Jagd auf Taliban und Al-Qaida

Die dritte Front im Kampf gegen Aufständische ist der lautlose Krieg der Geheimdienste. Der pakistanische ISI im Bunde mit US-Agenten infiltriert die großen Städte des Landes auf der Suche nach Taliban und Al-Qaida-Nestern. Taktgeber für Strategie und Taktik ist überwölbend der Kommandeur der ISAF in Afghanistan der Viersterne-General David Petraeus. Sein Credo für Afghanistan, aber auch mit Blickrichtung Pakistan lautet, mehr Truppen, dadurch größere Absicherung ziviler Projekte, weitgehende Vermeidung ziviler Opfer. Trotz zunehmender Aktivitäten der Talibankräfte in Afghanistan, ebenso wie im Grenzsektor auf pakistanischer Seite, definiert der General sein Konzept wie der Krieg am Hindukusch zu gewinnen sei: "Der Aufstand ist grundsätzlich nur erfolgreich unter den Paschtunen (Hauptreservoir der Taliban, d. Red.). Der wichtige Teil der Bevölkerung ist da, wo das Wasser und die Straßen sind. Wenn man diese Gebiete sichert, dann dreht man dem Aufstand den Sauerstoff ab!"

Trotz immer wieder explodierender Bomben, trotz des Terrors der Selbstmordattentäter haben in den letzten Wochen und Monaten Drohnenangriffe, Militär- und Geheimdienstoperationen Lücken in die Kommandostrukturen von pakistanisch/afghanischen Taliban und der Al-Qaida gerissen.

Seit 2008 führen die USA Luftschläge mit bewaffneten Aufklärungsdrohnen
Die Antiterror- und Antiguerilla-Kriegsführung mit bewaffneten Aufklärungsdrohnen im Nordwesten Pakistans in Grenznähe zu Afghanistan praktizieren die USA seit 2008 mit jährlich zunehmender Intensität. Die Luftschläge erfolgen, trotz aller Dementis aus Islamabad, mit stillschweigender Kooperation mit pakistanischen Militärs. Hochrangige Mitglieder der Kern Al-Qaida sind diesen gezielten Liquidierungen zum Opfer gefallen. Erst jüngst schaltete ein Drohnenangriff den Afghanistan-Chef und Mitbegründer Al-Qaidas Mustafa Abu al-Yasid aus. Er galt als Finanzchef und Topmanager des Terror-Netzwerkes. Bereits im August 2009 hatte die Rakete einer unbemannten Drohne den Führer aller pakistanischen Taliban (TTP), Baitullah Mehsud, getötet. Seither ringen verschiedene Führer um Einfluss in der Hierarchie der Teerek-e-Taliabn. Besonders der operative und Ausbildungsbereich Al-Qaida erlitt durch die Schläge der US-Luftangriffe zum Teil herbe Verluste. Dies führte zu Einbrüchen im Personalbereich, häufig stiegen nur bedingt geeignete Personen in Führungspositionen auf. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass trotz partieller Schwächung der internationale und transnationale Dschihad (Heiliger Krieg) nach wie vor erste Option und grundlegende Strategie Al-Qaidas bleibt.

Karatschi – heimliche Hauptstadt der pakistanischen Taliban
Neben den Stammesgebieten zu Afghanistan und dem dortigen Schlachtfeld konzentrierten sich die Nachrichtendienste zuletzt schwerpunktmäßig auf die heimliche Hauptstadt der pakistanischen Taliban – Karatschi mit knapp 13 Millionen Einwohnern. Die pakistanische Hafenstadt ist zu einem Rückzugsort für die Gotteskrieger – auch jene aus Afghanistan – geworden. Karatschis Polizei geht von mehr als 5.000 bewaffneten Milizen (die Dunkelziffer liegt weit höher) der verschiedenen Dschihadisten-Gruppen aus, die in Elendsquartieren, Madrassen (Religionsschulen) und Geheimverstecken untergezogen sind. Diese bewaffneten Kommandos strömten zusätzlich zu den geschätzten sechs Millionen pakistanischen und afghanischen Paschtunen in die Megacity. Der Grund für die Attraktivität Karatschis aus Rückzugsraum: Die Dschihad-Terroristen betrachten die Stadt als sicheren Hafen vor größeren Militäroperationen und Angriffen aus der Luft mit unbemannten Drohnen. Für Pakistans Sicherheit braut sich dagegen in Karatschi ein gefährliches Gebräu zusammen, das jederzeit explodieren kann. Destabilisierung ist bereits jetzt angesagt!

Westliche Geheimdienste und Militärs haben die Millionenstadt schon lange im Fokus. So ist bekannt, dass die Quetta-Shura, der oberste Rat der in Afghanistan kämpfenden Taliban um den Führer Mullah Omar, einen Großteil ihrer Familien und auch Kämpfer nach Karatschi verlegt hat. Auch die Führungsriege der Taliban trifft sich regelmäßig im Dunstkreis Karatschis und verlagert ihre Meetings von der grenznahen Stadt zu Afghanistan dorthin.

Pakistanischer Geheimdienst ISI und CIA gegen Taliban
Statt Luftschläge durch US-Drohnen müssen Taliban und Al-Qaida-Funktionäre allerdings die Greifkommandos des pakistanischen ISI und geheime CIA-Operationen fürchten. Besonders die USA haben inzwischen innerhalb Pakistans ein gut funktionierendes Netz an Informanten aufgezogen, nicht immer vom Beifall ihrer pakistanischen Partner begleitet. So liegt auch nach wie vor ein Schleier der Geheimhaltung über einen der spektakulärsten Zugriffe auf Topkader der afghanischen Taliban in den verwinkelten Gassen Karatschis: Am 15. Februar 2010 meldeten die Agenturen, dass bereits Ende Januar Mullah Abdul Ghani Baradar dem ISI und der CIA ins Netz gegangen ist. Dies war der bislang schwerste Schlag gegen die Taliban seit 2001 – denn Baradar war die Nummer zwei der afghanischen Taliban hinter deren Symbolfigur Mullah Omar. Baradar galt zudem als Chef aller militärischer Operationen. Im Zuge der Festnahme des Topterroristen kam es zu weiteren Verhaftungen führender Kommandeure der Taliban. Die "Schattengouverneure" der Provinzen Kunduz und Baghlan, Mullah Abdul Salam und Mullah Mir Mohammed verfingen sich ebenfalls im Netz der Geheimdienste. Durch die Ausschaltung dieser Figuren erfuhr die Quetta Shura erhebliche Einbrüche mit deutlicher Signalwirkung nach Afghanistan. Salam zog im nördlichen Bereich um Kunduz die Fäden bei Anschlägen auf Soldaten der Bundeswehr. Mohammed war nach geheimdienstlichen Erkenntnissen in der Nachbarprovinz Baghlan verantwortlich für Guerilla-Operationen.

Pakistan als Gravitationszentrum des internationalen islamistisch geprägten Terrorismus
Die jüngsten Schläge und Festnahmen gegen Talibanstrukturen bestätigen erneut die Einschätzung westlicher Nachrichtendienste, wonach Pakistan nach wie vor als Gravitationszentrum des internationalen islamistisch geprägten Terrorismus zu betrachten ist. Die Stammesgebiete im Nordwesten des Landes spielen dabei gleichsam die Impulsgeber für die interne Bedrohung Pakistans, ebenso jedoch für das Nachbarland Afghanistan sowie für die westliche Welt angesichts eines Anziehungspunktes für militant islamistische Reisegruppen aus Europa. Neben den pakistanischen Taliban (TTP = Terek-e-Taliban Pakistan) tummeln sich in diesem schwer zugänglichen Gebiet Reste der handlungsfähigen Mitglieder der so genannten Kern Al-Qaida. In diesem Gebiet fallen Entscheidungen und operative Planungen der Organisationen. Terrordrill erfahren militant islamistische Kader in konspirativen oft blitzartig auf- und abgebrochenen Camps, allerdings vollzieht sich Ausbildung im Vergleich zum Schliff in den früheren Lager Al-Qaida vor 2002 auf deutlich niedrigerem Niveau. Zahlenmäßig dominant in den Terrorcamps sind Rekruten aus der Region und arabischen Ländern (Usbeken, Tschetschenen, Jemeniten, Saudis). Teilnehmer aus westlichen, europäischen Ländern sind relativ gering (BND Schätzungen sprechen von ca. 30 – 40 Deutschen Islamisten, u. a. Konvertiten)

Nach wie vor herrscht unterschwelliges Misstrauen unter diesen Alliierten, denn zu lange – so die USA – haben die Pakistanis gezögert massiv gegen die Taliban und Al-Qaida-Schlupfwinkel in ihrem Land vorzugehen. Aus gutem Grund – so wird vermutet, denn einst hob der Geheimdienst ISI die Taliban in Afghanistan in den Sattel und nach wie vor sind Taliban-Gruppen im Nachbarland politisch langfristig für Pakistan eine Option gegen indische Einflüsse im Land am Hindukusch.

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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