„Beziehungstaten“ – die alltägliche Bedrohung (1)

„Beziehungstaten“ – die alltägliche Bedrohung

Eine Auswertung von Fällen aus den Medien im 2. Halbjahr 2016

Bei 44 sogenannten „Beziehungstaten“ sind 40 Tote und 20 Verletzte zu beklagen.

- In 95% der Fälle wurden Menschen getötet oder verletzt.
- In 66% der Fälle wurden Menschen getötet.
- In 7% der Fälle waren Behörden bereits im Vorfeld involviert.

Es ist davon auszugehen, dass diese Beziehungen durch lang anhaltende Streitigkeiten, Eifersucht, eine Trennung, den bevorstehenden oder bereits erfolgten Auszug eines Partners erheblich belastet waren, auch wenn es nicht ausdrücklich erwähnt ist und in der Recherche nicht in allen Fällen konkrete Hinweise gefunden wurden. Familienangehörige, Freunde, Nachbarn oder Arbeitskollegen haben in der Regel Kenntnis von einer belasteten Beziehung. In den Medienfällen lässt sich dieses nicht für alle Sachverhalte nachweisen.

In wenigen Fällen wird berichtet, dass die Opfer punktuell Hilfe erhalten haben, jedoch nicht fallbegleitend, d. h. viele der belastenden Situationen mussten die Opfer ohne Unterstützung von Experten bewältigen.


Eine Vergleichszahl für das 2. Halbjahr 2016 aus dem Spektrum des Terrorismus/Extremismus:
Bei 5 Anschlägen in Deutschland sind 10 Opfer (und 2 Attentäter) ums Leben gekommen und 88 Menschen verletzt worden.

Die Gefahr, in Deutschland Opfer eines terroristischen oder extremistischen Anschlages zu werden ist bekannt und wird auch immer wieder öffentlich diskutiert.
Und richtigerweise ist sie auch gesellschaftlich akzeptiert.

Die Gefahr, in Deutschland Opfer einer Beziehungstat zu werden ist ungleich größer. Niemand hat Einfluss darauf, Beteiligter zu sein. Beteiligte können beispielsweise Familienangehörige, Kinder oder auch Freunde sein. Die erhebliche psychische Belastung der Opfer, der Beteiligten und auch des Täters bereits im Vorfeld eines Übergriffs erstreckt sich über Monate, in einigen Fällen über Jahre.


Schlussfolgerung:
In der öffentlichen Wahrnehmung und auch in der politischen Betrachtung verblassen diese Beziehungstaten und werden mehr als bedauerliche Einzelfälle angesehen.

Das Bedrohungsmanagement ist kein Allheilmittel und Bedrohungsmanager sind keine Wunderheiler. Aber in einem Fallmanagement lassen sich Drohungen einschätzen und Kriterien für schwere zielgerichtete Gewalt erkennen. Die frühzeitige Einbindung eines Bedrohungsmanagers kann helfen, den Opfern zur Seite zu stehen und gefährliche Entwicklungen abzumildern oder idealerweise ganz zu verhindern.

Es wäre wünschenswert, dass das Thema Bedrohungsmanagement mehr in den öffentlichen Focus gerückt wird.


Datenmaterial:
Beobachtungszeitraum:
2. Halbjahr 2016 (Entscheidend ist das Tat-Datum)

Relevante Fälle:
Es wurden Fälle betrachtet, in denen die handelnden Personen in einer Beziehung zueinanderstanden (z.B. familiär, partnerschaftlich, geschäftlich).

Fälle von Gewalt gegen Polizei oder Ordnungskräfte wurden nicht betrachtet, wenn die Gewalt sich nicht gegen die Personen, sondern gegen die Funktion richtete.

Fälle, die ausschließlich durch Bereicherungsabsichten oder von Substanzmissbrauch motiviert waren wurden ebenfalls nicht betrachtet.

Anzahl relevanter Taten: 44
Die Auswertung betrachtet gezeigtes Verhalten im Vorfeld, das Anlass zur Sorge gibt, z. B. substanzielle Drohungen, Aussagen über die Dauer der Belastung in einer Beziehung und die Frage, ob bereits Dritte (Angehörige, Behörden, ...) informiert waren.

Quellenangaben
1) Bild von Bild von Niek Verlaan auf Pixabay
2) Polizeiberichte aus den Bundesländern auf der Startseite t-online.de, ausschließlich nationale Fälle
3) Wikipedia – Liste von Terroranschlägen

Jürgen Wolf
Jürgen Wolf ist international anerkannter und zertifizierter Bedrohungsmanager nach den europäischen Standards der AETAP (Association of European Threat Assessment Professionals). Jürgen Wolf war 22 Jahre für den Bundesgrenzschutz tätig, bevor er 1996 in die Privatwirtschaft wechselte. Hier war er in leitender Position für den Bereich Personen- und Veranstaltungsschutz tätig verantwortlich, bis er sich 2013 auf personelle Sicherheit und Bedrohungsmanagement spezialisierte.
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