„Beziehungstaten“ – die alltägliche Bedrohung (11)

„Beziehungstaten“ – die alltägliche Bedrohung

Eine Auswertung von Fällen aus den Medien im 2. Halbjahr 2021
Als Fortsetzung seit Juli 2016 werden in dieser Ausgabe Fälle aus dem 2. Halbjahr 2021 analysiert.

Bei 95 sogenannten „Beziehungstaten“ sind 71 Tote und 60 Verletzte zu beklagen. 78 Taten ereigneten sich im familiären Umfeld, 56 davon gegen die Partnerin oder gegen den Partner (oder Ex-Partner*in).

In 93 Fällen wurden Menschen getötet oder verletzt. In mindestens 8 Fällen waren Behörden bereits im Vorfeld involviert. Bei weit mehr der Hälfte der Fälle wird berichtet, dass diese Beziehungen durch teilweise lang anhaltende Streitigkeiten, Eifersucht, eine Trennung, den bevorstehenden oder bereits erfolgten Auszug eines Partners erheblich belastet waren. Das darf auch für weitere Fälle angenommen werden, selbst wenn in der Recherche keine konkreten Belege gefunden wurden.

Eine Vergleichszahl für das 1. Halbjahr 2021 aus dem Spektrum des Terrorismus/Extremismus:

Am 06.11.21 gab es in Deutschland durch einen islamistisch motivierten Täter, der in einem ICE in Bayern 4 Menschen mit einem Messer verletzte.

Dennoch ist die Gefahr, in Deutschland Opfer einer Beziehungstat zu werden ist auch in diesem Beobachtungszeitraum ungleich größer.

Eine detaillierte Betrachtung der Fälle im gesamten bisherigen Beobachtungszeitraum (01.07.2016 – 31.12.2021) zeigt, dass die insgesamt 1039 Fälle in folgendem Umfeld stattfanden:

830 Familie (davon 648 gegen den Partner*in oder Ex-Partner*in)
108 Nachbarschaft / Mietverhältnis
67 Beruf / Geschäft
34 Schule

Davon wurden 535 Taten von Männern gegen Frauen begangen, 103 Taten von Frauen gegen Männer und 4 Taten fanden innerhalb einer gleichgeschlechtlichen Beziehung statt.

Folgende Mittel wurden nachweislich zur Tatbegehung eingesetzt (alle Fälle):
in 478 Fällen: Messer / Degen / Axt
in 96 Fällen: Schusswaffen
in 47 Fällen: Werkzeuge, Hammer/Brechstange, Baseballschläger
in 160 Fällen: Reine körperliche Gewalt
in 35 Fällen: Säuren / Benzin / Gas / Wasser / Sprengstoff
in 22 Fällen: Auto als Waffe
in 11 Fällen: Medikamente / Gift / Drogen
in 12 Fällen: Brandstiftung

Die Anzahl erweiterter Suizide liegt mit 12 Fällen leicht über dem Durchschnitt des gesamten Beobachtungszeitraumes.

Schlussfolgerung:
Zusätzlich zu den Folgerungen in der letzten Ausgabe zeigt sich, dass die meisten Beziehungstaten im häuslich privaten Umfeld ereignen. Hier wiederum stehen Taten von Männern gegen Frauen klar im Vordergrund. Als Tatwaffe wird in knapp der Hälfte der Fälle ein Messer oder ähnliches (Degen, Schere, Axt, Schraubendreher) eingesetzt. Schusswaffen nehmen mit weniger als 10% einen eher geringen Teil ein. Das ist sicherlich eine wichtige Information bei der Fallanalyse durch Bedrohungsmanagement-Experten.

Wie prognostiziert haben sich diese Zahlen auch in dieser Auswertung weiter verfestigt. Nach bislang 1039 ausgewerteten Fällen ist eine signifikante Veränderung nicht mehr zu erwarten.

Es wäre wünschenswert, dass das Thema Bedrohungsmanagement und die damit verbundenen Möglichkeiten, schwere Gewalttaten zu verhindern mehr in den öffentlichen Focus gerückt wird.

Diese Auswertung wird in den nächsten Ausgaben jeweils für einen Halbjahreszeitraum fortgeführt.

Beobachtungszeitraum:
2. Halbjahr 2021 (Entscheidend ist das Tat-Datum)

Relevante Fälle:
Es wurden Fälle betrachtet, in denen die handelnden Personen in einer Beziehung zueinanderstanden. (z.B. familiär, partnerschaftlich, geschäftlich)

Fälle von Gewalt gegen Polizei, Rettungs- oder Ordnungskräfte wurden nicht betrachtet, sofern sich die Gewalt nicht gegen die Personen, sondern gegen die Funktion richtete.

Fälle, die ausschließlich durch Bereicherungsabsichten oder von Substanzmissbrauch motiviert waren wurden ebenfalls nicht betrachtet.

Anzahl relevanter Taten im Beobachtungszeitraum: 95

Die Auswertung betrachtet gezeigtes Verhalten im Vorfeld, das Anlass zur Sorge gibt, z. B. substanzielle Drohungen, Aussagen über die Dauer der Belastung in einer Beziehung und die Frage, ob bereits Dritte (Angehörige, Behörden, Gerichte...) informiert waren.

Quellenangaben
1) Bild von Bild von Niek Verlaan auf Pixabay
2) Polizeiberichte aus den Bundesländern auf der Startseite t-online.de, ausschließlich nationale Fälle
3) Wikipedia – Liste von Terroranschlägen

Jürgen Wolf
Jürgen Wolf ist international anerkannter und zertifizierter Bedrohungsmanager nach den europäischen Standards der AETAP (Association of European Threat Assessment Professionals). Jürgen Wolf war 22 Jahre für den Bundesgrenzschutz tätig, bevor er 1996 in die Privatwirtschaft wechselte. Hier war er in leitender Position für den Bereich Personen- und Veranstaltungsschutz tätig verantwortlich, bis er sich 2013 auf personelle Sicherheit und Bedrohungsmanagement spezialisierte.
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