Dschihad auf dem Sinai – der neue Terror-Hotspot

Israels Inlandsgeheimdienst Schabak weiß es schon seit langem, ebenso wie der legendäre Auslandsgeheimdienst Mossad: Der Sinai ist seit dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen im Jahre 2005 ein gefährlicher Brandherd des militanten islamistischen Terrors geworden.

Seit dem Ausbruch der Revolution in Ägypten gegen das Regime Mubaraks, seit dessen Sturz und erst recht nach der Absetzung des gewählten Präsidenten Mursi durch das Militär, hat sich die Sinaihalbinsel zu einem sich ständig anwachsenden Rückzugsgebiet militanter Islamisten entwickelt. Hartgesottene Kader aus dem Lager der jetzt von der Macht verdrängten Muslimbrüder sowie Anhänger Mursis fanden und finden in den Weiten des Sinai ein ideales Rückzugsgebiet für terroristische Planungen und Aktionen.

Neue Lage
Im Dezember 2011  erklärte  eine Gruppe mit dem Namen Ansar al Jihad auf dem Sinai ihre Gründung und verkündete ihren Treueeid zur Organisation Osama bin Ladens. Ansar al Jihad ist der militärische Arm al-Qaidas auf der Sinai-Halbinsel. Bereits im Sommer desselben Jahres knüpfte die Gruppe Verbindungen zu Salafisten-Kommandos im Gazastreifen, um Aktionen mit den Islamisten in Gaza zu koordinieren. Ansar al Jihad ist allerdings nicht die einzige Dschihadisten-Gruppe in dieser Region.  Zahlreiche andere fühlen sich mit al Qaida verbunden. Fast alle dieser Gruppierungen  kooperieren mit kriminellen Beduinen-Clans.

Die Sicherheitslage auf dem Sinai hat sich – nicht nur nach israelischer Einschätzung, sondern auch nach den Lageberichten der ägyptischen Armee seit dem Abzug Israels aus dem Gazastreifen und der danach folgenden Machtübernahme der Hamas in dem kleinen Palästinensergebiet – permanent verschlechtert. Nach dem Sturz Mubaraks und der einjährigen Regierungszeit Präsident Mursis eskalierte die Situation. Die Islamisten-Regierung in Kairo knüpfte enge Kontakte zur Hamas in Gaza und öffnete die Grenzen. Hamas ist ein Kind der Muslimbruderschaft und steht dieser folglich ideologisch und organisatorisch sehr nahe.

Mehr als hundert Polizisten und Armeeangehörige sind seit dem Schlag der Armee unter General Abdel-Fattah al-Sisi gegen die Muslimbruderschaft durch militante Islamisten getötet worden. Einer der schwersten Zwischenfälle ereignete sich im August dieses Jahres. 25 ägyptische Polizisten wurden bei einem Terrorangriff der Islamisten getötet, als sie in ihren Fahrzeugen in der Nähe der Stadt Al-Rafah von einem Terrorkommando mit Panzerfäusten und Maschinengewehren angegriffen wurden. Dieser Überfall ist nur einer in einer ganzen Reihe von Angriffen der Dschihadisten gegen Armee und Polizei, aber auch Zivilisten und Christen fallen den Angriffen durch Terrormilizen auf der Halbinsel Sinai zum Opfer.

In regelmäßigen Abständen startet daher das ägyptische Militär großangelegte Offensiven gegen islamistische Gruppen und Zellen auf dem Sinai. Kampfhubschrauber und Panzer werden bei der Jagd auf Islamisten eingesetzt. Am 5. September wurde in Kairo ein Anschlag auf den ägyptischen Innenminister, Moahmmed Ibrahim, verübt. Der Minister überlebte. Sicherheitskräfte erklärten daraufhin, die Tat sei von einem Selbstmordattentäter verübt worden, der den Milizen auf dem Sinai angehört habe. Das Terrain der Sinai-Halbinsel scheint das ideale operative Aktionsfeld für die Muslimbrüder zu sein, durch terroristische Aktionen unter dem Banner des Dschihad für die Wiedereinsetzung des gestürzten Präsidenten Mursi zu kämpfen. So erklärte der inzwischen inhaftierte Spitzenpolitiker der Muslimbrüder, Mohammed El-Beltagi, sobald Mursi wieder im Amt sei, werde der Krieg auf dem Sinai „von einem Tag  auf den anderen enden“.

Explosives Gemisch
In der Tat ist die Situation auf dem Sinai ein gefährliches explosives Gemisch, das die Sicherheitskräfte Ägyptens noch lange beschäftigen könnte. Durch die Verlagerung oder Ausweitung des Konflikts mit der amtierenden Staatsmacht in die Region Sinai-Halbinsel haben Terrorgruppen wie Ansar al Islam, Ansar al Dschihad, Kataib al Forqan und Tawhid wal Dschihad Ägyptens Armee in eine eskalierende Auseinandersetzung hineingezogen – eine nicht zu unterschätzende Herausforderung! Nicht überraschend kommt daher auch die Attraktivität der Region für islamistische Söldner-Krieger aus dem Ausland, die neben dem Konflikt in Syrien auf dem Sinai ein weiteres Betätigungsfeld sehen.

Wie die herausgeforderte Regierungsmacht um General Sisi die Sicherheitslage auf dem Sinai einschätzt, erklärte kürzlich Sisis Sprecher, Oberst Ahmed Ali, in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Demnach sei der Verfall der Sicherheitslage auf dem Sinai einer der entscheidenden Gründe dafür gewesen, dass die Streitkräfte Mursi abgesetzt hätten: „Die nationale Sicherheit war gefährdet.“ Der Sinai ist ein für Ägypten strategisch extrem wichtiges Gebiet zwischen Israel und dem Suezkanal. Zuletzt kam es in diesem Gebiet zu bedrohlichen Aktionen der Dschihadisten. So bombardierten Terroristen beispielsweise eine Gaspipeline, die durch den Sinai nach Jordanien führt, und beschossen einen chinesischen Frachter auf dem Suezkanal.

Für Armeesprecher Ali sind es neben ausländischen Dschihadisten  und Mursi-Anhängern auch die in das Schmugglergeschäft verwickelten einheimischen Beduinen, die sich radikalisieren. Diese Gruppierung verdient  besonders am Tunnelgeschäft mit Lebensmitteln, Brennstoff und Dingen des täglichen Bedarfs in den Gazastreifen hinein. Außerdem machen die Schmugglerbanden profitable Geschäfte durch Menschenhandel mit afrikanischen Flüchtlingen auf dem Weg nach Israel oder Europa. Nach Angaben des ägyptischen Militärs sollen inzwischen 70 bis 80 Prozent der Tunnel nach Gaza zerstört worden sein.

Die jüngsten Geschehnisse auf dem Sinai verheißen für die Zukunft des von Wüste und Gebirgen durchzogenen Gebietes kaum Hoffnungsvolles: Die Halbinsel ist in der Tat zu einem neuen Hotspot des Terrors geworden!

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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