper Nol 4, WS 2007/2008, S. 2.
  • 6 Ebenda, S. 2 sowie Hans Scheerer / Patrick Raszelenberg, China, Vietnam und die Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer, Hamburg 2002, S. 61ff.
  • 7 Vgl. Christian Geinitz, China sichert sich im Meer Öl und Einfluss; in: FAZ.net, 20. Mai 2012.
  • 8 Vgl. Klett-Verlag, Fundamente, Kursthemen: Der asiatisch-pazifische Raum, Schülerbuch, Oberstufe, S. 25.
  • 9 Walter Stocker (Anm. 2), S. 4.
  • 10 Zu diesen rechtlichen Regelungen siehe das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, New York, 10. Dezember 1982.
  • 11 Vgl. Bundesverband der Vietnamesen in Deutschland, China muss Vietnams Souveränität respektieren (Flyer), http://www.bvd-vn.de/files/PDF%202016/Flyer_bien_dong_A4__03_Tieng_Duc_.pdf.
  • 12 Ebenda.
  • 13 Vgl. N.N., Inselstreit zwischen China und Vietnam eskaliert; in: Zeit online, 7. Mai 2014, N.N., China stationiert Kampfjets auf Paracel-Inseln; in: Welt online, 24. Februar 2016, Felix Heiduk / Michael Paul, Keine Entspannung im Inselstreit - Besseres Klima, aber fortdauernde Konflikte in Ost- und Südostasien, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 1, Januar 2015, Berlin sowie Walter Stocker (Anm. 2), S. 4.
  • 14 Siehe hierzu Benedikt Seemann, Entscheidung in Den Haag: Keine rechtlich-historische Basis für Chinas „9-Strich-Linie“, Konrad-Adenauer-Stiftung, Länderbericht Philippinen, Juli 2016.
  • 15 Vgl. Nina Belz/ Matthias Müller, Schiedsspruch zum Territorialstreit im Südchinesischen Meer: Chinas Ansprüche sind nicht gerechtfertigt; in: Neue Zürcher Zeitung online, 12. Juli 2016.
  • 16 O.V., China baut offenbar seine Militärstützpunkte aus; in: Spiegel online, 15. Dezember 2017, www.spiegel.de/politik/ausland/suedchinesisches-meer-china-baut-offenbar-militaerstuetzpunkte-aus-a-1183437.html.
  • 17 O.V., US-Kriegsschiff fährt dicht an von China beanspruchten Insel vorbei; in: Focus online, 03. Juli 2017, www.focus.de/politik/ausland/suedchinesisches-meer-us-kriegsschiff-faehrt-dicht-an-von-china-beanspruchter-insel-vorbei_id_7309257.html.
  • 18 www.klett.de/alias/1104484.
Dr. Kai Hirschmann
Dr. Kai Hirschmann, Publizist, Lehrbeauftragter für Sicherheitspolitik, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn, stellvertretender Direktor des IFTUS – Institut für Krisenprävention, Essen und Redakteur des Security Explorers.
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